Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahren über Gewährung von Prozesskostenhilfe. Befristete Beschwerde gegen ablehnende Entscheidung. Keine materielle Rechtskraft des Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses. Zulässigkeit eines erneuten Prozesskostenhilfegesuchs. Prozessuale Betrachtungsweise. Rechtschutzbedürfnis. derselbe Lebenssachverhalt
Leitsatz (amtlich)
a) Ein die Prozesskostenhilfe versagender Beschluss erlangt auch nach der Neufassung des § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO im Falle seiner Unanfechtbarkeit keine materielle Rechtskraft.
b) Einem neuerlichen Antrag auf Prozesskostenhilfe kann es aber am Rechtsschutzbedürfnis fehlen.
Normenkette
ZPO i.d.F. v. 27.7.2001 § 127 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 30.10.2003) |
LG Duisburg |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 22. Zivilsenats des OLG Düsseldorf v. 30.10.2003 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine von ihr beabsichtigte Klage auf Zahlung von 62.440,76 EUR gegen die Töchter und Erbinnen ihres verstorbenen Lebensgefährten. Sie hatte zuvor bereits in einem anderen Zivilrechtsstreit drei Prozesskostenhilfegesuche gestellt, die sämtlich auf der Grundlage desselben Lebenssachverhalts in der Hauptsache das gleiche Begehren verfolgt hatten und vom LG jeweils wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Klage zurückgewiesen worden waren. Dagegen jeweils erhobene Beschwerden hatte das OLG zurückgewiesen, zuletzt - nach In-Kraft-Treten der Neufassung der Zivilprozessordnung - mit Beschluß v. 3.9.2002.
Den neuerlichen Antrag hat das LG wegen mangelnder Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Das Beschwerdegericht hält den Antrag für unzulässig, weil die Rechtskraft der vorgenannten früheren Entscheidung entgegenstehe. Mit der Einführung der befristeten Beschwerde gegen ablehnende Prozesskostenhilfe-Entscheidungen (§ 127 Abs. 2 S. 2 ZPO in der ab 1.1.2002 geltenden Fassung v. 27.7.2001) habe der Gesetzgeber erkennbar abschließende Entscheidungen über solche Gesuche herbeiführen wollen.
Dagegen wendet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.
II. Das nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg, weil der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis für eine neuerliche Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch fehlt.
1. Allerdings trifft es nicht zu, dass der Zulässigkeit des neuerlichen Prozesskostenhilfegesuchs die Rechtskraft der früheren Beschwerdeentscheidung v. 3.9.2002 entgegensteht. Denn ein die Prozesskostenhilfe versagender Beschluss erlangt auch nach der Neufassung der Zivilprozessordnung im Falle seiner Unanfechtbarkeit keine materielle Rechtskraft.
Beschlüsse sind der materiellen Rechtskraft nur dann fähig, wenn sie in formelle Rechtskraft erwachsen und inhaltlich eine der Rechtskraft fähige Entscheidung enthalten (vgl. BGH, Urt. v. 17.5.1984 - III ZR 86/83, MDR 1985, 210 = NJW 1985, 1335, unter II 1a; Urt. v. 17.10.1985 - III ZR 105/84, MDR 1986, 651 = WM 1986, 331, unter II 2c, gg, jeweils m. w. N.; OLG Oldenburg v. 4.4.2003 - 2 W 23/03, OLGReport Oldenburg 2003, 276 = MDR 2003, 1071 = FamRZ 2003, 1302 = VersR 2003, 1420 m. w. N.; B. Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse im Erkenntnis- und summarischen Verfahren, 1983, S. 38 f., 85 ff. m. w. N.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 322 Rz. 28).
a) Zwar sind nach der seit dem 1.1.2002 geltenden Neufassung des § 127 Abs. 2 ZPO Beschlüsse, welche Prozesskostenhilfe versagen, mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Das hat zur Folge, dass sie nach Ablauf der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 127 Abs. 2 S. 3 ZPO n. F.) unanfechtbar und damit formell rechtskräftig werden (vgl. dazu Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 329 Rz. 17).
b) Ungeachtet des nunmehr befristeten Rechtsbehelfs fehlt es aber weiterhin an einer der materiellen Rechtskraft fähigen Entscheidung.
aa) Ob eine solche vorliegt, ist am Zweck des in den §§ 322, 325 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens zu messen. Dessen Sinn liegt nach der heute vorherrschenden prozessualen Betrachtungsweise (vgl. dazu Gaul in FS für Henckel, 1995, S. 235 [246 ff.]; Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 322 Rz. 4 [5, 9 ff.]; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Rz. 6 ff. [15]; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, Bd. 4/1 21. Aufl., § 322 Rz. 19 ff.; Vollkommer in Zöller, ZPO, 24. Aufl., vor § 322 Rz. 14 ff. [19], jeweils m. w. N.) hauptsächlich in der endgültigen Befriedung eines kontradiktorischen Parteienstreits, der über denselben Streitgegenstand nicht wiederholt werden soll. Dieses ne bis in idem-Gebot liegt dort im Interesse des Ansehens der Gerichte, der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens der Parteien (vgl. BGH v. 18.1.1985 - V ZR 233/83, BGHZ 93, 287 [289] = MDR 1985, 562), wo beliebige Wiederholungen des Streits über ein und denselben Streitstoff ausgeschlossen werden sollen (BGH v. 16.6.1993 - I ZB 14/91, BGHZ 123, 30 [34] = MDR 1993, 966).
bb) Der Gegenstand des Prozesskostenhilfeverfahrens ist einem solchen prozessualen Streitgegenstand aus mehreren Gründen nicht hinreichend vergleichbar, um - im Falle der Ablehnung - die entsprechende Anwendung des ne bis in idem-Gebots zu rechtfertigen.
(1) Zu Recht weist die Beschwerdebegründung darauf hin, dass es schon an einem kontradiktorischen Parteienstreit fehlt. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren ist außerhalb und innerhalb des Zivilprozesses nach der gesetzlichen Regelung in den §§ 114 ff. ZPO ein nicht streitiges, seinem Charakter nach der staatlichen Daseinsfürsorge zuzurechnendes Antragsverfahren, in dem sich als Beteiligte nur der Antragsteller und das Gericht als Bewilligungsstelle gegenüberstehen (BGH v. 15.11.1983 - VI ZR 100/83, BGHZ 89, 65 [66] = MDR 1984, 307; OVG Nordrhein-Westfalen v. 4.10.1982 - 17 B 506/82, MDR 1983, 609 = DVBl 1983, 952 [953 f.]; BGH, Beschl. v. 12.9.2002 - III ZB 43/02, BGHReport 2002, 1052 = MDR 2002, 1388 = NJW 2002, 3554, unter II 2).
(2) Kennzeichnend für den der materiellen Rechtskraft fähigen und ihre Grenzen beschreibenden Begriff des prozessualen Streitgegenstandes ist es weiter, dass er u. a. dem Zweck dient, die Parteien mit nachträglichem Vorbringen auszuschließen. Denn der Klagegrund geht über die Tatsachen, welche die Tatbestandsmerkmale einer Rechtsgrundlage ausfüllen, hinaus. Zum Klagegrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören (vgl. BGH v. 19.12.1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 [6] = MDR 1992, 293). Hat er es im Vorprozess unterlassen, Tatsachen vorzutragen, die bei natürlicher Anschauung zu dem angesprochenen Lebenssachverhalt gehörten, wirkt die materielle Rechtskraft auch ggü. einer neuen Klage, die auf die nunmehr vorgetragenen Tatsachen gestützt wird. Dies gilt insbesondere hinsichtlich solcher Tatsachen, die nur eine Ergänzung des im Vorprozess vorgetragenen Tatsachenstoffs darstellen oder die damals als unschlüssig erkannte Klage erst schlüssig machen (BGH v. 19.12.1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 [6 f.] = MDR 1992, 293 m. w. N.).
Im Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe besteht ein solches Präklusionsbedürfnis grundsätzlich nicht. Das ergibt sich schon daraus, dass das Verfahren lediglich darauf gerichtet ist, dem mittellosen Antragsteller erst den Zugang zum gerichtlichen Verfahren und zu einem angemessenen juristischen Beistand zu eröffnen. Die Anforderungen an seinen Sachvortrag dürfen schon deshalb nicht überspannt werden. Weiter sprechen Gründe der Praktikabilität dafür, ein Nachschieben von Gründen im Rahmen erneuter Antragstellung grundsätzlich zu ermöglichen. Anderenfalls wäre der Antragsteller gezwungen, sich zur Darlegung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung zunächst nicht lediglich auf den Vortrag der von ihm für wesentlich erachteten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu beschränken, sondern alle denkbaren tatsächlichen Umstände und rechtlichen Aspekte vorsorglich vorzutragen. Ein solcher Aufwand erschiene angesichts dessen, dass der Antragsteller nicht notwendig von einem Rechtsanwalt vertreten ist und anderenfalls die entstehenden Kosten eines Rechtsanwalts zunächst noch nicht abgedeckt sind, unverhältnismäßig (vgl. dazu VGH Hessen v. 14.3.1991 - 13 TP 1571/90, AnwBl 1993, 45 f.).
cc) Es entsprach deshalb bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung des § 127 Abs. 2 ZPO übereinstimmender Auffassung in Lehre und Rechtsprechung, dass Prozesskostenhilfe versagende Beschlüsse der materiellen Rechtskraft nicht fähig sind (vgl. dazu BVerfG v. 28.1.1981 - 1 BvR 650/80, BVerfGE 56, 139 [145]; OVG Nordrhein-Westfalen v. 4.10.1982 - 17 B 506/82, MDR 1983, 609 = DVBl 1983, 952 [953 f.]; OLG Köln v. 22.2.1988 - 2 W 195/87, MDR 1988, 501 = OLGZ 1989, 67 [68]; OVG Bremen v. 10.1.1991 - 2 B 330/90, NVwZ-RR 1992, 219 [220]; OLG Bamberg v. 10.7.1996 - 7 WF 70/96, FamRZ 1997, 756 [757]; Philippi in Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 117 Rz. 6 m. w. N.; Fischer in Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 127 Rz. 6 m. w. N.).
dd) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts (ebenso OLG Oldenburg v. 4.4.2003 - 2 W 23/03, OLGReport Oldenburg 2003, 276 = MDR 2003, 1071 = FamRZ 2003, 1302 [1303] = VersR 2003, 1420 m. w. N.) kann den Gesetzgebungsmaterialien zur Neufassung des § 127 Abs. 2 ZPO (BT-Drucks 14/4722, 68 [75 f.]) keine anders lautende gesetzgeberische Wertung entnommen werden. Vielmehr diente die Einführung des fristgebundenen Rechtsmittels lediglich dem Zweck, im Interesse der Rechtssicherheit eine zeitnahe Beschwerdeentscheidung zu gewährleisten und die Gerichte davor zu schützen, alte Verfahren nach langem Zeitablauf wieder aufgreifen zu müssen. Hätte der Gesetzgeber eine weiter gehende Regelung im Auge gehabt, hätte es nahe gelegen, in die Erwägungen einzubeziehen, dass auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren seit langem anerkannt ist, dass Prozesskostenhilfe ablehnende Beschlüsse trotz fristgebundener Beschwerde (§ 147 Abs. 1 VwGO) nicht in materielle Rechtskraft erwachsen (vgl. VGH Hessen v. 14.3.1991 - 13 TP 1571/90, AnwBl 1993, 45 f.; OVG OVG Nordrhein-Westfalen v. 4.10.1982 - 17 B 506/82, MDR 1983, 609 = DVBl 1983, 952 [953 f.]).
2. Dennoch hat das Beschwerdegericht im Ergebnis zu Recht die Zulässigkeit des erneuten Prozesskostenhilfegesuchs der Antragstellerin verneint. Denn ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für eine neuerliche Entscheidung, nachdem auf der Grundlage desselben Lebenssachverhalts bereits drei gerichtliche Entscheidungen über ihren Antrag ergangen sind (vgl. dazu OLG Bamberg v. 10.7.1996 - 7 WF 70/96, FamRZ 1997, 756 [757]; OLG Köln v. 22.2.1988 - 2 W 195/87, MDR 1988, 501 = OLGZ 1989, 67 [68]; OVG Bremen v. 10.1.1991 - 2 B 330/90, NVwZ-RR 1992, 219 [220]; Philippi in Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 117 Rz. 6 m. w. N.; Fischer in Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 127 Rz. 6 m. w. N.; Wax in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 117 Rz. 4).
Fundstellen
Haufe-Index 1131020 |
NJW 2004, 1805 |
BGHR 2004, 842 |
EBE/BGH 2004, 2 |
FamRZ 2004, 940 |
FuR 2005, 85 |
ZAP 2004, 649 |
MDR 2004, 961 |
Rpfleger 2004, 359 |
VersR 2004, 1576 |
AGS 2004, 395 |
FF 2005, 324 |
RENOpraxis 2004, 113 |
ProzRB 2004, 208 |