Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstellung der Zwangsräumung bei Suizidgefahr eines Angehörigen nach sorgfältiger Abwägung der Vollstreckungsinteressen und der Interessen des Betroffenen
Leitsatz (amtlich)
a) Besteht im Fall einer Zwangsräumung bei einem nahen Angehörigen des Schuldners eine Suizidgefahr, ist diese bei der Anwendung des § 765a ZPO in gleicher Weise wie eine beim Schuldner selbst bestehende Gefahr zu berücksichtigen.
b) Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der - in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen der Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Auch der Gefährdete selbst ist gehalten, das ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen, zu verringern.
Normenkette
ZPO § 765a Abs. 1
Verfahrensgang
LG Dortmund (Beschluss vom 13.12.2004; Aktenzeichen 9 T 665/04) |
LG Dortmund (Beschluss vom 07.12.2004; Aktenzeichen 9 T 665/04) |
AG Lünen |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners werden die Beschlüsse der 9. Zivilkammer des LG Dortmund v. 7. und 13.12.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf bis zu 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Gläubigerin, die Sparkasse L., betreibt bisher vergeblich die Zwangsräumung des Hausgrundstücks des Schuldners aus dem rechtskräftigen Zuschlagsbeschluss des AG v. 11.10.2002.
Der erste Termin zur Räumung wurde auf den 23.6.2003 bestimmt. Daraufhin hat der Schuldner unter Vorlage eines fachärztlichen Attests beantragt, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Bei dem im Haus mitlebenden Vater des Schuldners bestehe eine akute Belastungsstörung. Eine Zwangsräumung bedeute für diesen eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung. Das AG hat diesen Antrag durch Beschluss v.13.6.2003 zurückgewiesen, die Durchführung der Zwangsräumung aber von der Auflage abhängig gemacht, dass dabei ein Beamter des Gesundheitsamts - Ordnungsamts - der Stadt und ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie anwesend seien, die vor Beginn der Zwangsräumung die Versorgung des Vaters des Schuldners übernähmen. Falls diese Voraussetzungen am 23.6.2003 nicht gegeben sein sollten, werde die Zwangsvollstreckung einstweilen für die Dauer von drei Monaten eingestellt. Für diesen Fall wurde dem Vater des Schuldners aufgegeben, sich mit dem Gesundheitsamt des Landkreises wegen einer amtsärztlichen Untersuchung in Verbindung zu setzen.
Auf sofortige Beschwerde des Schuldners hat das LG durch Beschluss v. 18.6.2003 die Räumungsvollstreckung bis zum 13.9.2003 eingestellt. Auf Grund des vorgelegten Attests, ergänzender Äußerungen des behandelnden Arztes und des Ergebnisses durchgeführter Ermittlungen könne auch durch Auflagen das Restrisiko nicht sicher ausgeschlossen werden, dass der Vater des Schuldners im Fall der Zwangsräumung Selbstmord begehe. Durch die Einstellung der Zwangsvollstreckung solle dem Vater des Schuldners Gelegenheit gegeben werden, sich in stationäre Behandlung zu begeben, um der Suizidgefahr entgegenzuwirken.
Nach Festsetzung eines neuen Räumungstermins auf den 1.7.2004 beantragte der Schuldner erneut, die Zwangsvollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss einstweilen einzustellen, weil sein Vater selbstmordgefährdet sei. Dazu wurden zwei Atteste des behandelnden Facharztes vorgelegt. Das AG hat diesen Antrag durch Beschluss v. 15.6.2004 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, der Vater des Schuldners habe schuldhaft seine Pflicht, durch Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung an seiner Gesundung mitzuwirken, verletzt. Zudem habe er, wie aus einem der vorgelegten Atteste hervorgehe, die Möglichkeit, sich am 22.6.2004 in eine stationäre Behandlung zu begeben. Bei Wahrnehmung dieses Termins bestehe für ihn bei einer Zwangsräumung keine Gesundheitsgefahr.
Auf sofortige Beschwerde des Schuldners hat das LG die Räumungsvollstreckung durch Beschluss v. 29.6.2004 wiederum - nunmehr bis zum 1.9.2004 - einstweilen eingestellt. Es könne zur Zeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Räumung für den Schuldner eine unzumutbare Härte sei. Auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen sei es gerechtfertigt, die Räumungsvollstreckung vorläufig einzustellen, bis abschließend geklärt sei, ob tatsächlich eine Suizidgefahr bestehe und wie hoch das Risiko einzuschätzen sei. Die vorgelegten Atteste belegten lediglich, dass beim Vater des Schuldners eine akute Belastungsstörung gegeben sei und er sich unter der Extrembelastung einer drohenden Zwangsräumung in einem psychischen Ausnahmezustand befinde. Der behandelnde Arzt sehe aber für den Fall einer Zwangsräumung eine Selbstgefährdung des Vaters des Schuldners. Dem Schuldner wurde Gelegenheit gegeben, zur Klärung der Frage, ob bei einer Zwangsräumung tatsächlich eine Suizidgefahr bestehe und wie diese auszuschließen sei, eine amtsärztliche Stellungnahme nachzureichen. Da dies unterblieb, hat das LG durch Beschluss v. 1.9.2004 die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen.
Nachdem der Räumungstermin auf den 13.12.2004 angesetzt worden war, hat der Schuldner mit Schriftsatz v. 22.11.2004 wieder beantragt, die Räumungsvollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss einstweilen einzustellen. Zur Begründung hat er (nach Aufforderung durch das AG) ein amtsärztliches Attest v. 30.11.2004 eingereicht. In diesem wird dargelegt, der Vater des Schuldners leide an einer akuten Erkrankung aus dem nervenärztlichen Stoffgebiet. Bei geringster psychischer Belastung bestehe die Gefahr einer Dekompensation mit möglichen fatalen Folgen. Es sollte eine psychiatrische ambulante und stationäre Therapie sowie eine medikamentöse Einstellung abgewartet werden, um eine eventuelle gesundheitliche Stabilisierung zu erreichen.
Das AG hat auf Grund dieses Attests die Suizidgefahr als hinreichend belegt angesehen und durch Beschluss v. 2.12.2004 die Zwangsvollstreckung bis zum 31.3.2005 eingestellt. Um der Suizidgefahr entgegenzuwirken, habe der Schuldner jedoch mit Nachdruck dafür zu sorgen, dass sich sein Vater unverzüglich in eine stationäre psychiatrische Therapie begebe, wo er medikamentös eingestellt werde. Sollte er hierzu nicht willens oder nicht in der Lage sein, müsse er mit der Fortsetzung der Zwangsvollstreckung rechnen. Sollte sich der Vater des Schuldners weiterhin einer Therapie entziehen, müsse er mit ordnungsbehördlichen Maßnahmen rechnen. Dem Schuldner werde weiterhin zur Auflage gemacht, sich unverzüglich nach einer anderen Wohnung umzusehen.
Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das LG diesen Beschluss am 7.12.2004 abgeändert und den Antrag des Schuldners v. 22.11.2004 zurückgewiesen. Die bereits an demselben Tag eingegangene sofortige Beschwerde des Schuldners, mit der er eine Einstellung der Zwangsvollstreckung mindestens bis zum 31.5.2005 begehrt hat, hat das LG durch Beschluss v. 13.12.2004 zurückgewiesen.
Gegen den Beschluss des LG v. 7.12.2004 hat der Schuldner die zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Gläubigerin hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
I. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen für eine weitere Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO lägen nicht vor. Dabei werde nicht verkannt, dass das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betroffen sei, wenn bei Durchführung einer Räumung schwer wiegende Gefahren für die Gesundheit und das Leben drohten. Da der Schuldner nunmehr auch ein amtsärztliches Attest vorgelegt habe, dem zu entnehmen sei, dass sein Vater bei einer Zwangsräumung suizidgefährdet sei, seien die drohenden gesundheitlichen Gefahren hinreichend belegt.
Von einem Betroffenen könne aber jedes zumutbare Bemühen um eine Verringerung des Krankheitsrisikos verlangt werden. Der Vater des Schuldners habe die ihm danach obliegende Mitwirkungspflicht schuldhaft verletzt, weil er sich trotz mehrfacher Ankündigung nicht in stationäre Behandlung begeben habe. Bereits in den vorangegangenen Verfahren sei dem Vater des Schuldners Gelegenheit gegeben worden, seinen Gesundheitszustand durch eine stationäre psychiatrische Behandlung zu verbessern. Nach der vorgelegten amtsärztlichen Stellungnahme v. 30.11.2004, in der eine stationäre Behandlung empfohlen werde, könne eine Therapie nicht als von vornherein aussichtslos angesehen werden.
Werde durch ein solches schuldhaftes Verhalten ein Zustand der Suizidgefahr aufrechterhalten, der einer Räumung des Grundstücks über einen langen Zeitraum entgegenstehen würde, seien der Schuldner und seine Angehörigen nicht mehr schutzwürdig. Auch bei besonders sorgfältiger Abwägung der Grundrechte der Beteiligten könne in einem solchen Fall nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Räumung eine besondere Härte darstelle, die gegen die guten Sitten verstoße. Bei einem solchen Fehlverhalten sei den Gläubigerinteressen wieder Vorrang einzuräumen.
II. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner auch das Begehren seiner sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des AG v. 2.12.2004 weiter, die Zwangsvollstreckung mindestens bis zum 31.5.2005 einzustellen. Das LG hat mit seinem Beschluss v. 7.12.2004 der Sache nach auch über dieses Begehren des Schuldners entschieden. Auf Grund der Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen diesen Beschluss ist deshalb auch dieses Begehren Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens geworden.
III. Die uneingeschränkte Zurückweisung des Antrags des Schuldners, die Zwangsvollstreckung gem. § 765a ZPO einstweilen einzustellen, hält der Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stand.
1. Die Vorschrift des § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen, die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Anzuwenden ist § 765a ZPO nur dann, wenn im Einzelfall die Zwangsvollstreckungsmaßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (BGHZ 44, 138 [143]; BGH, Beschl. v. 25.6.2004 - IXa ZB 267/03, BGHReport 2005, 63 = MDR 2005, 55 = NJW 2004, 3635 [3636]; Beschl. v. 21.12.2004 - IXa ZB 228/03, BGHReport 2005, 599 = WM 2005, 288 [289]; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 765a Rz. 5 f.; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 765a Rz. 5; Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., § 765a Rz. 5 ff.; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Bd. I, 3. Aufl., § 765a Rz. 8 ff.; Heßler in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 765a Rz. 7, 42).
2. Der Ansicht der Rechtsbeschwerde, dass die für den Vater des Schuldners bestehende Suizidgefahr eine Räumungsvollstreckung vollständig ausschließt, kann auch auf der Grundlage des im Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellenden Sachverhalts nicht zugestimmt werden.
a) Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verpflichtet die Vollstreckungsgerichte, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Ergibt die erforderliche Abwägung, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verletzen (BVerfG v. 3.10.1979 - 1 BvR 614/79, BVerfGE 52, 214 [219 f.] = MDR 1980, 116 = NJW 1979, 2607; v. 8.9.1997 - 1 BvR 1147/97, NJW 1998, 295 [296]; v. 16.8.2001 - 1 BvR 1002/01, NJW-RR 2001, 1523; v. 25.9.2003 - 1 BvR 1920/03, NJW 2004, 49; BGH v. 25.6.2004 - IXa ZB 267/03, BGHReport 2005, 63 = MDR 2005, 55 = NJW 2004, 3635 [3637]). Besteht im Fall einer Zwangsräumung bei einem nahen Angehörigen des Schuldners eine Suizidgefahr, ist diese bei der Anwendung des § 765a ZPO in gleicher Weise wie eine beim Schuldner selbst bestehende Gefahr zu berücksichtigen (OLG Frankfurt v. 28.10.1993 - 20 W 395/93, OLGReport Frankfurt 1993, 334 = NJW-RR 1994, 81; OLG Köln v. 7.2.1994 - 2 W 21/94, OLGReport Köln 1994, 127 = MDR 1994, 728 = NJW 1994, 1743; OLG Hamm v. 26.3.2001 - 15 W 66/01, OLGReport Hamm 2001, 280 = Rpfleger 2001, 508; OLG Saarbrücken v. 20.8.2002 - 5 W 383/01, Rpfleger 2003, 37 [38]). Die demgemäß vorzunehmende Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen auch dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und - in absoluten Ausnahmefällen - auf unbestimmte Zeit einzustellen ist (BVerfG v. 8.9.1997 - 1 BvR 1147/97, NJW 1998, 295 [296]).
b) Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, kann aber eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der - in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen der Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers (BVerfG v. 3.10.1979 - 1 BvR 614/79, BVerfGE 52, 214 [220] = MDR 1980, 116 = NJW 1979, 2607; NZM 1998, 431; OLG Köln v. 30.4.1993 - 2 W 50/93, OLGReport Köln 1993, 186 = NJW 1993, 2248 [2249]; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 765a Rz. 5; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Bd. I, 3. Aufl., § 765a Rz. 10; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 255 ff.; Sturm, Räumungsvollstreckung und Räumungsschutz gem. § 765a ZPO unter Berücksichtigung der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle, 2001, S. 209; Walker/Gruß, NJW 1996, 352 [353 ff.]).
Bei dieser Interessenabwägung kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen kann. Unterbleibt die Räumungsvollstreckung wegen der Annahme einer Suizidgefahr, die auch bei sorgfältiger fachlicher Prüfung nur auf der Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten beruhen kann, wird in das Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) eingegriffen (Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Bd. I, 3. Aufl., § 765a Rz. 1; Sturm, Räumungsvollstreckung und Räumungsschutz gem. § 765a ZPO unter Berücksichtigung der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle, 2001, S. 207; Scherer, DGVZ 1995, 33 [35]). Die Aufgabe des Staates, das Recht zu wahren, umfasst die Pflicht, ordnungsgemäß titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen (BVerfGE 49, 220 [231] = NJW 1979, 534 [535] - Sondervotum Böhmer). Der Gläubiger hat gem. Art. 19 Abs. 4 GG einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf tatsächlich wirksamen Rechtsschutz seines Eigentums (BVerfGE 49, 220 [225] = NJW 1979, 534 f.; BGH v. 21.12.2004 - IXa ZB 228/03, BGHReport 2005, 599 = WM 2005, 288 [289]; Sturm, Räumungsvollstreckung und Räumungsschutz gem. § 765a ZPO unter Berücksichtigung der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle, 2001, S. 208 f.; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 247). Dem Gläubiger dürfen nicht die Aufgaben überbürdet werden, die auf Grund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen (OLG Düsseldorf v. 22.12.1997 - 3 W 159/97, OLGReport Düsseldorf 1998, 123 [125]; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Bd. I, 3. Aufl., § 765a Rz. 11; Sturm, Räumungsvollstreckung und Räumungsschutz gem. § 765a ZPO unter Berücksichtigung der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle, 2001, S. 208; Walker/Gruß, NJW 1996, 352 [353 f.]; Linke, NZM 2002, 205 [208]).
Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Mögliche Maßnahmen betreffen die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, aber auch die Ingewahrsamnahme des Suizidgefährdeten nach polizeirechtlichen Vorschriften oder dessen Unterbringung (vgl. §§ 10 ff. PsychKG NW; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 765a Rz. 6; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 256 ff.; Sturm, Räumungsvollstreckung und Räumungsschutz gem. § 765a ZPO unter Berücksichtigung der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle, 2001, S. 218 f.; Scherer, DGVZ 1995, 33 [37 f.]). Nicht zuletzt ist aber auch der Gefährdete selbst gehalten, das ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen, zu verringern (BVerfG, Beschl. v. 15.1.1992 - 1 BvR 1466/91, NJW 1992, 1155; v. 12.2.1993 - 2 BvR 2077/92, NJW-RR 1993, 463 [464]; v. 25.9.2003 - 1 BvR 1920/03, NJW 2004, 49 f.; OLG Köln v. 30.4.1993 - 2 W 50/93, OLGReport Köln 1993, 186 = NJW 1993, 2248 [2249]; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 765a Rz. 5; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Bd. I, 3. Aufl., § 765a Rz. 10; E. Schneider, JurBüro 1994, 321 [324]; Walker/Gruß, NJW 1996, 352 [355]; Weyhe, NZM 2000, 1147 [1150]; Linke, NZM 2002, 205 [207 f.]). Dies gilt auch für einen nahen Angehörigen, wenn auf Antrag des Schuldners unter Berufung auf dessen Suizidgefährdung eine Maßnahme nach § 765a ZPO getroffen werden soll.
Einem Schuldner oder einem seiner Angehörigen, die im Fall der Zwangsvollstreckung suizidgefährdet sind, kann dementsprechend, wenn sie dazu in der Lage sind, zugemutet werden, fachliche Hilfe - ggf. auch durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik - in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötungsgefahr auszuschließen oder zu verringern. Ist ein Angehöriger betroffen, kann auch vom Schuldner selbst erwartet werden, dass er das ihm Zumutbare unternimmt, um Gefahren für dessen Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen (dazu auch BGH v. 25.6.2004 - IXa ZB 267/03, BGHReport 2005, 63 = MDR 2005, 55 = NJW 2004, 3635 [3637]).
c) Die Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass die Interessenabwägung hier deshalb gegen den Schuldner ausfallen müsse, weil dessen Vater die ihm obliegende Mitwirkungspflicht schuldhaft verletzt habe, wird von der Rechtsbeschwerde allerdings mit Erfolg angegriffen.
Die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe das Recht des Schuldners auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, ist begründet. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin v. 2.12.2004 gegen den an diesem Tag erlassenen Beschluss des AG ist den Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners nicht zugestellt worden. Der Schuldner hatte deshalb vor der Entscheidung des Beschwerdegerichts am 7.12.2004 keine Möglichkeit, zu dem Antrag der sofortigen Beschwerde, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aufzuheben, Stellung zu nehmen. Ein Grund, von der Anhörung des Schuldners abzusehen, bestand bei der gegebenen Sachlage nicht. Die Rechtsbeschwerde trägt vor, der Schuldner hätte bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgebracht, sein Vater habe sich in der Zeit v. 12.7. bis 3.8.2004 einer stationären Behandlung in einer psychiatrischen Klinik unterzogen. Nach Ansicht der Ärzte dort könne eine solche Behandlung jedoch nur zu einer Linderung der Symptome, nicht aber zu einer Änderung der akuten Suizidgefährdung bei einer situativen Einengung ohne erkennbaren Ausweg führen. Dies hätte der Schuldner durch Benennung des Chefarztes der Klinik als Zeugen oder durch ärztliche Bescheinigung der Klinik unter Beweis gestellt. Die Beurteilung der Klinikärzte entspreche der Beurteilung des Facharztes, der den Vater des Schuldners ambulant behandele. Der amtsärztlichen Bescheinigung, die auf eingehenden Untersuchungen beruhe, sei ebenfalls nicht zu entnehmen, dass eine stationäre psychiatrische Behandlung aussichtsreich sei. Der Vater des Schuldners werde zudem (ausweislich der vorgelegten Atteste v. 14.8. und 26.11.2004) von einem Facharzt, der auch Psychopharmaka einsetze, ambulant behandelt.
Wird dieses - im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht überprüfbare - Tatsachenvorbringen unterstellt, kann dem Vater des Schuldners zumindest keine entscheidend ins Gewicht fallende Verletzung seiner Pflicht, soweit zumutbar zum Erfolg der Zwangsvollstreckung beizutragen, vorgehalten werden.
d) Auch wenn das Vorbringen der Rechtsbeschwerde unterstellt wird, bedeutet dies jedoch nicht, dass eine Räumungsvollstreckung vollständig ausgeschlossen ist. Andernfalls müsste dem Schuldner im Ergebnis zeitlich unbegrenzt Vollstreckungsschutz gewährt werden, und dies auch dann, wenn - wie die Gläubigerin im Verfahren vorgetragen hat - seit dem Zuschlag v. 11.10.2002 nicht einmal ein Nutzungsentgelt in ortsüblicher Höhe gezahlt werden sollte und Erhaltungsaufwendungen für das genutzte Haus unterblieben sein sollten. Es ist vielmehr zu berücksichtigen, dass das Vollstreckungsgericht auf Antrag die Vollstreckung gem. § 765a ZPO auch von der Erfüllung von Auflagen abhängig machen kann (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 765a Rz. 15). Dies ermöglicht z.B. Anordnungen wie im Beschluss des AG v. 13.6.2003, nach denen die Durchführung der Zwangsräumung die Anwesenheit eines Beamten des Gesundheitsamts - Ordnungsamts - der Stadt und eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie zur Voraussetzung hatte (OLG Düsseldorf v. 22.12.1997 - 3 W 159/97, OLGReport Düsseldorf 1998, 123 [125 f.]; VGH BW v. 2.12.1996 - 1 S 1520/96, NJW 1997, 2832 [2834]; Sturm, Räumungsvollstreckung und Räumungsschutz gem. § 765a ZPO unter Berücksichtigung der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle, 2001, S. 218 f.). Wenn bereits bei Bevorstehen der Zwangsräumung für den Vater des Schuldners auf Grund krankheitsbedingten Verhaltens eine gegenwärtige Gefahr einer erheblichen Selbstgefährdung besteht, die anders nicht abgewendet werden kann, ist zudem seine Unterbringung nach § 11 PsychKG NW, ggf. auch schon vor dem Räumungstermin, zulässig.
IV. Die gem. § 765a ZPO zu treffende Entscheidung über Auflagen für die Durchführung der Zwangsvollstreckung hat der Tatrichter nach sorgfältiger Prüfung aller Umstände zu treffen. Die Sache ist deshalb zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1366764 |
BGHZ 2005, 66 |
NJW 2005, 1859 |
BGHR 2005, 1074 |
DWW 2005, 238 |
FamRZ 2005, 1170 |
NZM 2005, 517 |
WM 2005, 1226 |
ZAP 2005, 648 |
AnwBl 2005, 133 |
InVo 2005, 497 |
JZ 2005, 1111 |
MDR 2005, 891 |
Rpfleger 2005, 454 |
WuM 2005, 407 |
Info M 2005, 270 |
NJW-Spezial 2005, 387 |
ZVI 2005, 361 |
ProzRB 2005, 204 |