Leitsatz (amtlich)
Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts am Ort des Mittelpunkts der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit der Schuldnerin ist nicht gegeben, wenn der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs des Insolvenzantrages bei Gericht seine wirtschaftliche Tätigkeit eingestellt hat (Fortführung von BayObLG v. 25.7.2003 – 1Z AR 72/03, BayObLGZ 2003 Nr. 34).
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; InsO § 3 Abs. 1 S. 1 und 2
Verfahrensgang
AG Memmingen (Beschluss vom 13.05.2003; Aktenzeichen 2 IN 91/03) |
AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 106 IN 2688/03) |
Tenor
Zuständig ist das AG Memmingen – Insolvenzgericht.
Gründe
I. Die Schuldnerin ist eine im Handelsregister des AG Memmingen eingetragene GmbH. Mit notariellem Vertrag vom 16.4.2003 veräußerte der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer A. sämtliche Geschäftsanteile der unter A.-GmbH firmierenden Gesellschaft an B., der sofort eine Gesellschafterversammlung abhielt, in der er A. als Geschäftsführer abberief, ihm Entlastung erteilte, sich selbst zum neuen Geschäftsführer bestellte und die Firma der Gesellschaft in B.- GmbH und den Unternehmensgegenstand änderte. Die Anmeldung der Änderungen zum Handelsregister des AG Memmingen erfolgte am 25.4.2003. Eine Verlegung des im Amtsgerichtsbezirk Memmingen gelegenen Sitzes der Gesellschaft wurde nicht vorgenommen. B. beantragte mit einem an das AG Memmingen gerichteten Schreiben der Schuldnerin vom 5.5.2003, eingegangen am 6.5.2003, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und zugleich dessen Verweisung an das AG Berlin-Charlottenburg. Er führte aus, er habe mit Übernahme der Geschäftsanteile das Gewerbe wegen völliger Betriebseinstellung abgemeldet, die Geschäftsräume aufgegeben, den Mitarbeitern gekündigt und sämtliche Geschäftsunterlagen an seinen in Berlin gelegenen Wohnsitz verbracht, von wo aus er die Abwicklung der Gesellschaft unter Einschaltung der C.-GmbH vornehmen wolle.
Das AG Memmingen – Insolvenzgericht – hat sich ohne jede Ermittlung mit Beschluss vom 13.5.2003 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das AG Charlottenburg – Insolvenzgericht – verwiesen mit der Begründung, sämtliche weiteren Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Abwicklung des Insolvenzverfahrens würden ausschließlich von Berlin aus erfolgen. Das AG Charlottenburg – Insolvenzgericht – hat sich die Übernahme des Verfahrens vorbehalten und B. aufgefordert, Unterlagen gem. § 20 InsO einzureichen. Dieser teilte mit, dass er am 22.5.2003 die Gesellschaftsanteile an den in Spanien wohnhaften D. übertragen habe. Aus dem vorgelegten notariellen Vertrag vom 22.5.2003 ergibt sich, dass D. sofort eine Gesellschafterversammlung abhielt, in der er B. als Geschäftsführer abberief, ihm Entlastung erteilte und sich selbst zum neuen Geschäftsführer bestellte. Die an D. gerichtete Aufforderung des AG Charlottenburg, Unterlagen gem. § 20 InsO vorzulegen, blieb ohne Reaktion.
Mit Beschluss vom 22.7.2003 hat sich das AG Charlottenburg – Insolvenzgericht – für örtlich unzuständig erklärt und die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung hat das AG Charlottenburg u.a. ausgeführt, das AG Memmingen habe das Verfahren nicht unter Hinweis auf § 3 Abs. 1 S. 2 InsO an das AG Charlottenburg verweisen dürfen, weil noch völlig unklar gewesen sei, wo der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der Antragstellung gelegen habe. Ein solcher könne im Bezirk des AG Charlottenburg nicht festgestellt werden. Der Antragsteller habe aktive Abwicklungsmaßnahmen im Bezirk des AG Charlottenburg nicht vorgetragen, sondern lediglich pauschal einen Katalog denkbarer Abwicklungstätigkeiten aufgelistet, die unter Einschaltung der C.-GmbH beabsichtigt seien. Die Firma C.-GmbH Berlin habe wiederholt in der Presse (u.a. FAZ) „mit Hilfe im Insolvenzfall binnen 24 Stunden” durch Sitzverlegung, Geschäftsführerwechsel und Entlastung der alten Geschäftsführer geworben. Sie sei aus einer Vielzahl von Parallelverfahren bekannt und halte für die angeworbenen Unternehmen lediglich eine Briefkastenanschrift vor. Aus den gesamten Umständen ergäben sich schwerwiegende Indizien dafür, dass es sich um einen Fall der Zuständigkeitserschleichung handle, deren Ziel es sei, die ehemaligen Gesellschafter und Geschäftsführer der Aufmerksamkeit der Gläubiger am früheren Firmensitz zu entziehen, ihren Namen nicht durch Veröffentlichung in der Lokalpresse zu belasten und dem räumlich entfernten Insolvenzgericht die Aufklärung etwaiger Anfechtungs- und Haftungsansprüche zu erschweren.
II.1. Das BayObLG ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem zunächst befassten bayerischen AG Memmingen und dem Berliner AG Charlottenburg gem. § 4 InsO, § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO berufen.
2. Die Voraussetzungen für die gerichtliche Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das AG Memmingen als auch das AG Charlottenburg haben sich rechtskräftig i.S. dieser Vorschrift für unz...