1 Leitsatz

Wenn die Wohnungseigentümer unter Geltung des Wohnungseigentumsgesetzes in der bis zum 30.11.2020 geltenden Fassung Erhaltungsmaßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum beschlossen haben, die notwendig Substanzeingriffe am Sondereigentum erfordern, besteht eine Beschlusskompetenz, diejenigen Maßnahmen zu beschließen, die zur Wiederherstellung des Sondereigentums erforderlich sind.

2 Normenkette

§ 14 Nr. 4 WEG a. F.

3 Das Problem

Im gemeinschaftlichen Eigentum stehende Rohrleitungen für die Be- und Entwässerung sollen repariert werden. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer holt 3 Angebote ein. Diese sehen eine konventionelle Strangsanierung durch Austausch der Leitungen nebst hierdurch bedingten Arbeiten am Sondereigentum vor, insbesondere in den Bädern der Wohnungen. Vor diesem Hintergrund beschließen die Wohnungseigentümer den Austausch der gemeinschaftlichen Be- und Entwässerungsleitungen einschließlich der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Rohrleitungen, die sich im räumlichen Bereich des Sondereigentums befinden. In dem Beschluss heißt es u. a.:

"Die Maßnahmen umfassen auch die Wiederherstellung des Sondereigentums i. S. d. § 14 Nr. 4 WEG, soweit dieses infolge der Sanierung des gemeinschaftlichen Eigentums in Anspruch genommen werden muss."

Gegen diesen Beschluss geht Wohnungseigentümer K vor. Das AG weist die Klage ab. Das LG gibt ihr statt. Es meint, es gebe keine Beschlusskompetenz für die Maßnahmen zur Wiederherstellung des Sondereigentums. Anders sei es nur, wenn die betroffenen Wohnungseigentümer mit der Durchführung einer Naturalrestitution einverstanden seien und den Maßnahmen zustimmten. Im Fall liege es nicht so.

4 Die Entscheidung

Dies sieht der BGH auf Basis des Altrechts anders! Zwar fehle den Wohnungseigentümern für Maßnahmen am Sondereigentum eine Beschlusskompetenz. Im Fall liege diese aber vor. Der Anspruch aus § 14 Nr. 4 Halbsatz 2 WEG a. F. sei ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch, dem aufopferungsähnliche Grundgedanken zugrunde lägen. Auf ihn seien die allgemeinen Vorschriften der §§ 249ff. BGB über Art, Inhalt und Umfang der Schadensersatzleistung anzuwenden. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer habe daher gem. § 249 Abs. 1 BGB den Zustand wiederherzustellen, der vor dem Eingriff in das Sondereigentum bestanden hatte. Daraus leite sich die Befugnis ab, zusammen mit den Arbeiten zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums auch diejenigen Maßnahmen zu beschließen, die zur Wiederherstellung des zwingend in Anspruch zu nehmenden Sondereigentums erforderlich seien. Ansonsten würde es jedem Wohnungseigentümer obliegen, sich im Anschluss an die Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums um die Wiederherstellung seines Sondereigentums zu kümmern, was zu deutlichen Verzögerungen führen würde, weil zunächst Angebote eingeholt und dann Handwerksunternehmen beauftragt werden müssten.

Entgegen der LG-Auffassung sei die Beschlusskompetenz nicht entfallen, weil die Wohnungseigentümer im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihr Einverständnis mit der Durchführung der Naturalrestitution i. S. v. § 249 Abs. 1 BGB nicht erklärt hatten. Das Recht, statt der Herstellung des früheren Zustands den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen, sei als Ersetzungsbefugnis des Gläubigers zu verstehen. Der Schuldner sei befugt, die vereinbarte Leistung zu erbringen, solange der Gläubiger sie noch nicht durch eine andere ersetzt habe. Es habe daher im Zeitpunkt der Beschlussfassung keine Ungewissheit über den Leistungsinhalt bestanden.

5 Hinweis

Problemüberblick

Im Fall wird bei einer Erhaltungsmaßnahme in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum, einer Strangsanierung, zwangsläufig Sondereigentum in Mitleidenschaft gezogen. Die Wohnungseigentümer wissen, dass durch die Strangsanierung Sondereigentum ganz oder teilweise zerstört wird, z. B. Wandbeläge oder Putz. Somit stellt sich die Frage, ob die Wohnungseigentümer die Art und Weise der Wiederherstellung des Sondereigentums bestimmen und organisieren können, oder ob es an den Wohnungs- als Sondereigentümern ist, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Es geht mithin um die Frage einer Beschlusskompetenz in Bezug auf das Sondereigentum.

Erhaltungsmaßnahmen im Bereich des Sondereigentums

Im Grundsatz muss jeder Wohnungseigentümer selbst bestimmen, wann, auf welche Weise und durch wen er sein Sondereigentum reparieren lässt. Sein Ermessen ist grundsätzlich nicht reduziert. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise. Nämlich dann, wenn ein anderer Wohnungseigentümer oder das gemeinschaftliche Eigentum vom schlechten Zustand des Sondereigentums ausnahmsweise einen Nachteil hat oder ein solcher ernsthaft droht. Die Ausnahme zum Grundsatz, wer sich um die Erhaltung des Sondereigentums kümmern muss, ist Gegenstand des hier geschilderten BGH-Falls. Sie findet ihre Berechtigung allerdings nicht im Gemeinschaftsverhältnis, sondern in der Pflicht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, einem Wohnungs- als Sondereigentümer Schadensersatz zu leisten, wenn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bei der Erhaltung des gemein...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge