Leitsatz (amtlich)
1. Der bloße Verlust der Kontrolle über die eigenen Daten infolge eines Datenschutzverstoßes kann auch dann einen immateriellen Schaden darstellen, wenn die begründete Befürchtung einer missbräuchlichen Verwendung dieser Daten nicht nachgewiesen ist (Anschluss an BGH, Urteil vom 18.11.2024; Aufgabe Senat, Urteil vom 05.12.2023, 4 U 709/23).
2. Die Vermutung der Wiederholungsgefahr für einen Unterlassungsanspruch gegen einen Datenschutzverstoß im Zusammenhang mit einem Scraping-Vorfall ist entkräftet, wenn die dafür verantwortliche Sicherheitslücke geschlossen und davon auszugehen ist, dass ein hierauf gestütztes Abfischen von Daten nicht mehr möglich ist.
3. Ein Unterlassungsanspruch, der eine Verpflichtung des Verletzers an die Einhaltung der "nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen" knüpft und ihm die Weitergabe an "unbefugte Dritte" untersagt, ist nicht hinreichend bestimmt.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 3 O 1529/23) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 10.05.2024 - 3 O 1529/23 - abgeändert und die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt,
1. an die Klägerseite als Ausgleich für Datenschutzverstöße und die Ermöglichung der unbefugten Ermittlung der Handynummer der Klägerseite einen immateriellen Schadensersatz, in Höhe von 100 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerseite alle materiellen künftigen Schäden zu ersetzen, die der Klägerseite durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten, der nach Aussage der Beklagten im Jahr 2019 erfolgte, entstanden sind und/oder noch entstehen werden.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerseite von den außergerichtlich entstandenen Kosten für die anwaltliche Rechtsverfolgung in Höhe von 159,94 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über den jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit freizustellen.
II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 93% die Beklagte zu 7%.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 9.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. (Von der Aufnahme des Tatbestandes wird gem. §§ 540, 313a ZPO abgesehen).
Die zulässige Berufung der Klagepartei ist nur zu einem geringen Teil begründet.
A Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist gemäß Art. 18 Abs. 1 EuGVVO sowie gemäß Art. 79 Abs. 2, Satz 2 DSGVO gegeben, denn die Klagepartei hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Der sachliche, räumliche und zeitliche Anwendungsbereich der am 25.05.2018 in Kraft getretenen Datenschutzgrundverordnung ist eröffnet.
B I. Der Klagepartei steht ein Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens aus Art. 82 DSGVO lediglich in Höhe von 100,- EUR wegen des bei ihr eingetretenen Kontrollverlusts zu. Für einen den mit der Klage geltend gemachten Anspruch in Höhe von 3000,- EUR fehlt es hingegen an einem weitergehenden immateriellen Schaden.
1. Der Zahlungsantrag ist hinreichend bestimmt gemäß § 253 ZPO. Dem steht nicht entgegen, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf mehrere behauptete Verstöße gestützt wird. Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt keine Häufung unzulässiger alternativer Klagegründe bzw. Streitgegenstände vor. Der Streitgegenstand wird durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Zum Anspruchsgrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht vorträgt (vgl. BGH, Urteil vom 22.10.2013 - XI ZR 42/12, Rn. 15 - juris). Die Klagepartei begehrt mit dem Klageantrag zu 1) eine Entschädigungsleistung, die sich auf behauptete Verstöße gegen die DSGVO gründet infolge der Veröffentlichung ihrer Daten und des Scraping-Vorfalls, damit auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt und einen dadurch näher bestimmten Streitgegenstand (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 18.11.2024 - VI ZR 10/24 - juris).
2. Der Klagepartei steht lediglich in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz gemäß Art. 82 DSGVO zu. Die Beklagte hat bei der Verarbeitung der Daten gegen die Bestimmungen der DSGVO verstoßen (a), hieraus ist der Klagepartei auch kausal ein Kontrollverlust erwachsen (b). Eine Einwilligung in die Verwendbarkeit der Telefonnummer der Klagepartei im Rahmen der Suchfunktion ist nicht erfolgt (c). Für einen ...