Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustellung anfechtbarer Beschlüsse in Betreuungssachen. Beginn der Beschwerdefrist

 

Leitsatz (amtlich)

Ist nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG ein anfechtbarer Beschluss zuzustellen, weil er dem erklärten Willen des Adressaten nicht entspricht, so wird die Beschwerdefrist für den Betroffenen in einer Betreuungssache nur durch Zustellung an ihn selbst in Lauf gesetzt. Die Zustellung an den Betreuer bleibt auf den Beginn der Beschwerdefrist für den Betroffenen auch dann ohne Einfluss, wenn der Betreuer für den Aufgabenkreis "Entgegennahme, Anhalten und Öffnen der Post" bestellt ist.

 

Normenkette

FamFG § 41 Abs. 1 S. 2, § 63 Abs. 3 S. 1, § 275; ZPO § 170 Abs. 1 S. 1; FamFG § 15 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Rostock (Beschluss vom 15.11.2010; Aktenzeichen 3 T 345/10)

AG Güstrow (Beschluss vom 27.08.2010; Aktenzeichen 32 XVII 445/05)

 

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Rostock vom 15.11.2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

Beschwerdewert: 3.000 EUR

2. Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Dr. Ackermann beigeordnet. Der Betroffene hat auf die Prozesskosten monatliche Raten von 15 EUR ab 1.7.2011 zu zahlen. Die Zahlungen sind an die Bundeskasse zu leisten.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung der für ihn bestehenden Betreuung.

Rz. 2

Mit Beschluss vom 21.3.2005 ist für den Betroffenen erstmalig eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheits- und Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Behörden-, Versicherungs-, Sozial- und Rentenangelegenheiten eingerichtet worden. Außerdem ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden. Als Zeitpunkt, bis zu dem über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung zu entscheiden ist, ist der 20.3.2010 angesetzt worden. Mit Beschluss vom 5.6.2009 ist die derzeitige Betreuerin bestellt worden. In der Folgezeit hat der Betroffene mehrfach die Aufhebung der Betreuung beantragt, u.a. mit Schreiben vom 20.5.2010.

Rz. 3

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das AG durch Beschluss vom 27.8.2010 die Bestellung der Betreuerin und die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts verlängert. Der Beschluss ist dem Betroffenen zu Händen der Betreuerin am 14.9.2010 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 9.10.2010, das am 13.10.2010 beim LG und am 19.10.2010 beim AG eingegangen ist, hat der Betroffene Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss eingelegt.

Rz. 4

Das LG hat die Beschwerde verworfen, weil die Beschwerdefrist nicht gewahrt sei. Der Beschluss sei dem Betroffenen über seine Betreuerin am 14.9.2010 zugestellt worden, so dass die Beschwerde bis zum 14.10.2010 beim AG hätte eingelegt werden müssen. Sie sei dort aber erst am 19.10.2010 eingegangen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

Rz. 5

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG auch ohne Zulassung statthaft (vgl. BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897 Rz. 9) und in zulässiger Weise eingelegt worden.

Rz. 6

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Betroffene hat die Frist zur Einlegung der Beschwerde gewahrt.

Rz. 7

a) Nach § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde innerhalb einer Frist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten (§ 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG). Die Bekanntgabe kann durch Zustellung nach den §§ 166 bis 195 ZPO oder dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Adressaten zur Post gegeben wird (§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Welche der beiden Möglichkeiten der Bekanntgabe das Gericht wählt, liegt grundsätzlich in dessen pflichtgemäßem Ermessen. Eine Wahlmöglichkeit besteht allerdings nicht, wenn spezielle gesetzliche Regelungen eine bestimmte Form vorschreiben (Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl., § 15 Rz. 8; Bahrenfuss in Bahrenfuss [Hrsg.] FamFG § 15 Rz. 3; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 15 Rz. 4). So ist nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG ein anfechtbarer Beschluss demjenigen zuzustellen, dessen erklärtem Willen er nicht entspricht.

Rz. 8

Danach war hier eine förmliche Zustellung des Beschlusses vom 27.8.2010 an den Betroffenen erforderlich. Denn dieser hatte mehrfach schriftlich, im Übrigen aber auch bei seiner in erster Instanz erfolgten Anhörung am 26.8.2010 erklärt, dass er eine Aufhebung der Betreuung wünsche.

Rz. 9

b) Entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts ist der angefochtene Beschluss dem Betroffenen nicht wirksam zugestellt worden. Die Zustellung ist vielmehr an die Betreuerin erfolgt, denn die Zustellungsurkunde ist - vermutlich wegen eines von der Betreuerin aufgrund ihres Aufgabenkreises (u.a. Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post) veranlassten Nachsendeauftrags - dahin "berichtigt" worden, dass an den Betroffenen "c/o B. H." zuzustellen ist.

Rz. 10

Die Zustellung an die Betreuerin wirkt indessen nicht gegen den Betroffenen. § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG verweist zwar hinsichtlich der Bekanntgabe durch Zustellung auf die §§ 166 bis 195 ZPO. § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO, nach dem bei nicht prozessfähigen Personen an deren gesetzlichen Vertreter zuzustellen ist, findet auf den Betroffenen im Betreuungsverfahren aber keine Anwendung. Nach § 275 FamFG ist der Betroffene vielmehr ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig. Durch diese Vorschrift, die eine Regelung i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 4 FamFG darstellt und die § 66 FGG entspricht, soll sichergestellt werden, dass Betroffene in allen mit der Betreuung zusammenhängenden Verfahren alle Angriffs- und Verteidigungsmittel selbst vorbringen und von Rechtsmitteln Gebrauch machen können. Dadurch soll die Rechtsposition der Betroffenen im Verfahrensrecht entscheidend verbessert werden (BT-Drucks. 11/4528, 170). Da ein Betroffener somit seine Rechte im Betreuungsverfahren aufgrund von § 275 FamFG selbst wahrnehmen kann, muss die Zustellung abweichend von § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO an ihn selbst erfolgen (OLG München BtPrax 2007, 180 - juris Rz. 10; Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG § 275 Rz. 3; Keidel/Budde, a.a.O., § 275 Rz. 3; Fröschle in Prütting/Helms FamFG § 275 Rz. 16; Brosey in Bahrenfuss, a.a.O., § 275 Rz. 2). Das gilt selbst dann, wenn - wie hier - ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden ist (Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff, a.a.O., § 275 Rz. 3; Brosey in Bahrenfuss, a.a.O., § 275 Rz. 2). Ohne Einfluss bleibt auch, dass die Betreuerin für den Aufgabenkreis "Entgegennahme, Anhalten und Öffnen der Post" bestellt ist. In seinem Aufgabenkreis vertritt der Betreuer den Betreuten zwar gerichtlich und außergerichtlich (§ 1902 BGB). Eine Zustellung nach § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO an den gesetzlichen Vertreter des Betroffenen scheidet im Betreuungsverfahren nach dem Vorstehenden aber gerade aus.

Rz. 11

c) Der danach vorliegende Zustellungsmangel ist nicht nach § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 189 ZPO geheilt worden, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Beschluss dem Betroffenen formlos zugegangen ist. Ausweislich der Mitteilung von Rechtsanwalt K., den das AG in dem angefochtenen Beschluss zum Verfahrenspfleger für den Betroffenen bestellt hatte, hat dieser dem Betroffenen den Beschluss am 14.9.2010 zur Kenntnis gegeben und erläutert. Dass dem Betroffenen das zuzustellende Schriftstück bei dieser Gelegenheit tatsächlich ausgehändigt worden ist, kann den Ausführungen indessen nicht entnommen werden. Diese Voraussetzung müsste aber erfüllt sein, damit die formgerechte Zustellung fingiert werden kann; die bloße Unterrichtung über den Inhalt des Dokuments genügt hierfür nicht (BGHSt 51, 257 = FamRZ 2007, 812, 813; BGHZ 70, 384 = NJW 1978, 1325 und Urt. v. 13.4.1992 - II ZR 105/91, NJW 1992, 2099, 2100; Zöller/Stöber ZPO, 28. Aufl., § 189 Rz. 4; Keidel/Sternal, a.a.O., § 15 Rz. 71).

Rz. 12

d) Da der Beschluss dem Betroffenen danach nicht wirksam zugestellt wurde, hat nach § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG der Lauf der Beschwerdefrist nicht begonnen. Der Betroffene hat deshalb am 19.10.2010 rechtzeitig Beschwerde beim AG eingelegt.

Rz. 13

3. Der angefochtene Beschluss kann mithin keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu entscheiden. Die Sache ist deshalb an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das nunmehr über die Begründetheit der Beschwerde zu befinden haben wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2705125

NJW 2011, 8

EBE/BGH 2011

FuR 2011, 457

NJW-RR 2011, 1011

FGPrax 2011, 206

JurBüro 2011, 556

ZAP 2011, 667

MDR 2011, 806

Rpfleger 2011, 497

ZNotP 2011, 267

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