Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Betriebsweg. sachlicher Zusammenhang. Abgrenzung: Gesundheitsmaßnahme. vom Unternehmer veranlasste Arbeitsschutzmaßnahme. freiwilliger Corona-Schnelltest durch den Betriebsarzt
Orientierungssatz
Die Zurücklegung eines Betriebswegs zur Durchführung eines freiwilligen Corona-Schnelltests durch den Betriebsarzt gem § 5 Corona-ArbSchV vom 21.4.2021 steht als vom Unternehmer veranlasste Arbeitsschutzmaßnahme unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 07.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2021 verpflichtet, das Ereignis vom 04.05.2021 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Anerkennung eines Arbeitsunfalles.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist gelernte Elektronikfacharbeiterin und war zuletzt, bis zum Eintritt in die Altersrente am 01.08.2021, als Ingenieurin im Bereich Risikomanagement bei der Firma A. GmbH in E. beschäftigt.
Am 04.05.2021 nahm die Klägerin gegen 6:00 Uhr morgens ihre Tätigkeit in ihrem Büro im Geschäftsführer-Bürogebäude in der W-Straße auf. Gegen 6:50 Uhr begab sie sich auf den Weg in das ca. 60 m entfernte, ebenfalls auf dem Betriebsgelände gelegene Bürogebäude des Betriebsarztes um dort einen freiwilligen Corona-Schnelltest, welcher den Mitarbeitern des Unternehmens zu diesem Zeitpunkt seitens des Arbeitgebers zweimal wöchentlich kostenfrei angeboten wurde, durch die Betriebsärztin durchführen zu lassen. Um der sich nach außen öffnenden Eingangstür des betriebsmedizinischen Dienstes, welche durch die Betriebsärztin geöffnet wurde, auszuweichen, machte die Klägerin einen Schritt zurück und fiel dadurch eine Treppe (3 Stufen) hinunter und stürzte auf das rechte Handgelenk. Hierbei zog sie sich einen verschobenen Bruch der handgelenksnahen Speiche rechts zu (eine sog. dislozierte distale Radiusfraktur), welche im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im Städtischen Krankenhaus E. (04.05.-10.05.2021) noch am Unfalltag operiert wurde. Es erfolgte die Versorgung mit einer Radiusplatte.
Am 06.07.2021 teilte die zuständige Sicherheitsfachkraft des Arbeitgebers der Klägerin (Fr. J.) der Beklagten telefonisch mit, dass ein negativer Test am Unfalltag keine Voraussetzung für die Aufnahme der Tätigkeit der Klägerin gewesen sei.
Durch Bescheid vom 07.07.2021 lehnte die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalles daraufhin ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die freiwillige Teilnahme an einem Corona-Schnelltest sowie der damit verbundene notwendige Weg dem privaten Lebensbereich zuzurechnen seien und daher nicht unter Versicherungsschutz stehen. Es bestehe insofern kein enger sachlicher Zusammenhang mit der versicherten beruflichen Tätigkeit.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 03.11.2021 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 10.11.2021 Klage erhoben.
Die Klägerin trägt vor, dass sie sich zu dem Test entschlossen habe, weil sie einerseits Risikopatientin sei und andererseits vor allen Dingen eine mögliche Ansteckung anderer Mitarbeiter habe ausschließen wollen. Hieraus sei ein betriebliches Interesse abzuleiten. Zudem habe der Test nur wenige Minuten gedauert, so dass von einer geringfügigen Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit auszugehen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2021 zu verpflichten, das Ereignis vom 04.05.2021 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Gericht zur Entscheidung vorlag, sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in statthafter Weise auf die Anerkennung eines Arbeitsunfalles gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl.: Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 30.03.2017 - B 2 U 6/15 R) ist zulässig und begründet. Der Ablehnungsbescheid vom 07.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 04.05.2021 als Arbeitsunfall.
Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zur Zei...