Entscheidungsstichwort (Thema)

Aktenübersendung an die Staatsanwaltschaft durch das Betreuungsgericht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ersucht die Staatsanwaltschaft in einem bei ihr anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren um Amtshilfe durch Übersendung der gerichtlichen Akten eines Betreuungsverfahrens, das für die beschuldigte Person geführt wird, so bedarf es wegen des Gesetzesvorbehalts für Grundrechtseingriffe einer einfach-gesetzlichen Vorschrift sowohl für das Amtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft als auch für eine dem Ersuchen ganz oder teilweise entsprechende Aktenübermittlung (sog. "Doppeltürmodell" im Anschluss an BVerfGE 130, 151 [184]).).

2. Eine Befugnis der Justizverwaltung zur Übermittlung der Betreuungsakte an die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Amtshilfe besteht - wenn keine spezialgesetzlichen Bestimmungen einschlägig sind - im Rahmen der durch die maßgeblichen datenschutzrechtlichen Vorschriften gezogenen Grenzen.

3. Gemäß Art. 5 Abs. 4 Sätze 1 und 2 des Bayerischen Datenschutzgesetzes (BayDSG) trägt die ersuchende öffentliche Stelle die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung, während der ersuchten Stelle regelmäßig lediglich die Prüfung obliegt, ob das Ersuchen im Rahmen der Aufgaben des Empfängers liegt.

4. Die ersuchte Justizbehörde ist jedoch gemäß Art. 5 Abs. 4 Satz 3 BayDSG verpflichtet, selbst in die Prüfung der materiellen Zulässigkeit der Aktenübermittlung einzutreten, wenn ein besonderer Prüfungsanlass gegeben ist.

5. Ein besonderer Prüfungsanlass in diesem Sinne besteht mit Blick auf die Sensibilität der in Betreuungsakten üblicherweise gesammelten Daten regelmäßig bereits wegen des Gewichts eines mit der Aktenübersendung verbundenen Eingriffs in die Grundrechte der betroffenen Person auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten.

 

Normenkette

BayDSG Art. 5 Abs. 4 S. 3; FamFG § 13; StPO §§ 94-96

 

Verfahrensgang

AG München (Aktenzeichen 701 XVII 2748/17)

 

Tenor

1. Der Bescheid des Amtsgerichts München vom 3. März 2020 wird aufgehoben.

2. Der Antragstellerin sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung angefallenen außergerichtlichen Kosten aus der Staatskasse zu erstatten.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Für die Antragstellerin wird beim Amtsgericht München ein Betreuungsverfahren geführt.

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2019 ersuchte die Staatsanwaltschaft München I durch den ermittelnden Staatsanwalt das Betreuungsgericht um Übersendung der Betreuungsakte. Unter Nennung eines staatsanwaltlichen Aktenzeichens wurde mitgeteilt, dass gegen die Betroffene ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort geführt werde. Zur Einschätzung der Rechtslage und der zu verfügenden Maßnahmen müsse die geistige Verfassung der Betroffenen beurteilt werden. Sodann heißt es:

"Ich möchte Sie daher bitten, mir die Betreuungsakte der Beschuldigten zukommen zu lassen."

Die zum Ersuchen angehörte Betroffene teilte über ihren Betreuer mit Schreiben vom 18. November 2019 mit, dass mit einer Aktenübersendung an die Staatsanwaltschaft aus datenschutzrechtlichen Gründen kein Einverständnis bestehe und sie eine Übersendung auf keinen Fall möchte.

Mit so bezeichneter Verfügung vom 3. März 2020 hat die für das Betreuungsverfahren zuständige Richterin entschieden, dass der Staatsanwaltschaft die Betreuungsakte gemäß §§ 94, 95 StPO zur Einsichtnahme übersandt werde. Zur Begründung wird darauf abgestellt, die Staatsanwaltschaft habe zur Prüfung der Schuldfähigkeit der Betroffenen in einem dort anhängigen Verfahren um Übersendung der Betreuungsakte ersucht; trotz des Widerspruchs der Betroffenen sei die Akte gemäß § 95 StPO zu übersenden, denn der Akteninhalt könne als Beweismittel von Bedeutung sein. Die Akte enthalte unter anderem Gutachten und ärztliche Atteste; ferner seien der Akte Erkenntnisse zur Persönlichkeit der Betroffenen, ihrem Vorleben und ihrer Krankheitsgeschichte zu entnehmen. Die Erkenntnisse könnten für die Beurteilung der Schuldfähigkeit von Bedeutung sein und seien von der Ermittlungsbehörde bei der gebotenen umfassenden Würdigung des Falles zu berücksichtigen. Eine Sperrerklärung nach § 96 StPO liege nicht vor. Die beigefügte Rechtsmittelbelehrung besagt, dass gegen die Verfügung der fristgebundene Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft sei.

Diese Verfügung ist noch nicht ausgeführt worden. Mit Schriftsatz ihres Betreuers und zugleich Verfahrensbevollmächtigten vom 5. März 2020, eingegangen beim Amtsgericht München am selben Tag, hat die Antragstellerin Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Sie wendet Datenschutzgründe gegen die Aktenübersendung ein. Schon die Beschreibung des Akteninhalts in den Gründen der angefochtenen Verfügung spreche für die datenschutzrechtliche Unzulässigkeit der Übersendung. Die im Betreuungsverfahren als einem staatlichen Unterstützungs- und Hilfsangebot gesammelten Erkenntnisse über eine Person dienten diesem Verfahrenszweck...

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