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BSG Urteil vom 26.04.1960 - 10 RV 420/57

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Leitsatz (amtlich)

BVG § 3 Abs 2 verlangt ein unmittelbares Vertragsverhältnis zur Wehrmacht.

 

Normenkette

BVG § 3 Abs. 2 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 11. Januar 1957 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Kläger begehren vom 1. Oktober 1950 an Hinterbliebenenrente nach ihrem am 1. Januar 1942 in Finnland verstorbenen Ehemann und Vater. Der Verstorbene war bereits vor dem zweiten Weltkrieg als Bauhilfsarbeiter bei der Firma R in F tätig. Im September 1941 wurde er durch das Arbeitsamt zu dieser Firma dienstverpflichtet und von der Firma zu Bauarbeiten in R (Finnland) eingesetzt. Die Dienstverpflichtung erfolgte, weil das Bauunternehmen R Bauaufträge der Luftwaffe in Finnland auszuführen beauftragt war. Im Laufe dieses Arbeitseinsatzes in Finnland, der nach den Angaben der Bauunternehmung R unter ziviler Bauleitung etwa 400 km hinter der Front durchgeführt wurde, erlag der Ehemann und Vater der Kläger nach der Todesbescheinigung des Truppenarztes bei der Dienststelle Feldpost-Nr. L 06961 vom 16. März 1942 am 1. Januar 1942 einem Herzschlag.

Das Versorgungsamt (VersorgA.) hat den Antrag auf Versorgung abgelehnt und ausgeführt, der Verstorbene habe weder militärischen noch militärähnlichen Dienst geleistet; der Tod sei auch nicht durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung herbeigeführt worden.

Auf die gegen diese Ablehnung eingelegte Berufung hat das Oberversicherungsamt (OVA.) L den Beklagten verurteilt, der Klägerin zu 1.) vom 1. Oktober 1950 ab die Witwenrente, der Klägerin zu 2.) vom 1. Oktober 1950 bis zum 20. Februar 1952 die Waisenrente und der Klägerin zu 3.) vom 1. Oktober 1950 ab bis auf weiteres die Waisenrente zu zahlen. Im übrigen hat das OVA. die Berufung der Kläger, soweit mit ihr Hinterbliebenenversorgung nach dem Bayerischen Körperbeschädigtenleistungsgesetz (KBLG) erstrebt war, als unbegründet zurückgewiesen. Auf den vom Beklagten eingelegten Rekurs, der als Berufung auf das Landessozialgericht (LSG.) übergegangen ist, hat das LSG. das Urteil des OVA. L aufgehoben und die Klage gegen den ablehnenden Bescheid des VersorgA. abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Tod des Ehemannes und Vaters der Kläger stehe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit einer militärischen oder militärähnlichen Dienstverrichtung, mit einem Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder mit einer gesundheitlichen Schädigung, die der Verstorbene durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse erlitten hat. Nach § 3 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) berechtige ziviler Dienst, der auf Grund einer Dienstverpflichtung oder eines Arbeitsvertrages bei der Wehrmacht geleistet worden ist, nicht zur Versorgung, es sei denn, daß der Einsatz mit besonderen, kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden war. Der Verstorbene habe in keinem Vertragsverhältnis mit der Wehrmacht gestanden und sei auch nicht zur Wehrmacht, sondern zu der Baufirma R dienstverpflichtet worden. Diese allein sei der zivile Arbeitgeber des Verstorbenen gewesen und habe sich seiner neben anderen Arbeitern bei der Ausführung von Arbeiten für die Wehrmacht in Finnland bedient. Demgegenüber komme der Tatsache, daß eine notwendige ärztliche Betreuung durch Truppenärzte erfolgt sei, keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Das LSG. hat die Revision zugelassen.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.

Sie stützen die Statthaftigkeit der Revision auf § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und rügen eine Verletzung der §§ 38, 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 BVG. Sie sind der Ansicht, § 3 Abs. 2 BVG setze nicht voraus, daß ein unmittelbares Arbeitsverhältnis bei der Wehrmacht bestanden hat. Es gebe keinen überzeugenden Grund, der es rechtfertigen könnte, zwischen unmittelbaren und mittelbaren Vertragsverhältnissen zu unterscheiden. Der mittelbar der Wehrmacht Verpflichtete sei in gleicher Weise wie der unmittelbare Vertragspartner den kriegseigentümlichen Gefahren ausgesetzt gewesen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision der Kläger gegen das Urteil des Bayerischen LSG. vom 11. Januar 1957 zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, daß die von den Klägern gerügte Verletzung der §§ 38, 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 BVG nicht vorliegt. Das LSG. habe ohne Rechtsirrtum und mit schlüssiger Begründung entschieden, daß sich § 3 Abs. 2 BVG nur auf Personen bezieht, die in einem unmittelbaren Vertragsverhältnis mit der Wehrmacht gestanden haben.

Die vom LSG. gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie konnte keinen Erfolg haben.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Versorgung. Sie gehören nicht zu dem nach dem BVG berechtigten Personenkreis. Es handelte sich bei der Tätigkeit des Verstorbenen im Rahmen der der Firma R in R übertragenen und von ihr dort ausgeführten Bauarbeiten um keinen militärischen oder militärähnlichen Dienst im Sinne des BVG. Es liegen insbesondere die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Buchst. b, k und m BVG nicht vor, wie das angefochtene Urteil in Übereinstimmung mit der Ansicht der Beteiligten angenommen hat. Der Verstorbene hat seinen Dienst weder auf Grund einer Einberufung oder auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht noch im Rahmen der Organisation Todt noch auf Grund der 3. Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung (Notdienstverordnung) vom 15. Oktober 1938 (RGBl. I S. 1441) geleistet. Der zivile Dienst, den der Kläger geleistet hat, gilt nach § 3 Abs. 2 BVG nur dann als militärähnlich, wenn er auf Grund einer Dienstverpflichtung oder eines Arbeitsvertrages bei der Wehrmacht geleistet worden ist und mit besonderen - kriegseigentümlichen - Gefahren für die Gesundheit verbunden war. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Mit dem LSG. ist davon auszugehen, daß § 3 Abs. 2 BVG sich nur auf Personen bezieht, die in einem unmittelbaren Vertragsverhältnis zur Wehrmacht gestanden haben. Aus den Worten "bei der Wehrmacht" in dieser Vorschrift kann nicht geschlossen werden, daß damit etwas anderes zum Ausdruck komme als mit den Worten "mit der Wehrmacht" oder "zu der Wehrmacht" und daß somit der Wortlaut des Gesetzes das Bestehen eines unmittelbaren Vertragsverhältnisses mit oder zur Wehrmacht nicht erfordere. Der Gebrauch des Wortes "bei" erklärt sich daraus, daß das Gesetz nicht von einer Dienstverpflichtung "mit" der Wehrmacht oder einem Arbeitsvertrag "zur" Wehrmacht sprechen konnte und daher - weil es die Dienstverpflichtung neben dem Arbeitsvertrag erwähnt - das für beide Begriffe sprachlich passende Wort "bei" gewählt hat. Daß § 3 Abs. 2 BVG ein unmittelbares Vertragsverhältnis zur Wehrmacht voraussetzt, ergibt sich insbesondere aus der Erwähnung der Dienstverpflichtung, die das Gesetz einem Arbeitsvertrag gleichgesetzt hat. Bei der Dienstverpflichtung einer Person zur Wehrmacht auf Grund der Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 13. Februar 1939 (RGBl. I S. 206) und der Dienstpflicht-Durchführungsverordnung vom 2. März 1939 (RGBl. I S. 403) galt der Arbeitsvertrag gemäß § 2 Abs. 2 der Dienstpflicht-Durchführungsverordnung zwischen der Wehrmacht und dem Verpflichteten mit Zustellung des Verpflichtungsbescheides durch das Arbeitsamt als abgeschlossen. "Bei" der Wehrmacht in § 3 Abs. 2 BVG kann im Hinblick auf § 2 Abs. 2 der Dienstpflicht-Durchführungsverordnung nur so ausgelegt werden, daß es sich um zivilen Dienst handeln muß, der auf Grund einer Dienstverpflichtung geleistet worden ist, die ein unmittelbares Arbeitsverhältnis bei der Wehrmacht begründet hat.

Die zu § 3 Abs. 2 BVG bisher nicht einheitlich entschiedene Frage, ob diese Vorschrift ein unmittelbares Rechtsverhältnis voraussetze oder auch ein mittelbares genüge, beantwortet sich somit für Dienstverpflichtungen der angegebenen Art durch die der Verpflichtung zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen selbst. Die hier gegebene Auslegung des § 3 Abs. 2 BVG rechtfertigt auch seine geschichtliche Entwicklung. Die Vorschrift geht auf § 96 Nr. 6 des früheren Reichsversorgungsgesetzes (RVG) zurück, der Personen in den versorgungsberechtigten Kreis einbezog, "die der Wehrmacht durch privatrechtlichen Dienstvertrag zur Dienstleistung verpflichtet sind". Dieser Wortlaut sowie die zu dieser Vorschrift ergangenen Ausführungsbestimmungen haben niemals Zweifel darüber aufkommen lassen, daß § 96 Nr. 6 RVG nur Personen erfaßte, die in einem unmittelbaren Vertragsverhältnis zur Wehrmacht gestanden hatten (Komm. "Von Reichsvers. Beamten zum RVG", 2. Aufl., 1929, Anm. 29 zu § 96 Nr. 6 und Anm. 18 zu § 1). Wenn der Gesetzgeber durch § 3 Abs. 2 BVG entgegen dem früheren § 96 Nr. 6 RVG den versorgungsberechtigten Personenkreis auf Personen hätte ausdehnen wollen, die nicht in einem unmittelbaren Vertragsverhältnis zur Wehrmacht gestanden haben, so wäre dies entweder im Wortlaut der Vorschrift eindeutig zum Ausdruck gekommen oder würde wenigstens in den Materialien zum BVG erwähnt sein. Schließlich geht auch die am 31. August 1953 eingefügte Verwaltungsvorschrift Nr. 11 Abs. 1 zu § 3 BVG, die zwar keinerlei "authentische Auslegung" der gesetzlichen Vorschrift enthält, sondern der nur zu entnehmen ist, wie nach der Meinung der Verwaltung das Gesetz auszulegen ist (BSG. 6 S. 252), ebenfalls von der hier dem § 3 Abs. 2 BVG gegebenen Interpretation aus.

Im vorliegenden Fall tragen die Kläger im Hinblick auf die Mitteilung der Firma R vor, der Verstorbene habe auf Grund einer Dienstverpflichtung Dienst getan. Der Verstorbene ist, wie das LSG. unbeanstandet festgestellt hat, nicht zur Dienstleistung bei der Wehrmacht verpflichtet worden. Die Arbeitsaufnahme hatte allein bei der Firma R zu erfolgen. Von dieser Firma hat der Verstorbene seinen Lohn erhalten, und auf Grund des mit ihr begründeten Arbeitsverhältnisses ist er sozialversicherungspflichtig gewesen. Damit entfällt die nach § 3 Abs. 2 BVG erforderliche Unmittelbarkeit eines Vertragsverhältnisses zur Wehrmacht.

Die auf §§ 38, 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 BVG gestützte Revision konnte keinen Erfolg haben. Das LSG. hat die Vorschrift des § 3 Abs. 2 BVG richtig ausgelegt und daraus folgend §§ 38, 1 Abs. 1 richtig angewendet. Die Revision war daher gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 106

NJW 1960, 1543

DVBl. 1961, 797

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