6.1 Erhöhte Verkehrssicherungspflicht

Baustellen bergen erhöhte Gefahren schon wegen der Bauarbeiten an sich, aber auch wegen der Vielzahl der Personen, die sich auf und nahe der Baustelle aufhalten. Deshalb werden an die Verkehrssicherungspflicht des Bauunternehmers strengere Anforderungen gestellt. Denn er schafft mit seinen Bauarbeiten die Gefahrenquelle unmittelbar und übt auch die tatsächliche Verfügungsgewalt aus, um die notwendigen und zumutbaren Sicherungsmaßnahmen auf der Baustelle zu treffen.[1]

Warnschilder

Es gibt keine starre Regel über die Abstände vor einer Baustelle, in denen Hinweisschilder aufzustellen sind; die Entfernung muss aber so bemessen werden, dass ein sich mit der erlaubten Geschwindigkeit nähernder Kraftfahrer sofort und angemessen auf sie reagieren kann, ohne in eine schwierige Lage zu geraten.[2]

Versorgungsleitung auf Fahrbahn

Wird mit der Einrichtung einer Baustelle ein Wasserschlauch quer über eine von Kraftfahrzeugen genutzte Fahrbahn verlegt, so erfüllt der Verkehrssicherungspflichtige seine gebotene Verkehrssicherung nicht schon mit dem Aufstellen des allgemeinen Gefahrenzeichens "unebene Fahrbahn". Es ist ohne Weiteres zumutbar, den Schlauch abzudecken oder den Kraftfahrzeugverkehr durch den Einsatz von Hilfspersonen von einem Überfahren des Schlauchs abzuhalten.[3]

Gleiches gilt für ein auf der Straße verlegtes Stromkabel, das mit Holzbohlen abgesichert ist. Allerdings kann hier bei extrem ungeschicktem und unvorsichtigem Verhalten oder bei Erkennbarkeit und einfacher Vermeidbarkeit der Gefahr die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen wegen weit überwiegenden Mitverschuldens des Geschädigten in vollem Umfang zurücktreten.[4]

Absturzsicherung

Der Rohbauunternehmer muss auf der Baustelle für eine Absturzsicherung sorgen. Es entlastet den Rohbauunternehmer hinsichtlich seiner eigenen Verkehrssicherungspflicht nicht, wenn der Geschädigte vom Bauherrn zur Durchführung von Verkehrssicherungsmaßnahmen eingesetzt wurde. Dass der Geschädigte zur Absicherung der Gefahrenstelle eingesetzt wurde und daher um die Gefahr wusste, ist nur bei der Gewichtung seines Mitverschuldens zu berücksichtigen.[5]

6.2 Haftungseinschränkungen

Andererseits haftet der Bauunternehmer nicht schrankenlos. So ist er nicht gehalten, trotz des auf der gegenüberliegenden Seite vorhandenen Gehwegs im Baustellenbereich zusätzlich einen Notweg für Fußgänger zur Verfügung zu stellen, um diesen bei winterlichen Verhältnissen an dieser Stelle ein Überqueren der Straße zu ersparen.[1]

Handelt es sich um eine gut erkennbare Baustelle, trifft den Betreiber keine Pflicht zur besonderen Sicherung wegen auf dem Boden abgelegter Baugeräte.[2]

Auf einer Baustelle muss stets mit herumliegendem Material gerechnet werden, weswegen einem Kfz-Fahrer keine Schadensersatzansprüche zustehen, wenn er mit seinem Auto gegen eine Palette Pflastersteine fährt. Es besteht keine gesonderte Pflicht zur Sicherung offensichtlicher Gefahren auf einer Baustelle, vor denen sich jeder selbst schützen kann.[3]

Die Verkehrssicherungspflicht eines Bauunternehmers umfasst zwar auch einen naheliegenden bestimmungswidrigen Verkehr ("Fehlgebrauch"), nicht aber abstrakte, fernliegende Gefahren, mit denen nicht gerechnet werden muss.

 
Praxis-Beispiel

Bestimmungswidriger Verkehr

Ein Bauunternehmen errichtet für den Bauherrn ein im Rohbau befindliches Wohnhaus. Die Treppe ist noch nicht eingebaut, sodass ein durchgehender offener Treppenschacht zwischen Obergeschoss und Keller vorhanden ist. Obwohl der Treppenschacht nicht gegen Absturz gesichert ist, ist das Gebäude über das Erdgeschoss frei zugänglich. Das Gebäude ist eingerüstet, wobei das Gerüst nicht betreten werden kann, weil keine Leiter an der ersten Gerüstebene angebracht ist. Am Unfalltag will der Bauherr das Gebäude besichtigen. Er klettert an einer senkrechten Gerüststange nach oben, betritt das Obergeschoss über eine Fensteröffnung und gelangt in das Innere des Gebäudes. Von dort aus stürzt er über den Treppenschacht in den Keller und zieht sich schwerste Verletzungen zu. Das Bauunternehmen meint, nicht verpflichtet gewesen zu sein, spezielle Absturzsicherungen im Obergeschoss vorzunehmen.

So sah dies auch das OLG Koblenz[4]: Der Bauunternehmer musste nicht vorhersehen, dass sich eine Person in das Obergeschoss begeben würde. Denn zum Zeitpunkt des Unfalls herrschte Arbeitsruhe. Zwar ist immer damit zu rechnen, dass eine Baustelle auch bestimmungswidrig betreten wird (etwa von Dieben oder spielenden Kindern). Insoweit muss das Bauunternehmen auch Unfallvorsorge treffen. Dass Personen (auch der Bauherr als Eigentümer) allerdin...

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