Dr. Konrad Osthold, Désirée Goertz
Rz. 158
Mit der Dürftigkeitseinrede kann die Begleichung von Verbindlichkeiten aus dem Eigenvermögen der Erben verweigert werden. Die Durchführung von Nachlassinsolvenz oder -verwaltung ist in diesem Fall mangels kostendeckender Masse unzweckmäßig, § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB.
Der Nachlass muss den Gläubigern im Wege der Zwangsvollstreckung zum Zwecke der Befriedigung herausgegeben werden, § 1990 Abs. 1 S. 2 BGB. Miterben haben nach der Teilung des Nachlasses das herauszugeben, was sie bei der Teilung des Nachlasses erhalten haben. Sind einzelne Gegenstände noch nicht verteilt, bezieht sich die Herausgabepflicht zusätzlich auf den Anteil des Miterben am ungeteilten Nachlass (§ 859 ZPO) sowie auf die noch gesamthänderisch gebundenen Nachlassgegenstände (§ 2059 Abs. 2, §§ 747, 779 ZPO).
Rz. 159
Diese Einrede kann allen Gläubigern gegenüber geltend gemacht werden. Ein Rechtsanwalt ist zur Erhebung dieser Einrede für seinen Mandanten verpflichtet, wenn nicht die Überschuldung des Nachlasses eindeutig ausscheidet. Da den Miterben bis zur Teilung des Nachlasses jedoch § 2059 Abs. 1 BGB zur Verfügung steht, wird der eigentliche Anwendungsbereich des § 1990 BGB für die Erbengemeinschaft in der Regel erst nach der Teilung des Nachlasses liegen.
Rz. 160
Die Dürftigkeitseinrede steht wegen ihrer einfachen Geltendmachung in starkem Kontrast zu den gerichtlichen Verfahren und hat deshalb auch eine erheblich höhere Praxisrelevanz als die Nachlassverwaltung. Oftmals werden dürftige Erbschaften aber ausgeschlagen.
Rz. 161
Liegen die Voraussetzungen der Dürftigkeitseinrede vor, ist dem Nachlassgläubiger eine Aufrechnung gegen eine private Forderung eines der Miterben nach § 390 BGB versagt.
Rz. 162
Der BGH hat die Dürftigkeitseinrede auch auf den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben auf Wertermittlung angewendet. Im konkreten Fall hat der BGH festgestellt, dass ein die Kosten der Wertermittlung deckender Nachlass nicht vorhanden war, weswegen die Erhebung der Einrede möglich war. Die Klage wurde entsprechend abgewiesen.
Diese Rechtsprechung wurde auf den Anspruch auf Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses übertragen. Eine Berufung auf die Dürftigkeitseinrede soll nach § 242 BGB unzulässig sein, wenn der Anspruchsteller bereit ist, die Kosten zu übernehmen.
Rz. 163
Für die Begleichung von Pflichtteilsansprüchen, Vermächtnissen und Auflagen verweist § 1991 Abs. 3 und 4 BGB die Erben auf die Insolvenzordnung. Der Erbe hat hier also wie ein Insolvenzverwalter die Verbindlichkeiten nach Rangfolge zu berichtigen.
Rz. 164
§ 1991 Abs. 1 BGB enthält einen Verweis auf §§ 1978, 1979 BGB, die bei Erhebung der Dürftigkeitseinrede entsprechend anzuwenden sind. Danach besteht die Möglichkeit, dass Ansprüche für und gegen den Erben entstehen. Entstehen Ansprüche gegen den Erben gehören diese gem. § 1978 Abs. 2 BGB zur Nachlassmasse. Im Fall der entsprechenden Anwendung des § 1978 BGB bei der Dürftigkeitseinrede können die Nachlassgläubiger diese Ansprüche allerdings direkt einklagen – es findet keine Verwaltung statt. Die Ansprüche des Erben auf Aufwendungsersatz gegen den Nachlass nach §§ 1991, 1978 Abs. 2 BGB sind Nachlassverbindlichkeiten.
Rz. 165
Die Einrede steht außerdem dem Nachlasspfleger und dem Testamentsvollstrecker zu; dem Nachlassverwalter hingegen nicht.