Leitsatz (amtlich)

›1. Irrt ein Fahrzeugführer über die rechtliche Bedeutung eines optisch richtig wahrgenommenen Verkehrszeichens, so liegt ein Verbotsirrtum vor. Der Verbotsirrtum ist als vermeidbar zu bewerten, wenn er auf mangelnder Kenntnis der einschlägigen Straßenverkehrsvorschriften beruht.

2. Sind an einem Pfosten ein Zusatzschild und zwei Vorschriftszeichen übereinander angebracht und irrt ein Fahrzeugführer über die (objektiv) beschränkte Wirkung des Zusatzschildes auf das dicht über ihm angebrachte Vorschriftszeichen, so stellt dies einen vermeidbaren Verbotsirrtum dar. Dieser kann dazu führen, dass trotz Vorliegens der Regelvoraussetzungen die Anordnung eines Fahrverbots entfällt.‹

 

Gründe

I.

1. Mit Urteil vom 15.10.2002 hat das Amtsgericht Kissingen - Zweigstelle Hammelburg - den Beklagten wegen "einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts" (um 67 km/h) zu einer Geldbuße von 275 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.

Zur Tat hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:

"Der Betroffene fuhr am 29.4.2002 um 14.29 Uhr mit dem Pkw , amtliches Kennzeichen , auf der BAB A in Fahrtrichtung F . Bei km 625,050 im Gemeindebereich E fuhr der Betroffene bei Zeichen 274 StVO und der an dieser Stelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h außerorts mit einer Geschwindigkeit von mindestens 127 km/h. Bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen und dem Betroffenen auch zumutbaren Aufmerksamkeit und Sorgfalt hätte dieser erkennen können und müssen, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerorts erheblich überschritt und hätte daher langsamer fahren können und müssen. Er handelte daher zumindest fahrlässig."

Im Rahmen der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung hat das Amtsgericht ausgeführt:

"Der Betroffene hat die Fahrereigenschaft eingeräumt. Er hat geltend gemacht, er habe aufgrund der Beschilderung angenommen, die durch Zeichen 274 StVO angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h gelte nur für Lastkraftwagen, da es sich um eine Kontrollstelle des Güterverkehrs gehandelt habe. Zumindest könne ihm daher keine grobe Pflichtverletzung angelastet werden."

"Die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts ergibt, dass der Betroffene eine fahrlässige Ordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts gemäß § 41 Abs. 2, Zeichen 274, § 49 StVO begangen hat, da er zumindest fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerorts um 67 km/h überschritten hat. Der Betroffene befand sich auch nicht in einem unvermeidbaren Tatbestands- oder Verbotsirrtum im Sinne des § 11 OWiG. Ein Zusatzschild bezieht sich nur auf das unmittelbar darüber befindliche Verkehrszeichen. Dies ergibt sich aus der Bestimmung des § 39 Abs. 2 Satz 4 StVO. Nahm der Betroffene somit an, das unter dem Zeichen 'Überholverbot' angebrachte Zusatzschild beziehe sich auch auf das Zeichen 274 StVO, so befand er sich lediglich in einem ihn hier nicht entlastenden Rechtsirrtum." (Bl. 4 d.U.)

Zu der konkreten Beschilderung der Messstelle hat das Amtsgericht auf die Abbildungen Bl. 29, 29 R und 30 d.A. Bezug genommen. Aus diesen Abbildungen ergibt sich die konkrete damalige Beschilderung im Bereich der Messstelle.

2. Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Sachrüge.

Er trägt vor, sich in einem unvermeidbaren Tatbestands- bzw. Verbotsirrtum bezüglich der Wirkung der Beschilderung befunden zu haben. Er habe nämlich angenommen, die Einschränkung beziehe sich nicht nur auf das Überholverbot, sondern auch auf Zeichen 274 StVO.

Die konkrete Beschilderung entspreche nicht der Verwaltungsvorschrift zu § 39 StVO. Die Regelung sei inhaltlich unklar. Jedenfalls sei ein Kraftfahrer in der Erfassung der Bedeutung der Beschilderung überfordert.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG) ist, soweit sie den Schuldspruch und die Verhängung der Geldbuße betrifft, unbegründet. Von Erfolg ist sie jedoch zum Fahrverbot; dieses entfällt.

1. a) Aus den in das Urteil einbezogenen Lichtbildern (Bl. 29, 29 R, 30 d.A.) ergibt sich, dass die Geschwindigkeit auf der BAB durch Schilderpaare, jeweils links und rechts der Fahrbahn, eingeschränkt worden war. Das zuerst zu passierende Schilderpaar weist, auf einer rechteckigen weißen Trägerfläche, das Zeichen 274 (100) und darüber das Zeichen 101 (Achtung) auf.

Das folgende Schilderpaar zeigt, auf einer rechteckigen weißen Trägerfläche, von oben nach unten gesehen, Zeichen 274 (80), Zeichen 276 (allgemeines Überholverbot) und das Zusatzzeichen 1049-13 (Geltung nur für Lkw, Busse und Wohnwagengespanne).

Das diesem folgende Schilderpaar entspricht dem vorherigen mit Ausnahme von Zeichen 274, das hier die Zahl 60 enthält.

b) Die Beschilderung genügt den nach § 39 Abs. 2 StVO zu stellenden gesetzlichen Anforderungen. Denn dort ist geregelt, dass "Verkehrszeichen und Zusatzschilder" ... "auch gemeinsam, auf einer Trägerfläche angebracht werden" können (§...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge