Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des hörgeschädigten Versicherten auf Erstattung von Kosten, die über den von der Krankenkasse gewährten Festbetrag hinaus für die Versorgung mit einem Hörgerät aufgewendet wurden
Orientierungssatz
1. Ziel der Versorgung eines Hörgeschädigten mit einem Hörgerät ist die Angleichung an das Hörvermögen gesunder Menschen. Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 SGB 5 geschuldeten Behinderungsausgleichs ist es, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörtechnik jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Das schließt, je nach Notwendigkeit, auch die Versorgung mit einem digitalen Hörgerät ein.
2. Begrenzt ist dieser Anspruch durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB 5. U. a. ist ein Hilfsmittel vom Krankenversicherungsträger nicht zur Verfügung zu stellen, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenüber steht. Grundsätzlich hat die Krankenkasse dem Versicherten das Hörgerät zur Verfügung zu stellen, das den bestmöglichen Behinderungsausgleich ermöglicht.
3. Nach der Rechtsprechung des BSG berechtigt die Befugnis des Krankenversicherungsträgers zur Festsetzung von Festbeträgen nicht zu Einschränkungen des GKV-Leistungskatalogs. Die Krankenkasse ist verpflichtet, ihren hörgeschädigten Versicherten ein Hörgerät nachzuweisen, welches ein Sprachverstehen von wenigstens 80 % ermöglicht, vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R.
4. Ein nicht funktionierendes Zusammenspiel zwischen Hörgeräteakustikern und Krankenkassen im Hinblick auf Vertragspreise oder Festbeträge führt nicht dazu, dass das Gericht Leistungsmerkmale von Hörgeräten vergleicht und quasi am grünen Tisch dazu kommt, dass es im Einzelfall kostengünstigere Versorgungsmöglichkeiten gegeben hätte. Bei etwa 1.000 auf dem Markt erhältlichen Hörgeräten kann der Versicherte allein ohne fachkundige Unterstützung nicht das kostengünstigste auswählen.
5. Dies hat zur Folge, dass in den Fällen, in welchen die Krankenkasse keinen Versorgungsvorschlag macht, der wirtschaftlich günstiger ist und der dennoch ein gleich wirksames Sprachverstehen sicherstellt, die Wirtschaftlichkeit der Versorgung zu vermuten ist.
6. Stellt die Krankenkasse die Sachleistung nicht selbst zur Verfügung, sondern bedient sie sich eines Hörgeräteakustikers als eines vertraglich gebundenen Leistungserbringers, der entweder nicht willens oder in der Lage ist, eine ausreichende Versorgung zum Festbetrag zu erbringen, so kann sich die Krankenkasse nicht auf die Festbetragsregelung zurückziehen, ohne konkrete anderweitige und preisgünstigere Versorgungsmöglichkeiten vorzuschlagen.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin unter Aufhebung des Bescheids vom 21.04.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2011 Kosten in Höhe von 1.480,50 Euro zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte erstattet der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Kosten, welche sie über den von der Beklagten gewährten Festbetrag hinaus für die Versorgung mit einem Hörgerät aufgewendet hat.
Die am ... 1946 geborene Klägerin leidet an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit rechts und verfügt auf dem linken Ohr nur noch über ein unwesentliches Restgehör.
Die behandelnde HNO-Ärztin Dr. med. G. verordnete ihr am 18.02.2011 als Vertragsärztin auf dem dafür vorgesehenen Vordruck die Versorgung mit einer Hörhilfe für das rechte Ohr. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der audiometrischen Befunde, wird auf die Kopie der Verordnung, Bl. 5 der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Die Klägerin suchte daraufhin zunächst den zugelassenen Hörgeräte-Akustiker, Fa. B. auf, der ihr bereits das später versorgte Gerät empfahl. Die Klägerin recherchierte zum Preis dieses Geräts selbst und stellte fest, dass es bei der Firma F. (nachfolgend Akustiker) um 500 EUR billiger war. Sie beantragte daraufhin mit Schreiben vom 18.02.2011 die Kostenerstattung unter Beifügung des Kostenangebots des Akustikers.
Im Rahmen der Anpassung des Hörgeräts beim Akustiker testete die Klägerin zunächst die weiteren Geräte Phonak Milo SP und Resound Essence LITE EL 80 VI und das streitige Gerät Phonak Naida IX SP. Mit diesem wurde ein Sprachverstehen von 80 % erreicht, mit dem Milo von 50 % und mit dem Resound von 30 %.
Auf Betreiben der Beklagten testete die Klägerin noch die Geräte Resound Ziga Power und Phonak Naida I SP, die der Hörgeräteakustiker ohne einen Eigenanteil zum Festbetrag abgegeben hätte. Mit dem Ziga erreichte sie ein Sprachverstehen von 50 %, mit dem Naida I von 70 %. Im weiteren testete sie noch das Model Unitron Shine HP, das mit einem Sprachverstehen von 70 % abschloss.
Die Klägerin entschied sich für das vo...