Normenkette
InsO § 89 Abs. 1, § 294 Abs. 1; GG Art. 14 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 27.01.2021; Aktenzeichen 51 T 451/20) |
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Entscheidung vom 19.10.2020; Aktenzeichen 34 M 5259/15) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 51. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 27. Januar 2021 wird auf Kosten der Drittschuldnerin zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf (bis) 1.500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Schuldnerin führt bei der Drittschuldnerin ein Konto als Pfändungsschutzkonto gemäß § 850k ZPO. Die Gläubigerin erwirkte wegen einer titulierten Forderung am 23. Oktober 2015 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss und pfändete das bei der Drittschuldnerin geführte Konto der Schuldnerin. Auf Eigenantrag der Schuldnerin wurde am 11. November 2019 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Mit Beschluss vom 10. September 2020 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben und das Ende der Wohlverhaltensperiode auf den 11. November 2025 bestimmt.
Rz. 2
Die Schuldnerin hat mit Schreiben vom 22. September 2020 bei dem Vollstreckungsgericht die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt. Die Rechtspflegerin des Vollstreckungsgerichts hat mit Beschluss vom 19. Oktober 2020 den Vollzug des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag der Schuldnerin auf Erteilung der Restschuldbefreiung mit der Maßgabe ausgesetzt, dass die auf dem Konto gutgeschriebenen Beträge weder dem materiell-rechtlichen Pfändungspfandrecht noch der öffentlich-rechtlichen Verstrickung unterliegen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Drittschuldnerin hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die Drittschuldnerin die Aufhebung des Beschlusses über die Aussetzung der Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erreichen.
II.
Rz. 3
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Drittschuldnerin ist nicht begründet.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - sei für die Entscheidung über die Erinnerung nach allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Vorschriften zuständig gewesen. An einer Vorschrift, welche die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts als besonderes Vollstreckungsgericht für Erinnerungen in der Wohlverhaltensperiode begründe, fehle es. Die Zwangsvollstreckung in die zukünftigen, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf dem Konto eingegangenen (pfändbaren) Beträge sei gemäß § 89 Abs. 1, § 294 Abs. 1 InsO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Restschuldbefreiungsantrag unzulässig. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 21. September 2017 - IX ZR 40/17, ZIP 2017, 2016 Rn. 12) bestehe zwar kein materielles Verwertungsrecht der Gläubigerin, die Forderung unterliege allerdings der öffentlich-rechtlichen Verstrickung. Um der Schuldnerin einen Zugriff zu ermöglichen, müsse die Verstrickung erst beseitigt werden. Die sich anschließende und in der Fachliteratur und Rechtsprechung umstrittene Rechtsfrage, ob der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufzuheben oder aber lediglich auszusetzen sei, sei aus Gründen des Rangerhalts zugunsten einer Aussetzung zu beantworten. Die Verstrickung werde auch beseitigt, wenn die Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens ausgesetzt werde, ohne die Pfändung insgesamt aufzuheben.
Rz. 5
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 6
a) Die Rechtsbeschwerde wendet ohne Erfolg ein, dass das Beschwerdegericht die von der Rechtspflegerin des Vollstreckungsgerichts getroffene Entscheidung über die Aussetzung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in der Sache nicht hätte überprüfen dürfen, sondern die Entscheidung, weil unwirksam, hätte aufheben und an den funktionell zuständigen Richter des Insolvenzgerichts zurückverweisen müssen.
Rz. 7
aa) Die von der Rechtspflegerin des Vollstreckungsgerichts getroffene Aussetzungsentscheidung ist nicht gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 RpflG unwirksam. Die Rechtspflegerin hat kein ihr nicht übertragenes Geschäft des Richters wahrgenommen. Die Entscheidung des Rechtspflegers, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf eine Vollstreckungserinnerung des Schuldners nach § 766 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht aufzuheben, sondern lediglich auszusetzen, stellt sich als ein Minus und damit eine Teilabhilfe dar. Diese Teilabhilfeentscheidung ist wirksam, weil sie funktionell dem zur Abhilfe berechtigten Rechtspfleger zugewiesen ist (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2021 - IX ZB 10/21, zVb Rn. 8).
Rz. 8
bb) Es kann im zu entscheidenden Fall dahinstehen, ob das Insolvenzgericht funktionell zuständig gewesen wäre, wie die Rechtsbeschwerde meint. Gemäß § 576 Abs. 2 ZPO kann die Rechtsbeschwerde auf eine etwaige Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts nicht gestützt werden.
Rz. 9
b) Wie der Senat mit Beschluss vom 2. Dezember (IX ZB 10/21, zVb Rn. 14 ff) näher begründet und entschieden hat, ist auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine Aussetzung der Vollziehung eines vorinsolvenzlichen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung zur Wahrung der Rechte des Pfändungsgläubigers zulässig und geboten.
Rz. 10
aa) Die nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstehenden (pfändbaren) Guthaben sind von der vor Verfahrenseröffnung erfolgten Kontopfändung als künftige Forderungen umfasst. Nach Verfahrensaufhebung kann aber wegen des Vollstreckungsverbots des § 294 Abs. 1 InsO, in dem sich das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO nahtlos fortsetzt, ein wirksames Pfändungspfandrecht an der Forderung und damit ein materielles Verwertungsrecht des Gläubigers weiterhin nicht begründet werden. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Restschuldbefreiungsverfahrens kommt die Geltendmachung von Rechten aus einem Pfändungspfandrecht nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2011 - IX ZB 217/08, ZIP 2011, 871 Rn. 14; vom 28. Juni 2012 - IX ZB 313/11, WM 2012, 1495 Rn. 8).
Rz. 11
Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens ändert - wie schon seine Eröffnung - nichts an der Verstrickung der Forderung. Dem Schuldner ist ein Zugriff auf das Kontoguthaben erst möglich, wenn die Verstrickung beseitigt wird. Wurde die Pfändung der Forderung im Insolvenzverfahren nicht aufgehoben, bleibt die Forderung auch im Restschuldbefreiungsverfahren verstrickt. Wurde die Vollziehung der Pfändung dagegen bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens ausgesetzt, lebt die Verstrickung mit der Aufhebung des Verfahrens wieder auf.
Rz. 12
Auch im Restschuldbefreiungsverfahren kommt zur Sicherung der Rechte des Vollstreckungsgläubigers wegen der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nur eine (erneute) rangerhaltende Aussetzung der Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in Betracht. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Pfändungspfandrecht wiederauflebt, wenn die Beschränkungen des Restschuldbefreiungsverfahrens entfallen und dem Pfändungsgläubiger nach Versagung der Restschuldbefreiung wieder ein Zugriff auf das Vermögen des Schuldners im Wege der Einzelzwangsvollstreckung möglich ist (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2021 - IX ZB 10/21, zVb Rn. 19).
Rz. 13
bb) Der Aussetzung der Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses stehen auch keine überwiegenden, berechtigten Interessen der Drittschuldnerin entgegen. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, wird der kontoführenden Bank kein unzumutbarer Aufwand für eine jahrelange Überwachung des Verfahrens zur Restschuldbefreiung im Sinne eines "Monitorings" der Eintragungen im Internetportal www.insolvenzbekanntmachungen.de auferlegt.
Rz. 14
Regelmäßig wird der Pfändungsgläubiger, in dessen Interesse die Fortsetzung der Vollstreckung liegt, dem Drittschuldner die Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners und damit den Eintritt des die Aussetzung der Vollziehung beendenden Ereignisses mitteilen. Fehlt es an einer derartigen Mitteilung des Pfändungsgläubigers und wird dem Drittschuldner die Entscheidung des Insolvenzgerichts auch nicht von anderer Seite mitgeteilt, kommt es für die schuldbefreiende Wirkung der Zahlung des Schuldners darauf an, ob es dem Gläubiger gelingt, die Kenntnis des Drittschuldners auf andere Weise zu beweisen (BGH, Urteil vom 9. Juni 1976 - VIII ZR 19/75, BGHZ 66, 394, 398).
Rz. 15
Ob die Drittschuldnerin als kontoführende Bank nach Treu und Glauben gehindert wäre, sich nach öffentlicher Bekanntmachung der Entscheidung über den Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners auf eine fehlende Kenntnis von dem Wiederaufleben der Verstrickung zu berufen, weil sie die ihr im Internetportal zugänglichen Informationen hätte abfragen können, hinge davon ab, ob eine zumutbare Obliegenheit zur Abfrage der Informationen bestanden hätte. Wegen der Beschränkung auf zumutbare Maßnahmen steht dieser Gesichtspunkt aber einer Aussetzung der Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht entgegen.
Rz. 16
Zur weiteren Begründung wird auf den Beschluss vom 2. Dezember 2021 (IX ZB 10/21 mwN), verwiesen.
Grupp |
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Lohmann |
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Möhring |
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Schultz |
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Selbmann |
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Fundstellen
Haufe-Index 15139254 |
ZInsO 2022, 847 |
InsbürO 2022, 255 |