Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs. Nichtzulassungsbeschwerde. Aufhebung des Berufungsurteils durch Revisionsgericht. Geeigneter und erforderlicher Beweisvortrag. Nichtberücksichtigung von Beweisangeboten durch das Gericht
Leitsatz (amtlich)
a) Erweist sich die in einer Nichtzulassungsbeschwerde erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs als begründet, kann das Revisionsgericht in dem der Nichtzulassungsbeschwerde stattgebenden Beschluss, mit dem die Revision zugelassen wird, das Berufungsurteil aufheben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverweisen.
b) Zu den Anforderungen an die Pflicht zur Substantiierung des unter Beweis gestellten Parteivorbringens.
c) Zur Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch ein Übergehen von substantiiertem Sachvortrag mit Beweisangebot.
Normenkette
ZPO §§ 286, 544 Abs. 7
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 23.09.2002; Aktenzeichen 4 U 93/01) |
LG Lübeck |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Schleswig in Schleswig v. 23.9.2002 zugelassen.
Auf die Revision der Beklagten wird das vorgenannte Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.
Streitwert: 40.611 EUR.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt Herausgabe und Schadensersatz wegen unterschlagenen Wohnmobiliars.
Mit Vertrag v. 14.4.1993 vermietete der Kläger sein zuvor selbst bewohntes Einfamilienhaus an die Beklagten. Bei seinem Auszug ließ er Teile seines eigenen Hausrats zurück, die sodann von den Beklagten genutzt wurden. Nachdem die Beklagten die Mietzinszahlungen ab April 1994 eingestellt hatten, kündigte der Kläger das Mietverhältnis fristlos und erstritt ein Versäumnisurteil auf Räumung und Mietzinszahlung. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung wurde am 27.3.1995 festgestellt, dass die Beklagten bereits ausgezogen waren und keinerlei Hausrat zurückgelassen hatten. Die Beklagten haben zunächst bestritten, alle vom Kläger behaupteten Hausratsgegenstände in Besitz genommen zu haben. Die übernommenen Gegenstände seien teilweise defekt gewesen und deswegen auf Veranlassung des Klägers entsorgt worden, teilweise seien sie von ihm nach D. geholt, teilweise Dritten überlassen und von diesen abgeholt sowie teilweise den Beklagten zum Ausgleich einer Darlehensschuld übereignet worden. Dabei handle es sich um zehn noch vorhandene Hausratsgegenstände, deren vom Kläger angegebener Wert von den Beklagten zugleich bestritten wird.
Das LG hatte die Beklagten zunächst verurteilt, an den Kläger 86.090 DM nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hatte das OLG dieses Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das LG zurückverwiesen, weil die Schadenshöhe ohne hinreichend greifbare Anhaltspunkte ermittelt worden sei. Daraufhin hat das LG den Parteien aufgegeben, ergänzend zum Zeitwert der betreffenden Gegenstände Stellung zu nehmen. Auf der Grundlage des weiteren klägerischen Vortrags hat es die Beklagten erneut verurteilt, an den Kläger 86.090 DM nebst Zinsen zu zahlen. Die erneute Berufung der Beklagten hat das OLG im Wesentlichen zurückgewiesen; es hat lediglich den Urteilstenor dahingehend umgestellt, dass die Beklagten verurteilt werden, an den Kläger die zehn noch vorhandenen Hausratsgegenstände herauszugeben, ersatzweise an ihn 15.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen sowie an den Kläger weitere 26.610,61 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Zulassung der Revision und im Ergebnis weiterhin Klagabweisung begehren.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie ist auch begründet, weil das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung Teile des unter Beweis gestellten Sachvortrags der Beklagten übergangen und damit deren rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist deswegen eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich (zur Zulassung der Revision vgl.: BGH Beschl. v. 18.1.2005 - XI ZR 340/03, BGHReport 2005, 939; Beschl. v. 15.2.2005 - XI ZR 21/04, n.v.; Beschl. v. 15.2.2005 - XI ZR 144/03, BGHReport 2005, 936 = FamRZ 2005, 700; Beschl. v. 24.2.2005 - VII ZR 340/03, BauR 2005, 908; Beschl. v. 21.4.2005 - I ZR 88/04, n.v.; Beschl. v. 25.5.2005 - III ZR 380/04, n.v.; Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 544 Rz. 19; vgl. auch die Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 15/3706, 17, wonach der BGH in den Fällen entscheidungserheblicher Verletzung des rechtlichen Gehörs in der Berufungsinstanz einer hierauf gestützten Nichtzulassungsbeschwerde stattzugeben hat und § 544 Abs. 7 ZPO ihm zur Beschleunigung des Verfahrens und zur Entlastung die Möglichkeit einräumen soll, "in dem der (Nichtzulassungs-) Beschwerde stattgebenden Beschluss" das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen). Wegen des Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör kann das Revisionsgericht nach der am 1.1.2005 in Kraft getretenen Vorschrift des § 544 Abs. 7 ZPO - eingeführt durch Art. 1 des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) v. 9.12.2004 (BGBl. I, 3220) - das angefochtene Urteil zugleich aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen (so im Ergebnis auch in den die Zurückverweisung tragenden Gründen: BGH, Beschl. v. 5.4.2005 - VIII ZR 160/04, BB 2005, 1248; Beschl. v. 14.4.2005 - V ZR 152/04, n.v.; Beschl. v. 3.5.2005 - VI ZR 206/04, n.v.; Beschl. v. 31.5.2005 - XI ZR 90/04, n.v.).
2. Die Beklagten rügen zu Recht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Verfahren des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht hat es bewusst abgelehnt, zu mehreren Behauptungen der Beklagten den dafür angebotenen Beweis zu erheben, weil der Sachvortrag nicht hinreichend schlüssig sei. Das verletzt die Verfahrensgrundrechte der Beklagten, weil ihr Beweisvortrag erheblich und hinreichend substantiiert ist.
a) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Klaganspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die i.V.m. einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten, die den Zeitpunkt und den Vorgang bestimmter Ereignisse betreffen, ist nicht erforderlich, soweit diese Einzelheiten für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Solches kann allenfalls dann bedeutsam werden, wenn der Gegenvortrag dazu Anlass bietet. Das bedeutet aber entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht, dass derjenige, der ein Recht beansprucht, schon deshalb, weil der Gegner bestreitet, gezwungen ist, den behaupteten Sachverhalt in allen Einzelheiten wiederzugeben. Dem Grundsatz, dass der Umfang der Darlegungslast sich nach der Einlassung des Gegners richtet, liegt nicht etwa der Gedanke zu Grunde, ein Kläger sei zur Förderung der Wahrheitsermittlung und zur Prozessbeschleunigung verpflichtet, den Gegner in die Lage zu versetzen, sich möglichst eingehend auf die Klagebehauptungen einzulassen. Der Grundsatz besagt vielmehr nur, dass dann, wenn infolge der Einlassung des Gegners der Tatsachenvortrag unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt, er der Ergänzung bedarf (BGH, Urt. v. 12.7.1984 - VII ZR 123/83, MDR 1985, 315 = NJW 1984, 2888). Die Ablehnung eines für eine beweiserhebliche Tatsache angetretenen Zeugenbeweises ist darüber hinaus nur dann zulässig, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber aufs Geratewohl gemacht, gleichsam "ins Blaue hinein" aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen.
Zu einer näheren Darstellung kann eine Partei allerdings dann gezwungen sein, wenn die Gegenpartei ihre Darstellung substantiiert angreift. Denn der Umfang der jeweils erforderlichen Substantiierung des Sachvortrags bestimmt sich aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (BGH, Urt. v. 21.1.1999 - VII ZR 398/97, NJW 1999, 1859).
b) Gegen diese Rechtsprechung des BGH hat das Berufungsgericht in mehreren Punkten verstoßen. Das gilt insb. für den folgenden Vortrag:
aa) Die Beklagten haben vorgetragen, der Kläger habe ihnen die im Haus zurückgelassenen Gegenstände "zur Schuldentilgung" überlassen, also wohl übereignet. Dazu haben die Beklagten im Einzelnen unter Beweisantritt Zahlungen für den Kläger vorgetragen und zwar an dessen namentlich benannten Steuerberater, an die Gemeindewerke H., an die Vollstreckungsstelle des Finanzamts H. und an das Finanzamt E. Während sich der Vortrag der Beklagten hinsichtlich der Zahlungen an die Landesbezirkskasse I. durch dessen Auskunft v. 29.7.1998 als unzutreffend herausgestellt hat, ist das Berufungsgericht den weiteren Beweisangeboten nicht nachgegangen. Indem es dieses Vorgehen damit begründet, es fehle den angeblichen Zahlungen jegliche Konkretisierung, hat es den Vortrag der Beklagten nicht hinreichend ausgeschöpft. Die weitere Begründung, der Vortrag lasse "insb. einschlägige Belege vermissen", kann das Absehen von der Beweisaufnahme schon deswegen nicht begründen, weil es sich dabei nicht um die Schlüssigkeit des Vortrags, sondern um zusätzliche Beweisanzeichen handelt. Die von den Beklagten behaupteten Zahlungen auf Verbindlichkeiten des Klägers sind wiederum nicht unerhebliche Indizien für die behauptete Eigentumsübertragung.
bb) Hinsichtlich der nach ihrem Vortrag nicht mehr vorhandenen Gegenstände haben die Beklagten unter Beweisantritt behauptet, der Kläger habe die - jeweils konkret benannten - Gegenstände selbst abgeholt bzw. entsorgt, an Dritte übereignet, die diese dann abgeholt hätten, und die Beklagten angewiesen, beschädigte und unbrauchbare Gegenstände zu entsorgen. Weitere konkret benannte Gegenstände seien im Haus zurückgeblieben bzw. stünden ohnehin nicht im Eigentum des Klägers, sondern der P. Beteiligungs- und Vermögensverwaltungs GmbH (Schriftsatz v. 8.10.2001 S. 5 ff.). Dieser Vortrag ist entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts hinreichend individualisiert. Dass dieser neue Vortrag der Beklagten teilweise ihrem früheren Vortrag widerspricht, kann zwar einen nicht unwesentlichen Gesichtspunkt im Rahmen der Beweiswürdigung bilden. Es käme aber einer vorweggenommenen Beweiswürdigung gleich, die von den Beklagten angebotenen Beweise im Hinblick darauf nicht zu erheben. Die Beklagten hatten nämlich schon im dem Schriftsatz v. 8.6.2000 behauptet, die von ihnen benannten Zeugen seien bei den "Abholaktionen" zugegen gewesen und hätten "jeweils mit angepackt". Soweit das Berufungsgericht gleichwohl "jeglichen Aufschluss" dazu vermisst, inwieweit die vier benannten Zeugen zu den behaupteten diversen Vorgängen etwas bekunden können, hat es diesen Vortrag offensichtlich übergangen.
cc) Letztlich hat das Berufungsgericht auch die Höhe des zugesprochenen Schadensersatzes nicht ohne Rechtsverstoß ermittelt. Bei der Wertermittlung hat es sich im Wesentlichen auf die vom Kläger gefertigte Aufstellung der entwendeten Gegenstände gestützt, die mit einem Gesamtwert von 86.590 DM abschließt, weil diese "erheblich realistischer" sei, als die später erteilte Inventarliste mit einem Zeitwert von insgesamt 135.280 DM. Schon die bloße Anknüpfung an den bestrittenen Vortrag des Klägers bildet trotz der Beweiserleichterung nach § 287 ZPO keine hinreichende Grundlage für die Wertermittlung durch das Berufungsgericht. Im Übrigen hat das Berufungsgericht auch insoweit den unter Sachverständigenbeweis gestellten Vortrag der Beklagten übergangen, die Wertansätze des Klägers seien durchgehend weit übersetzt und mit weit weniger als der Hälfte der angesetzten Beträge zu bemessen. Jedenfalls die noch vorhandenen Gegenstände könnten durch einen Sachverständigen begutachtet werden.
3. Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden, weil das Berufungsgericht entscheidungserheblichen Vortrag der Beklagten übergangen hat und es deswegen weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf. Das Berufungsgericht wird deswegen den unter Beweis gestellten Behauptungen der Beklagten weiter nachgehen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 1397881 |
NJW 2005, 2710 |
BGHR 2005, 1474 |
FamRZ 2005, 1536 |
MDR 2006, 48 |