Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. posttraumatische Belastungsstörung. Brückensymptom keine notwendige Bedingung. ursächlicher Zusammenhang. unrechtmäßige DDR-Haft. GdS-Feststellung. familiäre Vorbelastung. sozialgerichtliches Verfahren. Verwertbarkeit eines psychiatrischen Gutachtens. Erstellung des Gutachtens über ein Jahr nach dem Explorationsgespräch

 

Orientierungssatz

1. Auch wenn noch viele Fragen offenbleiben und durch die Datenlage wissenschaftlicher Untersuchungen noch nicht geklärt sind, kann eine posttraumatische Belastungsstörung nicht wegen Fehlens einer erforderlichen Brückensymptomatik ausgeschossen werden.

2. Vom sachverständigen Gutachter ist allerdings auch die Möglichkeit einer genetischen Disposition (hier Depressionen und psychische Auffälligkeiten bei zahlreichen Familienmitgliedern) für die Gesundheitsschädigung in die Bewertung mit einzustellen.

3. Ein psychiatrisches Sachverständigengutachten, welches der Gutachter später als ein Jahr nach der Untersuchung abgefasst hat, kann im sozialgerichtlichen Verfahren ausnahmsweise verwertet werden, wenn der Sachverständige sich aufgrund besonderer Umstände noch genau an die Person des Untersuchenden erinnern kann und deswegen sein Gutachten noch auf der Untersuchung beruht.

4. Zur Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den Haftbedingungen einer DDR-Unrechtshaft und Gesundheitsstörungen (hier psychische Erkrankungen, Knieschaden und Lendenwirbelsäulenleiden).

 

Normenkette

HHG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 4 Abs. 1, 5 Sätze 1-2, § 10 Abs. 4 S. 2; BVG § 30 Abs. 1 Sätze 1-3, § 31 Abs. 1, § 60 Abs. 1 Sätze 1-2; SGB X § 44; VersMedV § 2

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlichen Kosten des Klägers sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1934 geborene Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer/m höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) beziehungsweise Grad der Schädigungsfolgen (GdS).

Bei dem Kläger besteht eigenen Angaben zufolge eine familiäre Vorbelastung mit Gemütsleiden (Gutachten Dr. G., Gutachten Dr. R.), seine gesamte väterliche Linie ist psychisch auffällig, seine Mutter neigte zu Depressionen, seine leibliche Schwester ist in den 50er Jahren an einer endogenen Depression erkrankt und frühberentet, auch sein Neffe neigt zu depressiven Verstimmungen mit zweimaligem Suizidversuch.

Nach eigenen Angaben stammt der Kläger aus dem ehemaligen Sudetenland, wo er eine glückliche Kindheit auf dem großelterlichen Bauernhof verbrachte. Nach Kriegsende wurde er im Juli 1945 als Sudetendeutscher von den Tschechen zusammen mit seinen Großeltern und seiner Mutter in das ehemalige KZ bei dem ehemaligen J. (heute J., Gemeinde in Tschechien) verbracht und bekam dort schreckliche Szenen von Übergriffen tschechischer Soldaten mit. Nach Rückkehr seines Vaters aus norwegischer Kriegsgefangenschaft übersiedelte die Familie nach Thüringen, wo er nach erfolgreicher Absolvierung seines Abiturs zum Medizinstudium zugelassen wurde und ein Stipendiat bewilligt bekam. 1956 bestand er erfolgreich sein Physikum und wurde während des Medizinstudiums auch als Leistungssportler (Mittelstreckenläufer des FC C.-Z.-J.) weiter gefördert.

Am 02.12.1958 wurde er in J. verhaftet und verbrachte zunächst ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Diese Zeit empfand er als das Schlimmste, da er tagsüber beschäftigungslos war und nachts nicht richtig schlafen gelassen, vielmehr wiederholt das Licht angemacht und er vernommen wurde. Dabei wurde er zwar nicht körperlich misshandelt und auch nicht mit dem Tode bedroht, die Verhörsituation war aber für ihn unangenehm (Gutachten Dr. G., Bl. 189 V-Akte). Er wurde schließlich am 16.03.1959 wegen Ein- und Ausfuhr von Waren, Nichtmeldung eines Westkontos, Urkundenfälschung, Betrug, Ein- und Ausfuhr von Zahlungsmitteln der DDR, Verleitung bzw. Beihilfe zum illegalen Verlassen der DDR zu einer Haftstrafe von 8 Jahren und 6 Monaten verurteilt (Bescheinigung der Volkspolizei - Kreisamt M., Bl. 593 Senatsakte). Die erste Haftzeit verbüßte er bis Herbst 1960 im Zuchthaus W. Dort war er von April bis September 1959 als Hilfsarzt der offenen TBC-Abteilung bis zu seiner Erkrankung an Gelbsucht eingesetzt. Danach verbrachte er 6 Wochen in Quarantäne und anschließend ein halbes Jahr aus disziplinarischen Gründen in Einzelhaft (Gutachten Dr. B.). Anschließend wurde er in der Wäschekammer eingesetzt, wo er schwere Lasten bis zu 12 Stunden am Tag in feuchten Räumen tragen musste und in einer zum Teil überbelegten Zelle, auch mit Kriminellen gemischt, untergebracht war. Wesentliche hygienische oder Ernährungsprobleme gab es ebenso wenig wie homosexuelle Übergriffe (Anamnese Dr. G.). Bis auf ein bis zwei le...

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