Leitsatz (amtlich)

I. Aufgabe des Insolvenzgerichtes ist die kritische Prüfung der Darlegungen des bestellten Sachverständigen zur Frage der Verfahrenskostendeckung insbesondere dann, wenn eine Abweisung mangels Masse empfohlen wird. Dabei ist dem Primat der geordneten Abwicklung der Rechtsverhältnisse der Schuldnerin zugunsten aller Gläubiger im Zweifel der Vorzug zu geben.

II. Hinreichende Voraussetzungen für eine Verfahrenseröffnung ist es, daß eine begründete Erwartung für die massegenerierende Durchsetzung von Ansprüchen besteht, die im Eröffnungsverfahren festgestellt werden konnten. Dabei ist es kein Hindernis für die Verfahrenseröffnung, wenn das Verfahren nur aufgrund prognostisch innerhalb von mehr als einem Jahr durchsetz- und vollstreckbarer Ansprüche eröffnet werden kann.

 

Tatbestand

I. Die Schuldnerin, eine GmbH die sich laut Handelsregistereintragung seit 1963 mit Im- und Export von elektroakustischen und phototechnischen Artikeln befasst, deren Unternehmensgegenstand im letzten Jahr aber insbesondere der Im- und Export von alkoholfreien und koffeinhaltigen Getränken war, hat mit Antragsschrift v. 8.9.2005 Insolvenzantrag gestellt. Auf Anregung des gerichtlichen Sachverständigen v. 29.9.2005 hat das Gericht wegen zweier von diesem benannter Drittschuldnerforderungen (Gesamthöhe EUR 7.700,–) zu deren Sicherung die vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt am 30.9.2005 angeordnet.

Der vom Gericht bestellte Sachverständige kommt in seinem Gutachten v. 21.11.2005 nebst Ergänzung v. 13.12.2005 zu dem Ergebnis, die Schuldnerin sei bereits seit Juli 2005 zahlungsunfähig und auch überschuldet. Ein Betriebsfortführung ist mangels vorhandener finanzieller Mittel und wegen Aufgabe der Geschäftsräume nicht möglich. Das Stammkapital ist in voller Höhe eingezahlt gewesen, bestehende Vertragsrechte (Getränke-Vertrieb) sind nicht verwertbar und enthalten Lösungsklauseln für den Insolvenzfall. Die Geschäftsausstattung ist weitgehend verbraucht und kann auf einen Wert von EUR 50,– geschätzt werden. Die vorhandenen Warenvorräte haben abgelaufene Verfallsdaten. Die beiden angeblich einbringlichen Forderungen sind nicht werthaltig bzw. existent (Drittschuldner zahlungsunfähig bzw. Forderung bereits bezahlt laut Quittung des Geschäftsführers) und ein Kassenbestand ist nicht vorhanden. Die Bankkonten stehen im Soll.

Am 22.7.2005 leistete die Schuldnerin an eine Gläubigerin eine vom Sachverständigen als anfechtbar bewertete Zahlung unter Zwangsvollstreckungsandrohung über EUR 4.185,19. Eine weitere Zahlung an eine andere Gläubigerin am 15.7.2005 über EUR 2.500,– aufgrund einer Ratenzahlungsvereinbarung vom Mai 2005 soll nicht anfechtbar sein. Der Geschäftsführer hat sich nach Feststellung des Sachverständigen durch eine noch am 1.8.2005 veranlasste Blitzüberweisung an eine Gläubigerin über EUR 10.000,– und wegen Begleichung privater Mietschulden im Zeitraum März 2005 – Mai 2005 in Höhe von EUR 10.153, 95 aus dem Vermögen der Schuldnerin haftbar gemacht. Allerdings habe der verheiratete Geschäftsführer, der zwei Kindern unterhaltspflichtig sei, nach einem von ihm für den Sachverständigen erstellten privaten Vermögensverzeichnis nur monatlich ca. EUR 1.000,– bis 1.500,– als Einkommen zur Verfügung, welches er mit einer neuen Nachfolge-Gesellschaft im gleichen Geschäftsfeld wie dem bisherigen der Schuldnerin, erziele. Er sei demnach unpfändbar und ihm sei wohl bereits die Räumungsklage angedroht.

Mithin sei eine Gesamtmasse von EUR 4.236,19 festzustellen. Der Sachverständige empfiehlt, das Verfahren mangels Masse abzuweisen, da die Verfahrenskosten, inkl. der Sachverständigenvergütung (=EUR 1.170,38; wurde vom Sachverständigen genau aufgegliedert) und der Vergütungen des vorläufigen Insolvenzverwalters und des Insolvenzverwalters, zusammen EUR 4.380,38 betrügen.

 

Entscheidungsgründe

II. Das Insolvenzverfahren ist trotz einer rechnerischen Verfahrenskostenunterdeckung von EUR 144,19 zu eröffnen (§§ 26, 27, 54 InsO). Aufgabe des Insolvenzgerichtes ist die kritische Prüfung der Darlegungen des bestellten Sachverständigen zur Frage der Verfahrenskostendeckung insbesondere dann, wenn eine Abweisung mangels Masse empfohlen wird. Denn Sinn der Reform des Insolvenzrechtes durch Einführung einer neuen Insolvenzordnung war insbesondere, die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren zu erhöhen (Kübler/Prütting-Pape, St. 10/05, § 26 Rz. 1, 1a).

Diese Prüfung ergibt folgendes:

1. Zunächst einmal ist fraglich, ob die vom gerichtlichen Sachverständigen bei seiner Berechnung der zu erwartenden Verfahrenskosten eingestellte Vergütung für den vorläufigen Insolvenzverwalter in Höhe von EUR 424,– tatsächlich in dieser Höhe in Ansatz zu bringen ist. Zur Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung ist es nur gekommen, weil der Sachverständige, der bereits seit dem 21.9.2005 im Amt war, am 29.9.2005 diese Maßnahme zur Sicherung der angeblich werthaltigen Drittschuldnerforderungen angeregt hatte. Der Sachverständige hätte sich aber zuvor v...

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