Entscheidungsstichwort (Thema)

Willkürlichkeit eines Verweisungsbeschlusses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Verweisungsbeschluss ist nicht als willkürlich anzusehen, wenn das verweisende Gericht mit vertretbarer Begründung von der h.M. abweicht, dass für Gebührenansprüche des Steuerberaters i.d.R. der Ort seiner Kanzlei gem. § 29 ZPO Erfüllungsort sei (vgl. Senatsbeschluss vom 19.2.2002 – 1Z AR 71/02).

2. Zur Bindungswirkung eines nicht begründeten Verweisungsbeschlusses, wenn dieser auf einer vertretbaren Meinung beruht und im Einvernehmen mit den Parteien ergangen ist.

 

Verfahrensgang

AG Forchheim (Beschluss vom 22.09.2003; Aktenzeichen 70 C 777/03)

AG Nürnberg (Beschluss vom 23.07.2003; Aktenzeichen 33 C 3942/03)

 

Tenor

Zuständig ist das AG Forchheim.

 

Gründe

I. Die Beklagte wohnt im Amtsgerichtsbezirk F. Die Klägerin ist eine Steuerberatungsgesellschaft mit Sitz in N. und verlangt von der Beklagten Zahlung von Honorar für Steuerberatungsleistungen. Nach Erlass eines Mahnbescheids, Einlegung des Widerspruchs und Abgabe des Verfahrens an das AG Nürnberg hat die Klägerin beantragt, den Rechtsstreit „an das örtlich zuständige AG Forchheim” zu verweisen. Die Beklagte hat sich damit einverstanden erklärt. Daraufhin hat sich das AG Nürnberg mit Beschluss vom 23.7.2003 für örtlich unzuständig erklärt und „den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das zuständige AG Forchheim” gem. § 281 ZPO verwiesen. Dieses Gericht hat sich mit Beschluss vom 22.9.2003 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren dem BayObLG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.1. Die beiden am negativen Kompetenzstreit beteiligten Gerichte liegen in den Bezirken verschiedener bayerischer OLG. Das BayObLG hat in einem solchen Fall den Zuständigkeitsstreit als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht (§ 36 Abs. 1 ZPO) zu entscheiden (vgl. BGH NJW 1979, 2249; BayObLG v. 4.10.1988 – AR 1Z 67/88, BayObLGZ 1988, 305 = MDR 1989, 167; v. 21.6.1991 – AR 1Z 49/91, BayObLGZ 1991, 240 [241 f.]; v. 16.7.1991 – AR 1Z 57/91, BayObLGZ 1991, 280 [281]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 36 Rz. 4).

2. Die beiden im Kompetenzstreit liegenden AG, von denen eines zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit jeweils durch unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse (§ 281 Abs. 2 S. 2 ZPO) i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO „rechtskräftig” für unzuständig erklärt.

3. Zuständig zur Entscheidung über die Klage ist das AG Forchheim, weil es an den Verweisungsbeschluss des AG Nürnberg vom 23.7.2003 gebunden ist (§ 281 Abs. 2 S. 4 ZPO).

a) Nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Diese Bindung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten (Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 36 Rz. 28). Die Bindungswirkung tritt ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht oder sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht hingenommen werden kann (BGH BGHZ 71, 69 [72]; v. 10.12.1987 – I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [341] = MDR 1988, 470; BayObLG BayObLGZ 1986, 285 [287]; BayObLGZ 2003, Nr. 32; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 281 Rz. 17, 17a).

b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar ist das AG Nürnberg in seinem Verweisungsbeschluss vom 23.7.2003 von der herrschenden Rechtsauffassung abgewichen, nach der Erfüllungsort für die Honoraransprüche des Steuerberaters sein Kanzleisitz ist (BayObLG v. 10.12.2002 – 1Z AR 163/02, MDR 2003, 660 = NJW 2003, 1196 [1197]; OLG Köln v. 29.10.1996 – 5 W 74/96, OLGReport Köln 1997, 11 = NJW-RR 1997, 825; OLG Hamm NJW 2000, 1347; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 29 Rz. 25; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 29 Rz. 31; Patzina in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 29 Rz. 81; Musielak/Schmidt, ZPO, 3. Aufl., § 29 Rz. 22). Der Verweisungsbeschluss des AG Nürnberg ist aber nicht schon deshalb willkürlich, weil er von einer ganz überwiegenden oder fast einhelligen Rechtsauffassung abweicht (BGH v. 9.7.2002 – X ARZ 110/02, BGHReport 2002, 946 = MDR 2002, 1450 = NJW-RR 2002, 1498 [1499]). Das AG Nürnberg hat sich auf Stimmen in Lit. und Rspr. (Schmid, MDR 1993, 410; Prechtel, NJW 1999, 3617; LG München v. 12.7.2000 – 15 S 7182/00, MDR 2001, 591; Einsiedler, NJW 2001, 1549; AG Spandau NJW 2000, 1654; LG Frankfurt a.M. v. 3.4.2001 – 2/15 S 244/00, NJW 2001, 2640) stützen können, die in tatsächlicher Würdigung der beruflichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts/Steuerberaters deren Erbringung nicht als ortsgebunden angesehen haben und deshalb die Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 ZPO im Falle der gerichtlichen Geltendmachung der Vergütungsforderung am Sitz der Kanzlei des Rechtsanwalts/Steuerberaters verneinen. Die dem Verweisungsbeschluss des AG Nürnberg zugrunde liegende Ansicht erscheint daher jedenfalls nicht unvertretbar. Darauf, ob sie zutrifft, kommt es nicht an.

c) Demgegenüb...

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