Leitsatz (amtlich)

1. Hat die Vergabestelle bezüglich eines EU-weit ausgeschriebenen Auftrags unterhalb des Schwellenwerts als Nachprüfungsbehörde die Vergabekammer angegeben, besteht ein Anspruch auf Durchführung des Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabestelle kann wirksam im Beschwerdeverfahren nicht mehr bestimmen, die Vergabe des Auftrags werde dem 20%-Kontingent zugeordnet.

2. Allein der Ablauf der Bindefrist führt nicht zur Beendigung des Vergabeverfahrens.

3. Ordnet die Vergabekammer nach § 114 Abs. 1 GWB Maßnahmen an, besteht gemäß § 118 Abs. 3 GWB ein Zuschlagsverbot, bis die Vergabestelle den angeordneten Maßnahmen nachgekommen ist.

4. Nach bayerischer Rechtslage ist ein Beschluß der Vergabekammer Südbayern nicht deshalb unwirksam, weil er nicht vom ehrenamtlichen Beisitzer unterschrieben ist.

5. Zur Prüfung der Eignung eines Bieters nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOB/A.

6. Auch wenn ein förmlicher Vergabe vermerk nach § 30 VOB/A fehlt oder nicht aktuell fortgeschrieben ist, führt dies allein noch nicht in jedem Fall zu einer Verletzung subjektiver Bieterrechte. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Dokumentationsmangel sich gerade auf die Rechtsstellung des Bieters mit Rücksicht auf seine im übrigen erhobenen Rügen im Vergabeverfahren auswirkt.

 

Normenkette

GWB § 100 Abs. 1, § 106 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, §§ 114, 118 Abs. 3; VOB/A § 1a Nr. 1 Abs. 2, § 25 Nr. 2 Abs. 1, § 30; BayNpV § 2 Abs. 6-7

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Südbayern (Aktenzeichen 120.3-3194.1-04-02/01)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Vergabestelle wird der Beschluß der Vergabekammer Südbayern vom 15. März 2001 in Nr. 1, 2 und 5 aufgehoben.

II. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 15. Februar 2001 wird abgewiesen.

III. Die Antragstellerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechts Verfolgung der Vergabestelle notwendigen Auslagen und die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Etwaige Aufwendungen der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Es wird festgestellt, daß für die Vergabestelle die Zuziehung eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor der Vergabekammer notwendig war.

IV. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 55.252 DM festgesetzt.

 

Gründe

I.

1. Die Vergabestelle ist eine rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts, sie wird gemäß ihrer Satzung von den Organen der Stadt verwaltet und vertreten.

2. Die Vergabestelle betreibt das Bauvorhaben „Neubau und Erweiterung des Stiftungskrankenhauses”. Der geschätzte Gesamtauftragswert für das Bauvorhaben beträgt rund 12.800.000 Euro. Das Bauvorhaben, das losweise vergeben werden soll, wurde am 12.9.2000 im Offenen Verfahren im Amtsblatt der EU ausgeschrieben. Als Ende der Bindefrist für die Angebote war der 15.12.2000 vorgesehen. Als Nachprüfungsbehörde wurde die Vergabekammer Südbayern angegeben.

Für das Los Raumlufttechnik mit einem Auftragswert von rund 565.000 Euro gaben mehrere Bieter, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene, Angebote ab. Nach rechnerischer Prüfung der Angebote durch die Vergabe stelle lag das Angebot der Antragstellerin an erster Stelle.

3. Der Stadtrat beschloß am 14.12.2000, das Angebot der Antragstellerin wegen fehlender Eignung von der Wertung auszuschließen. Mit Schreiben vom 15.12.2000 beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Mit Beschluß vom 19.1.2001 verpflichtete die Vergabekammer die Vergabestelle, mit bestimmten Maßgaben das Vergabeverfahren fortzuführen. Gegen diesen Beschluß legte die Vergabestelle mit Schriftsatz vom 1.2.2001 sofortige Beschwerde ein. Am 30.3.2001 hob der Senat den Beschluß der Vergabekammer vom 19.1.2001 klarstellend auf.

Am 1.2.2001 hat der Stadtrat beschlossen, seinen Beschluß vom 14.12.2001 aufzuheben, das Angebot der Antragstellerin gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOB/A von der Wertung auszuschließen und den Auftrag an die Beigeladene zu vergeben. In dem Stadtratsbeschluß heißt es unter anderem:

Nach erneuter, eingehender Überprüfung der Eignung der (= Antragstellerin) hinsichtlich ihrer fachlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit und nach ausführlicher Vorberatung und Würdigung aller von der (= Antragstellerin) rechtzeitig vorgelegten, aber auch der kurz vor und nach der Vollsitzung am 14.12.2000 nachgereichten Unterlagen, Nachweise und Erklärungen und aller zwischenzeitlich vorliegenden Auskünfte über die von der (= Antragstellerin) selbst benannten Referenzobjekte sowie über die weiteren von der (= Antragstellerin) verschwiegenen, aber in den Jahren 1998 bis 2000 für andere öffentliche Auftragsgeber ausgeführten Bauvorhaben (z. B. Mehrzweckhalle der Stadt …; Wildbach-Haus der Stadt …, RLT-Anlage des Wasserwirtschaftsamtes …), wie auch unter Berücksichtigung des Vergabevermerks vom 18.12.2000 und des Vergabevorschlags des Fachplaners …, vom 18.1.2001 und der darin nachgewiesenen Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten der Firma (= Antragstellerin) bei anderen gleichartigen Aufträgen verschiedener öffentlicher Auft...

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