Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, unter welchen Umständen und in welchem Umfang dem Kind eines vorläufig Betreuten Akteneinsicht in die Betreuungsakten zu gewähren ist, wenn der vorläufig Betreute zu einem früheren Zeitpunkt jegliche Auskünfte an dieses Kind untersagt hat, dieses aber seine Bestellung zum endgültigen Betreuer beantragt hat.
Verfahrensgang
LG Schweinfurt (Beschluss vom 29.03.2004; Aktenzeichen 24F T 8/04) |
AG Bad Kissingen (Aktenzeichen XVII 386/03) |
Tenor
I. Der Beschluss des LG Schweinfurt vom 29.3.2004 wird aufgehoben.
II. Dem weiteren Beteiligten wird Akteneinsicht durch Übersendung der Betreuungsakte an das für ihn zuständige AG bewilligt. Von der Akteneinsicht ausgenommen ist der Bestattungsvertrag Bl. 56-59 der Akten.
Gründe
I. Für den Betroffenen ist seit 10.10.2003 vorläufig eine Vereinsbetreuerin mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge einschließlich Zustimmung zu operativen Maßnahmen bestellt. Die Aufgabenkreise wurden am 22.10.2003 um die Bereiche Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung ggü. Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post erweitert.
Mit Schreiben vom 15.1.2004 beantragte der weitere Beteiligte, der einzige Abkömmling und Sohn des Betroffenen, ihm Akteneinsicht in die Betreuungsakte zu gewähren und die Akte in seine Anwaltskanzlei zu übersenden. Das AG lehnte mit Schreiben vom 22.1.2004 die Gewährung von Akteneinsicht ab.
Die hiergegen durch den weiteren Beteiligten eingelegte Beschwerde hat das LG am 29.3.2004 zurückgewiesen.
Mit seiner weiteren Beschwerde verfolgt der weitere Beteiligte sein Ziel weiter, Akteneinsicht in die Betreuungsakte zu erlangen, wobei er die Übersendung an einen anwaltlichen Kollegen oder ein heimatnahes Gericht für ausreichend erachtet.
II. Die weitere Beschwerde ist zulässig, §§ 27 Abs. 1, 21 Abs. 2 FGG; sie hat auch in der Sache Erfolg.
1. Das LG hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:
Nach § 34 Abs. 1 S. 1 FGG könne Akteneinsicht jedem gestattet werden, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft mache. Ein berechtigtes Interesse liege insb. dann vor, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch die Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst werden könne. Dieses Interesse sei gegen ein gleich hohes oder höher zu bewertendes Interesse der Öffentlichkeit, des Betroffenen oder Dritter an der Geheimhaltung abzuwägen. Hier ergebe die gebotene Abwägung, dass die beantragte Akteneinsicht zu verweigern sei. Aus dem Akteninhalt ergebe sich eindeutig, dass die beantragte Akteneinsicht nicht dem Willen des Betroffenen entspreche. Zwar könne er nun krankheitsbedingt einen entsprechenden Willen nicht mehr bilden, aus seinem Schreiben vom 12.12.1994 ergebe sich aber, dass er keinen Kontakt zu seinem Sohn wünsche. Daraus folge, dass der Betroffene die sensiblen und personenbezogenen in der Akte enthaltenen Daten nicht dem Sohn zur Kenntnis bringen wolle. Das Interesse des Sohnes sei nicht höher zu bewerten. Soweit sich dieser auf sein gesetzliches Erbrecht bzw. Pflichtteilsrecht berufe, gebe es keinen Anspruch auf Auskunft über den Stand des Vermögens des Erblassers zu dessen Lebzeiten. Die Prüfung, ob er die Betreuung ganz oder teilweise übernehme, sei für ihn abgeschlossen, da er einen entsprechenden Antrag gestellt habe. Die Akteneinsicht sei daher nicht erforderlich. Ein allgemeines Interesse als möglicherweise in Betracht kommender Betreuer könne aber nicht höher gewichtet werden als das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand. Der Beschluss des LG war daher aufzuheben und dem Sohn die von ihm beantragte Akteneinsicht zum überwiegenden Teil zu gewähren.
a) Nach § 34 Abs. 1 S. 1 FGG kann die Einsicht in die Gerichtsakten jedem insoweit gestattet werden, als er ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht. Berechtigtes Interesse ist jedes vernünftigerweise gerechtfertigte Interesse tatsächlicher, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art, das sich nicht auf vorhandene Rechte zu gründen oder auf das Verfahren zu beziehen braucht (Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RPflG, 9. Aufl., § 34 FGG Rz. 5); es reicht im Allgemeinen aus, dass künftiges Verhalten durch die Aktenkenntnis beeinflusst werden kann (BayObLGZ 1997, 315 [318]). Eine formelle oder materielle Beteiligung am Verfahren ist nicht erforderlich, aber stets ausreichend (BayObLG BtPrax 1998, 78). Denn Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet jedem an einem Verfahren Beteiligten durch den Anspruch auf rechtliches Gehör ein Recht auf Information über den Verfahrensstoff und den Akteninhalt (Keidel/Kahl, FGG, 15. Aufl., § 34 Rz. 1, m.w.N.). Für die an einem anhängigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Beteiligten folgt damit schon aus Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht; der Glaubhaftmachung dieses Interesse...