Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung mangels ordnungsgemäßer Massenentlassungsanzeige. Fehlende Stellungnahme des Betriebsrats als Anlage zur Massenentlassungsanzeige. Verletzung der Anhörungspflicht des Betriebsrats. Glaubhaftmachung der mündlichen Anhörung des Betriebsrats
Leitsatz (redaktionell)
1. Die betriebsbedingte Kündigung ist wegen der nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige an die Arbeitsagentur unwirksam; weder wurde der Betriebsrat bis spätestens zwei Wochen vorher zutreffend informiert noch eine entsprechende Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt.
2. Die Anhörung des Betriebsrats kann auch mündlich erfolgen und ist mit den Beweismitteln des § 294 ZPO glaubhaft zu machen.
Normenkette
ZPO § 240; KSchG § 17 Abs. 1-3; ZPO § 294 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Bocholt (Entscheidung vom 15.11.2019; Aktenzeichen 2 Ca 361/19) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 15.11.2019 - 2 Ca 361/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Rechtswirksamkeit einer aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Kündigung.
Der 1971 geborene Kläger ist seit dem 01. März 2000 bei der Insolvenzschuldnerin zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.580,00 € beschäftigt.
Die Insolvenzschuldnerin, die zur I-Unternehmensgruppe gehört, unterhielt in D und T zwei Betriebe. In beiden Betrieben waren Betriebsräte gebildet, ferner ein Gesamtbetriebsrat.
Die alleinige Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin, die I AG & Co. KG, fasste am 05. Oktober 2018 den Beschluss, das Projekt "Konzept K 2" umzusetzen. Dieses sah mehrere Maßnahmen innerhalb der I-Unternehmensgruppe vor. Eine dieser Maßnahmen war die Stilllegung der Betriebe der Beklagten.
Die Belegschaft und die Betriebsräte, die zuvor das Konzept K 2 erhalten hatten, wurden am 08. Oktober 2018 im Rahmen einer Betriebsversammlung über die Stilllegungsabsicht informiert. In der Folgezeit fanden am 12. und 24. Oktober 2018 sowie am 13. und 20. November 2018 Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan statt. Anlässlich des ersten Verhandlungstermins teilte die Insolvenzschuldnerin den Betriebsräten mit, dass mit den Interessenausgleichsverhandlungen auch das Konsultationsverfahren durchgeführt werden solle, womit diese einverstanden waren. Da die Verhandlungen scheiterten, wurde eine Einigungsstelle eingerichtet, die erstmals am 08. Januar 2019 tagte.
Unter dem 11. Januar 2019 schrieb die Insolvenzschuldnerin den Gesamtbetriebsrat wie folgt an:
"Anzeigepflichtige Entlassungen nach § 17 Abs. 1 KSchG
Hier: Unterrichtung/Durchführung des Konsultationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 2 KSchG, vorsorgliche Durchführung eines Konsultationsverfahrens
Sehr geehrter Herr U,
Sie haben bereits an den am 12.10.2018, 24.10.2018, 13.11.2018 und 20.11.2018 durchgeführten Verhandlungen bei den Bemühungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs teilgenommen, die Betriebsräte beider I1-Standorte waren dabei komplett vertreten. Darüber hinaus fand am 08.01.2019 ein erster Termin einer Einigungsstelle statt.
Wir gehen deshalb davon aus, dass allen Betriebsräten die diesem Anschreiben zugrundeliegenden Überlegungen bekannt sind. .....
Zur Vorbereitung der Kündigungen, die zur Vermeidung gravierender wirtschaftlicher Nachteile für die I1 GmbH unbedingt noch im Januar 2019 ausgesprochen werden müssen, führen wir hiermit das Konsultationsverfahren mit Ihnen durch.
....
Nur ergänzend weisen wir darauf hin, dass die im Kündigungsschutzgesetz § 17 Abs. 3 geregelte 2-Wochen-Frist schon dadurch eingehalten wurde, dass bereits in den vergangenen vier Gesprächsterminen, anlässlich derer über das Zustandekommen eines Interessenausgleichs verhandelt worden ist, sämtliche maßgeblichen Fakten offengelegt worden sind.
...
Wir möchten Sie daher bitten, uns spätestens bis zum
18. Januar 2019
Ihre Stellungnahme zu der vorstehend geplanten Betriebsstilllegung mitzuteilen."
Am 14. Januar 2019 erstatte die Insolvenzschuldnerin bei der Agentur für Arbeit für beide Betriebe jeweils eine Massenentlassungsanzeige. In den Formularblättern zu den Massenentlassungsanzeigen gab sie jeweils an, dass eine Stellungnahme des Betriebsrates zu den angezeigten Entlassungen nicht beigefügt sei. Der Betriebsrat sei gemäß § 17 Abs. 2 KSchG schriftlich informiert worden. Eine Kopie der Mitteilung sei der Anzeige als Anlage 3 beigefügt.
Als Anlage 3 war der Massenentlassungsanzeige das Anschreiben vom 11. Januar 2019, das wiederum als Anlage eine E-Mail der Bevollmächtigten des Gesamtbetriebsrates vom 07. Januar 2019 enthielt, beigefügt.
Die Agentur für Arbeit bestätigte unter dem 15. Januar 2019 den vollständigen Eingang der Anzeige.
Nachdem auch die nächste Sitzung der Einigungsstelle am 17. Januar 2019 zu keiner Einigung geführt hat, hörte die Insolvenzschuldnerin den Betriebsrat am 21. Januar 2019 gemäß § 102 BetrVG zur beabsichtigten Kündigung des Kläge...