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BFH Urteil vom 15.07.1992 - II R 51/90 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Klage auf Verzicht auf Konkursvorrecht aus Billigkeitsgründen

 

Leitsatz (NV)

1. Für die Klage auf Verzicht auf ein rechtskräftig festgestelltes Konkursvorrecht des FA aus Billigkeitsgründen ist der Finanzrechtsweg gegeben.

2. Für den Verzicht auf das Konkursvorrecht aus Billigkeitsgründen ist § 227 AO zumindest entsprechend anwendbar.

3. Die Entscheidung über den Verzicht erfolgt nach den Grundsätzen für Billigkeitsmaßnahmen aus sachlichen Gründen gegenüber bestandskräftigen Steuerfestsetzungen.

4. Eine nach Bestandskraft erfolgte - dem Steuerpflichtigen günstige - Rechtsprechung rechtfertigt für sich allein keine Billigkeitsmaßnahme.

 

Normenkette

AO 1977 § 227; FGO § 33 Abs. 1; KO § 61 Abs. 1 Nr. 2, § 144

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Am 1. Oktober 1977 wurde über das Vermögen der A-GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Das beklagte Finanzamt (FA) meldete wegen von der Gemeinschuldnerin vor Konkurseröffnung erworbener Grundstücke nachzuerhebende Grunderwerbsteuer in Höhe von . . . DM am 10. Dezember 1980 als bevorrechtigte Forderung zur Konkurstabelle an. Diese Forderung wurde nach Mitteilung des Amtsgerichts vom 22.Januar 1981 aufgrund nachträglichen Anerkenntnisses des Konkursverwalters in dieser Höhe mit Vorrecht festgestellt. Die Forderung wurde mit Vorrecht in die Tabelle eingetragen.

Der Kläger ist Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin. Mit Schreiben vom 11.Juni 1983 beantragte der Kläger, auf das Vorrecht aus Rechts- und Billigkeitsgründen (§ 227 der Abgabenordnung - AO 1977 -) zu verzichten, weil die Grundstücke im Jahre 1978, d.h. nach Konkurseröffnung, unbebaut weiterveräußert worden seien. Im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. Juni 1981 II R 78/80 (BFHE 134, 57, BStBl II 1981, 758), nach dem die bei Weiterveräußerung eines vor Konkurseröffnung erworbenen Grundstücks durch den Konkursverwalter entstehende (nachzuerhebende) Grunderwerbsteuer nicht nach § 61 Abs. 1 Nr.2 der Konkursordnung (KO) bevorrechtigt sei, müsse die Finanzverwaltung auf das ihr rechtlich nicht zustehende Vorrecht verzichten. Das FA lehnte dies ab. Auch die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. In ihrer Beschwerdeentscheidung räumt die Oberfinanzdirektion (OFD) sinngemäß zwar ein, daß ihr das eingeräumte Konkursvorrecht insoweit rechtlich nicht zustehe, verfahrensrechtliche Gründe schlössen es jedoch aus, die bestandskräftige Feststellung zur Konkurstabelle abzuändern. Auch die Voraussetzungen für einen Verzicht auf das Vorrecht aus Billigkeitsgründen lägen nicht vor.

Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser wurde im wesentlichen geltend gemacht, der Beklagte könne sich nicht auf die Feststellung zur Konkurstabelle berufen, weil die Regelung des § 227 AO 1977 gerade dazu geschaffen worden sei, um dem materiellen Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Nach der Rechtsprechung komme eine Ausnahme von dem Grundsatz der Nichtüberprüfbarkeit bestandskräftiger Bescheide im Billigkeitsverfahren dann in Betracht, wenn die Sach- oder Rechtslage im vorangegangenen Steuerbescheid offensichtlich falsch beurteilt worden sei. Die gesamten Umstände des Falles könnten die Einziehung der Steuer aufgrund eines fehlerhaften, aber unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts als unbillige Härte erscheinen lassen. Es gehe nicht an, daß der Staat als Steuergläubiger mehr verlange, als ihm zustehe. Bestehe der Beklagte auf dem Vorrecht, so hieße dies, aus einem rechtsfehlerhaft erkannten Titel zu vollstrecken. Dies widerspreche dem auch im Verwaltungsrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Das Bestehen auf dem Vorrecht sei im konkreten Fall auch insbesondere deshalb unbillig, weil der Kläger das Rechtsbehelfsverfahren auf Veranlassung des Beklagten nicht durchgeführt habe. Dieser habe ihm klar zu verstehen gegeben, daß dies aussichtslos sei.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die Ablehnung der begehrten Billigkeitsmaßnahme verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Es lägen weder sachliche noch persönliche Billigkeitsgründe vor. Ein sachlicher Billigkeitsgrund könne nur dann in Betracht kommen, wenn die Festsetzung der Steuer offensichtlich eindeutig fehlerhaft sei und es dem Steuerpflichtigen entweder objektiv unmöglich oder subjektiv unzumutbar gewesen sei, sich rechtzeitig gegen die Fehlerhaftigkeit zu wenden. Diese Voraussetzung läge im Streitfall nicht vor. Insbesondere läge kein außergewöhnliches Verhalten der Finanzbehörde vor, durch das der Kläger veranlaßt worden sein könnte, keinen Rechtsbehelf einzulegen. Das FA habe lediglich die damals allgemein für zutreffend gehaltene Rechtsauffassung der Finanzverwaltung vertreten, der sich der Kläger offenbar angeschlossen habe.

Auf Beschwerde des Klägers hat der erkennende Senat die Revision gegen das Urteil des FG zugelassen.

Mit der Revision macht der Kläger einen Verstoß des FA gegen § 227 AO 1977 sowie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Steuerrecht geltend. Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seiner ablehnenden Entscheidung und der Beschwerdeentscheidung zu verpflichten, auf sein Konkursvorrecht hinsichtlich eines Grunderwerbsteueranspruchs in Höhe von . . . DM aus Billigkeitsgründen zu verzichten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

1. Für den Rechtsstreit ist der Finanzrechtsweg gegeben (§ 33 Abs. 1 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Streitig ist, ob das beklagte FA zum Verzicht auf ein Konkursvorrecht i.S. von § 61 Abs. 1 Nr.2 KO für einen Grunderwerbsteueranspruch, das durch Eintragung in die Tabelle rechtskräftig festgestellt wurde, aus Billigkeitsgründen verpflichtet ist. Dies ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über eine Abgabenangelegenheit i.S. des § 33 Abs. 2 FGO; das vom Kläger verfolgte Begehren wurzelt im (öffentlich-rechtlichen) Abgabenrecht (vgl. auch die durch § 251 Abs. 3 AO 1977 bewirkte Rechtswegzuweisung zu den Finanzgerichten).

Ein Verzicht auf das Konkursvorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr.2 KO ist möglich (Geist, Insolvenzen und Steuern, 3. Aufl. 1980, Rz.77; Beermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 251 AO 1977 Rz.66; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 251 AO 1977 Anm.24). Ein einmal ausgesprochener (wirksamer) Verzicht ist dann bei der Verteilung zu berücksichtigen und kann ggf. im Wege der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden (Jaeger, Konkursordnung, 8. Aufl., § 145 Anm.11). Die - nach Auffassung des Klägers bestehende - Verpflichtung des Beklagten zum Verzicht auf das Vorrecht kann ihrerseits - zumindest aus den vom Kläger geltend gemachten (Billigkeits-)Gründen - nur aus dem Abgabenrecht bzw. aus abgabenrechtlichen Grundsätzen und damit aus dem öffentlichen Recht hergeleitet werden. Für einen Rechtsstreit über einen Billigkeitserlaß des Steueranspruchs als solchen ist auch nach Konkurseröffnung der Finanzrechtsweg eröffnet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 24. November 1988 V R 186/83, BFH/NV 1989, 419, 420; FG Schleswig-Holstein vom 22.November 1963 II 126/63, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1964, 241). Dies muß notwendigerweise auch gelten für einen Rechtsstreit, in dem es unter Berufung auf für eine Billigkeitsmaßnahme nach § 227 AO 1977 maßgebliche Gründe zwar nicht um einen Erlaß des Steueranspruchs selbst, wohl aber um eine in der Wirkung (hier für die sonstigen Konkursgläubiger) vergleichbare Maßnahme geht (a.A. zum früheren Recht FG Stuttgart vom 12. Mai 1964 II 903/63, EFG 1964, 455).

2. Der Kläger ist als Konkursverwalter auch klagebefugt. Dies folgt aus der allgemeinen Stellung des Konkursverwalters (§ 6 KO). Für einen Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit eines Feststellungsbescheids nach § 251 Abs. 3 AO 1977 ist der Konkursverwalter klagebefugt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 26. November 1987 V R 130/82, BFHE 151, 349, BStBl II 1988, 124). Dasselbe gilt für einen Rechtsstreit über den Erlaß des Steueranspruchs als solchen (vgl. z.B. Geist, a.a.O., Rz.152). Es sind keine Gründe ersichtlich, warum insoweit für einen Rechtsstreit über die Verpflichtung zum Verzicht auf ein Konkursvorrecht aus Billigkeitsgründen etwas anderes gelten sollte (a.A. wiederum FG Stuttgart in EFG 1964, 455).

3. Das FG hat es im Ergebnis zu Recht bejaht, daß das FA einen Verzicht auf das Konkursvorrecht ohne Rechtsverstoß ablehnen konnte.

a) Das Konkursvorrecht beruht auf dem Entstehungsgrund der Forderung und haftet ihr als eine ihr selbst innewohnende Kraft an (RGZ 135, 25, 32; BGHZ 13, 73, 77; 34, 293, 298; Jaeger, a.a.O., § 61 Rdnr.11). Es ist kein Recht, das neben die Forderung tritt, sondern eine Eigenschaft der Forderung. Gleichwohl ist es selbst kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. von § 37 Abs. 1 AO 1977, der nach dem Wortlaut des § 227 Abs. 1 AO 1977 allein Erlaßgegenstand sein kann. Das Konkursvorrecht bewirkt, daß unter Durchbrechung des Prinzips der gleichmäßigen Befriedigung aller Konkursgläubiger der Bevorrechtigte vorzugsweise befriedigt wird. Der Verzicht auf das Vorrecht hat zur Folge, daß sich einerseits die an die nichtbevorrechtigten Konkursgläubiger zu verteilende Konkursmasse entsprechend vergrößert und andererseits die tatsächliche Möglichkeit der Realisierung des Steueranspruchs selbst entsprechend verringert wird. Der Verzicht auf das Vorrecht kommt daher ggf. einem (teilweisen) Verzicht auf die Realisierung eines Steueranspruchs und damit einem Erlaß des Steueranspruchs gleich. Dies rechtfertigt und gebietet eine zumindest entsprechende Anwendung des § 227 AO 1977 auf einen Verzicht auf das Konkursvorrecht aus Billigkeitsgründen (a.A. wohl Geist, a.a.O., Rz.77, der keine ,,erlaßähnliche Maßnahme" annimmt; zur Frage, ob die in §§ 163, 227 AO 1977 getroffenen Regelungen Ausdruck eines allgemeinen Prinzips sind, vgl. von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., 9. Aufl., § 227 AO 1977, Rz.35).

b) Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 227 AO 1977 ist eine Ermessensentscheidung (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes - GmS-OGB - vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603), die im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden kann, ob der auf den Antrag ergangene Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO).

Auf der Grundlage der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Ablehnung der vom Kläger begehrten Billigkeitsmaßnahme ermessensfehlerhaft zustande gekommen ist.

aa) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf sachliche Billigkeitsgründe berufen.

Im Streitfall sind die Beteiligten übereinstimmend - und im Hinblick auf das Urteil des erkennenden Senats vom 3. Juni 1981 II R 78/80 (BFHE 134, 57, BStBl II 1981, 758) rechtlich zutreffend - nunmehr der Auffassung, daß das Konkursvorrecht für den Grunderwerbsteueranspruch - im angefochtenen Umfang - dem Beklagten an sich nicht zustünde. Das Konkursvorrecht ist jedoch uneingeschränkt für den gesamten Grunderwerbsteueranspruch des Beklagten in die Konkurstabelle eingetragen worden. Wird ein Steueranspruch als Konkursforderung mit Vorrecht angemeldet und widerspricht weder der Konkursverwalter noch ein Konkursgläubiger, so gilt die Steuerforderung nach Bestand, Betrag und Vorrecht als festgestellt (§ 144 Abs. 1 KO). Die Eintragung in die Konkurstabelle wirkt hinsichtlich der festgestellten Forderung und des Vorrechts wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber allen Konkursgläubigern (§ 145 Abs. 2 KO). Die Forderung als solche und das Bestehen des Vorrechts kann von diesen Beteiligten nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden. Bei dieser Sachlage sind im Billigkeitsverfahren geltend gemachte Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit des in die Tabelle eingetragenen Vorrechts (nur) nach denselben Grundsätzen zu berücksichtigen wie in einem Erlaßverfahren erhobene Einwendungen gegen bestandskräftig festgesetzte Steuern.

Nach ständiger Rechtsprechung rechtfertigt allein die Einwendung, die bestandskräftige Steuerfestsetzung sei materiell-rechtlich falsch, noch nicht die Annahme einer sachlichen Härte. Nach der Rechtsprechung des BFH wird vielmehr eine sachliche Überprüfung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen im Billigkeitsverfahren lediglich dann zugelassen, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStBl II 1981, 611; vom 11.August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512).

Diese Voraussetzungen für das Vorliegen einer sachlichen Härte sind im Streitfall nicht erfüllt. Es kann dahingestellt bleiben, ob im Streitfall die Feststellung des Konkursvorrechts in diesem Sinne offensichtlich und eindeutig falsch ist (wofür ggf. die Frage des für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkts entscheidend sein könnte; vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512). Auf jeden Fall fehlt die nach den Grundsätzen der Rechtsprechung erforderliche weitere Voraussetzung für das Vorliegen einer sachlichen Härte. Dem Kläger war es weder unmöglich noch unzumutbar, sich gegen das von dem FA beanspruchte Konkursvorrecht rechtzeitig zu wenden. Zum Zeitpunkt der Anmeldung und Eintragung des Grunderwerbsteueranspruchs des FA mit Vorrecht in die Tabelle war die Rechtsfrage, ob für einen derartigen Grunderwerbsteueranspruch ein Konkursvorrecht bestand, noch nicht höchstrichterlich geklärt. Erst durch das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 134, 57, BStBl II 1981, 758 wurde klargestellt, daß dann, wenn der Konkursverwalter ein Grundstück unbebaut weiterveräußert, für dessen Erwerb der Gemeinschuldner Grunderwerbsteuerbefreiung in Anspruch genommen hat, die Forderung auf die Nachsteuer kein Konkursvorrecht genießt. Der Kläger hat seinerzeit die Auffassung des FA, es bestehe ein Vorrecht, akzeptiert. Die Auffassung des FA entsprach der dem Kläger seinerzeit bekannten allgemeinen Verwaltungsauffassung (vgl. Rundverfügung der OFD Köln vom 28. August 1971 S 4541 - 3 - St 221, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau - DVR - 1972, 93). Daraus folgt jedoch nicht, daß dadurch - wie der Kläger meint - ein ,,Vertrauenstatbestand" auf die Richtigkeit der Verwaltungsauffassung geschaffen worden sei. Vielmehr steht jede - auch in allgemeinen Verwaltunganweisungen enthaltene - Verwaltungsauffassung stets gleichsam unter dem Vorbehalt einer (späteren) Korrektur durch die Rechtsprechung (vgl. zum umgekehrten Fall, daß die Rechtsprechung zu einer Verschärfung der Verwaltungsauffassung führt, BFH-Urteil in BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512). Der in der Bestandskraft zum Ausdruck gekommene Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es jedenfalls, das Festhalten an einer bestandskräftig erfolgten Feststellung allein deswegen als sachlich unbillig zu werten, weil sie in sachlichem Widerspruch zu einer späteren - dem Steuerpflichtigen günstigen - höchstrichterlichen Rechtsprechung steht. Die gegenteilige Auffassung würde zu einer fast uneingeschränkten Durchbrechung des Prinzips der Bestandskraft führen.

Besondere darüber hinausgehende Umstände, die dem Kläger die rechtzeitige Erhebung von Einwendungen gegen das Konkursvorrecht unmöglich oder unzumutbar gemacht hätten, liegen im Streitfall nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt nicht vor. Das FA hat danach lediglich die damals von der Finanzverwaltung allgemein für zutreffend gehaltene Rechtsauffassung vertreten. Allein die Berufung auf die allgemeine Verwaltungsanweisung (vgl. Rundverfügung der OFD Köln vom 28. August 1971, a.a.O.) kann jedenfalls nicht als ungewöhnliches, den Kläger in seiner Entscheidung über die Erhebung von Einwendungen gegen das Vorrecht in unzulässiger Weise beeinflussendes Verhalten des FA gewertet werden. Zu berücksichtigen ist in diesem Fall auch, daß die angesprochene allgemeine Verwaltungsanweisung - auf die sich der Kläger insoweit beruft - sich auf keine Rechtsprechung stützt, vielmehr selbst ausdrücklich den Vorbehalt ,,einer abweichenden Entscheidung durch die Rechtsbehörden" enthält. Eine unzulässige Beeinflussung des Klägers lag jedenfalls insoweit nicht vor. Aus denselben Gründen wurde durch das Verhalten des FA auch kein Tatbestand geschaffen, der ein späteres Festhalten des FA an dem einmal festgestellten Konkursvorrecht als gegen Treu und Glauben verstoßend erscheinen ließe.

Der Senat ist sich bei seiner Entscheidung bewußt, daß jede Einordnung einer Forderung in § 61 Abs. 1 Nrn.1 bis 5 KO große Behutsamkeit erfordert, weil jede Bevorzugung einzelner Forderungen zwangsläufig zu Lasten anderer Gläubiger geht und regelmäßig auch zu neuen Unstimmigkeiten der Konkursabwicklung führt (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983, 2 BvR 485, 486/80, Neue Juristische Wochenschrift 1984, 475). Dieser Grundsatz kann nach Auffassung des Senats jedoch nicht bedeuten, daß ein einmal rechtskräftig festgestelltes Vorrecht stets wieder in seiner Wirkung zu beseitigen ist, wenn sich nachträglich materiell-rechtlich dessen Nichtbestehen herausstellt. Insoweit mißt der Senat dem Grundsatz der Rechtssicherheit größeres Gewicht zu.

bb) Auch das vom FG angenommene Nichtvorliegen persönlicher Billigkeitsgründe ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418601

BFH/NV 1993, 400

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