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BFH Urteil vom 26.09.1968 - IV 22/64

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Leitsatz (amtlich)

1. Eine tarifbegünstigte Teilbetriebsveräußerung oder -aufgabe liegt nicht vor, wenn bei der Einstellung der Produktion eines Zweigwerkes nicht alle wesentlichen stillen Reserven - vor allem die in den Grundstücken enthaltenen - aufgelöst werden.

2. Die für die freiwillige Einstellung eines nicht mehr rentablen Produktionszweigs von einem Konkurrenzunternehmen gezahlte Abfindung ist keine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG.

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 1, 3, § 24 Nr. 1, § 34 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Streitig ist bei der einheitlichen Gewinnfeststellung 1958, ob eine Teilbetriebsveräußerung vorliegt und ob der von einem Konkurrenzunternehmen bezahlte Abfindungsbetrag eine tarifbegünstigte Entschädigung darstellt (§ 16, § 24 Nr. 1, § 34 EStG).

Die Revisionsklägerin ist eine OHG. Sie unterhielt im Streitjahr zwei Zweigwerke mit verschiedenen Produktionsprogrammen, eines in A., das andere seit 1957 in B.

Im Einvernehmen mit dem wichtigsten Konkurrenzunternehmen, einer AG, stellte die OHG ab 1. November 1958 in A. die Produktion, die ihr keine Gewinne mehr gebracht hatte, ein. Die AG zahlte der OHG einen einmaligen Abfindungsbetrag von 20 000 DM. Zugleich erklärte sich die OHG bereit, ihre Betriebsgrundstücke in A. mit allen Betriebsgebäuden samt Betriebs- und Geschäftsausstattung an die AG zu vermieten. Die AG verpflichtete sich, während der Dauer des Mietvertrags in A. keine Konkurrenz zu machen. Die OHG verkaufte an die AG einen Teil der Vorräte. Von der AG nicht benötigte Maschinen wurden in das Werk B. verbracht. Die Verwaltung des Unternehmens blieb in B.

Die OHG erklärte für 1958 einen Gewinn von 44 582 DM, davon einen Betrag von 31 910 DM als Betriebsaufgabegewinn, für den sie die Tarifbegünstigung des § 34 EStG beantragte. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus der Abfindungssumme von 20 000 DM und dem Buchgewinn aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern an die AG in Höhe von 11 910 DM.

Das FA versagte die Tarifbegünstigung, da keine Teilbetriebsveräußerung oder -aufgabe vorliege. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Mit der Berufung machte die OHG geltend, sie habe einen Teilbetrieb - mit Ausnahme des Grund und Bodens und der aufstehenden Gebäude - an die AG veräußert. Die AG habe auch die gesamte Belegschaft und den Kundenkreis übernommen. Für die hierfür von der AG gezahlte Entschädigung von 20 000 DM beantrage sie vorsorglich die Tarifvergünstigung nach § 24 Nr. 1 EStG.

Das FG wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte aus, daß es sich nicht um einen Teilbetrieb gehandelt habe. Die Werke der OHG in A. und B. seien sowohl hinsichtlich der Produktion, des Warenlagers, der Maschinen und Einrichtungsgegenstände, der Verwaltung, des Kundenkreises und der Buchhaltung nicht selbständig gewesen. Selbst wenn ein Teilbetrieb vorgelegen hätte, handelte es sich nicht um eine Veräußerung oder Aufgabe im Sinne des § 16 EStG. Denn ein wesentlicher Teil des Anlagevermögens und des Umlaufvermögens des Zweigbetriebs in A. sei in das Zweigwerk B. übernommen worden (Hinweis auf das Urteil des BFH IV 298/58 vom 10. März 1960, HFR 1961, 28). Das gelte vor allem für den Grund und Boden sowie für die Betriebs- und Wohngebäude in A. Der Abfindungsbetrag sei auch nicht nach § 24 Nr. 1, § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG tarifbegünstigt. Er stelle keine Entschädigung dar. Der Wettbewerbsverzicht sei von der OHG freiwillig ausgesprochen worden und habe ausschließlich oder überwiegend in ihrem Interesse gelegen.

In ihrer Rechtsbeschwerde rügt die OHG unrichtige Rechtsanwendung. Das FG habe den Begriff des Teilbetriebs verkannt. Es seien auch die wesentlichen Grundlagen des Teilbetriebs in A. auf die AG übergegangen. Die Feststellung des FG, daß die nichtveräußerten Betriebsteile wesentlich gewesen seien, verstoße gegen den klaren Inhalt der Akten. Zumindest müsse für die Abstandszahlung von 20 000 DM die Tarifvergünstigung unter dem Gesichtspunkt der Entschädigung gewährt werden. Denn das Gesetz schließe freiwillige Abfindungen nicht aus.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem Zweigwerk in A. und bei dem dort eingestellten Teil der Gesamtproduktion des Unternehmens um einen Teilbetrieb im Sinne des § 16 EStG handelte. Denn auch bei Bejahung dieser Frage könnte, wie das FG zutreffend ausführte, eine Teilbetriebsveräußerung oder -aufgabe deshalb nicht angenommen werden, weil die stillen Reserven in wesentlichen Teilen des Betriebsvermögens des Zweigbetriebes nicht realisiert wurden. Die Vorentscheidung verstieß nicht, wie die OHG meint, gegen den Inhalt der Akten, wenn sie besonders das Grundvermögen zu diesen wesentlichen Teilen rechnete. Da der gesamte Grundbesitz mit den aufstehenden Gebäuden Eigentum der OHG blieb, fehlt es an einem alle wesentlichen stillen Reserven des dem Zweigbetrieb dienenden Betriebsvermögens erfassenden Realisierungsvorgang, der die Anwendung des § 34 EStG rechtfertigen würde. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil IV 102/64 U vom 28. Oktober 1964 (BFH 81, 240, BStBl III 1965, 88), an dessen Grundsätzen er festhält. Die Grundstücke blieben Betriebsvermögen der OHG. Ein begünstigter Betriebsaufgabegewinn käme nur in Betracht, wenn sie in das Privatvermögen der Gesellschafter überführt worden wären (vgl. BFH-Urteil IV R 8/67 vom 16. November 1967, BFH 90, 329, BStBl II 1968, 78). Eine Zwangsauflösung der stillen Reserven des Zweigwerks scheidet aus, da das gewerbliche Gesamtunternehmen bestehen blieb (vgl. BFH-Urteil I 5/61 U vom 26. September 1961, BFH 73, 689, BStBl III 1961, 517).

2. Die Abstandszahlung von 20 000 DM ist nicht unter dem Gesichtspunkt der Entschädigung im Sinn des § 24 Nr. 1 EStG in Verbindung mit § 34 Abs. 2 EStG tarifbegünstigt. Denn aus dem Begriff der Entschädigung ergibt sich, daß es sich um eine Einnahme handeln muß, die einen "Schaden" ausgleicht. Von einem zu einem Schaden führenden Ereignis kann nur dann die Rede sein, wenn der Verlust von Einnahmen auf einen im Rahmen der Einkunftsart ungewöhnlichen Sachverhalt zurückzuführen ist, mit dem der Steuerpflichtige im allgemeinen nicht rechnet. Diese Voraussetzung mag zwar im Streitfall erfüllt sein. Es ist aber darüber hinaus erforderlich, daß das zur Einnahme führende Ergebnis in der Regel ohne oder gegen den Willen des Steuerpflichtigen eingetreten sein muß (vgl. BFH-Urteile IV 223/58 S vom 17. Dezember 1959, BFH 70, 195, BStBl III 1960, 72; VI 106/59 U vom 4. November 1960, BFH 71, 702, BStBl III 1960, 512; IV 55/64 S vom 2. Dezember 1965, BFH 84, 250, BStBl III 1966, 91). Bei der zu der Abfindung führenden freiwilligen Einstellung des Produktionszweiges handelte es sich nicht um ein solches Ereignis. Die Abfindung ist daher weder unter dem Gesichtspunkt des § 24 Nr. 1a EStG (Ersatz für entgehende Einnahmen) noch unter dem des § 24 Nr. 1b EStG (Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit) tarifbegünstigt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68358

BStBl II 1969, 69

BFHE 1969, 10

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