Entscheidungsstichwort (Thema)
Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in ärztliche Zwangsmaßnahme. Erforderlicher Überzeugungsversuch. Wirksamkeit der Einwilligung durch den Betreuer. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zwangsbehandlung. Unterbringungssache. Psychiatrisches Sachverständigengutachten. Drohende erhebliche Selbstgefährdung. Höchstdauer. Ärztliche Zwangsmaßnahme. Angaben zur Durchführung und Dokumentation der Maßnahme. Verantwortung des Arztes
Leitsatz (amtlich)
a) Zu den materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme.
b) Der gem. § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB erforderliche Überzeugungsversuch ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung durch den Betreuer, der mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entscheidende Bedeutung zukommt.
c) Der Überzeugungsversuch muss ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks durch eine überzeugungsfähige und -bereite Person unternommen worden sein, was das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen hat.
d) Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff i.S.d. § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.
Normenkette
BGB § 1906 Abs. 3; FamFG § 323 Abs. 2, § 329 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Hannover (Beschluss vom 21.02.2014; Aktenzeichen 9 T 7/14, 9 T 8/14, 9 T 10/14) |
AG Neustadt a. Rbge. (Beschluss vom 30.01.2014; Aktenzeichen 6 XVII M 13/14) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der die Einwilligung der Betreuerin in eine ärztliche Zwangsmaßnahme genehmigende Beschluss des AG Neustadt am Rübenberge vom 30.1.2014 und der Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Hannover vom 21.2.2014, soweit die gegen die Genehmigung der Einwilligung gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen worden ist, die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse zu einem Drittel auferlegt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene leidet unter einer schizophrenen Psychose, die akut exazerbierte, nachdem die Betroffene die neuroleptische Prophylaxe abgesetzt hatte. Mit drei Beschlüssen vom 30.1.2014 bestellte das AG die Beteiligte zu 1) - die bereits seit 9.1.2014 vorläufige Betreuerin war - zur Betreuerin mit umfassendem Aufgabenkreis, genehmigte die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 29.7.2014 und genehmigte befristet bis 23.4.2014 die Einwilligung der Betreuerin in die zwangsweise Verabreichung von im einzelnen aufgeführten Psychopharmaka.
Rz. 2
Die gegen diese Entscheidungen eingelegten Beschwerden der Betroffenen hat das LG mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen. Hinsichtlich der durch Zeitablauf erledigten Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme begehrt sie die Feststellung, dass diese sie in ihren Rechten verletzt habe.
II.
Rz. 3
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme richtet. Hinsichtlich der Betreuung und der Unterbringungsgenehmigung ist sie hingegen unbegründet.
Rz. 4
1. Bei der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbringungssache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der hier aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (BGH v. 29.1.2014 - XII ZB 330/13, FamRZ 2014, 649 Rz. 7).
Rz. 5
2. Die Entscheidungen von AG und LG zur ärztlichen Zwangsmaßnahme haben die Betroffene in ihren Rechten verletzt, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (BGH v. 29.1.2014 - XII ZB 330/13, FamRZ 2014, 649 Rz. 8) festzustellen ist.
Rz. 6
a) Das AG hat ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zum Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für eine zwangsweise Behandlung der Betroffenen mit Neuroleptika eingeholt und die Betroffene angehört. Es hat auf dieser Grundlage festgestellt, dass bei der Betroffenen die medikamentöse Behandlung als eilbedürftig indiziert sei, weil sonst eine weitere Chronifizierung der Erkrankung mit der Gefahr erheblicher selbstgefährdender Fehlhandlungen bestehe. Während die Betroffene unbehandelt dauerhaft einer geschlossenen Unterbringung bedürfe, bestehe bei Einsatz der Neuroleptika eine berechtigte Hoffnung auf Besserung mit der Aussicht auf ein Leben außerhalb einer geschlossenen Einrichtung. Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme überwiege die von dieser zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich. Die Betroffene, die eine Behandlung ablehne, könne aufgrund ihrer Erkrankung die Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht erkennen. Ihre freie Willensbestimmung sei insoweit vollständig aufgehoben. Das LG hat nach erneuter Anhörung der Betroffenen die Feststellungen des AG als zutreffend erachtet.
Rz. 7
b) Die Entscheidungen des AG und des Beschwerdegerichts halten insoweit einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie sind in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.
Rz. 8
aa) Der Betreuer kann in eine im Rahmen einer zivilrechtlichen Unterbringung erfolgende ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen, wenn die in § 1906 Abs. 3 Satz 1 BGB aufgezählten Voraussetzungen kumulativ vorliegen (vgl. BT-Drucks. 17/11513, 7; Moll-Vogel FamRB 2013, 157, 158).
Rz. 9
(1) Durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18.2.2013 (BGBl. I, 266) hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 26.2.2013 in die Vorschrift des § 1906 BGB die neuen Abs. 3 und 3a eingefügt, mit denen die Voraussetzungen der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Einzelnen geregelt sind und das gerichtliche Genehmigungserfordernis normiert ist.
Rz. 10
Bei der Ausgestaltung dieser Voraussetzungen hatte der Gesetzgeber im Blick, dass es sich bei einer solchen Zwangsbehandlung wegen des mit ihr verbundenen erheblichen Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das auch das Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich der körperlichen Integrität schützt (BGH BGHZ 192, 337 = FamRZ 2012, 1366 Rz. 33; BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rz. 39, 44 m.w.N. und FamRZ 2013, 767 Rz. 49), nur um die ultima ratio handeln darf. Die Anwendung dieses letzten Mittels kommt insb. in Situationen drohender erheblicher Selbstgefährdung und nur bei Betroffenen in Betracht, die aufgrund psychischer Krankheit oder geistiger oder seelischer Behinderung selbst einwilligungsunfähig sind (vgl. BT-Drucks. 17/11513, 5 ff.). Zudem erfordert der mit einer Zwangsbehandlung regelmäßig verbundene schwerwiegende Grundrechtseingriff eine strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. dazu BGH BGHZ 193, 337 = FamRZ 2012, 1366 Rz. 34 m.w.N.).
Rz. 11
(2) In eine ärztliche Zwangsmaßnahme, also in die Behandlung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen, kann der Betreuer daher nach § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB nur einwilligen, wenn es dem Betroffenen krankheits- oder behinderungsbedingt an der Fähigkeit fehlt, die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu erkennen, oder wenn er trotz Vorliegens einer solchen Einsicht krankheits- oder behinderungsbedingt nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
Rz. 12
(3) Gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB muss die ärztliche Zwangsmaßnahme erforderlich sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden des Betroffenen abzuwenden (vgl. zu diesem Tatbestandsmerkmal etwa BGH v. 5.12.2012 - XII ZB 665/11, FamRZ 2013, 289 Rz. 15 ff.; v. 22.8.2012 - XII ZB 295/12, FamRZ 2012, 1705 Rz. 3 f.; v. 23.6.2010 - XII ZB 118/10, FamRZ 2010, 1432 Rz. 10 f.; Dodegge NJW 2013, 1265, 1267 f. m.w.N.). Denn die Überwindung des entgegenstehenden natürlichen Willens des Betroffenen im Wege der Zwangsbehandlung kann schon im Ansatz nur dann gerechtfertigt sein, wenn es gilt, gewichtige gesundheitliche Nachteile des Betroffenen zu verhindern (vgl. BT-Drucks. 17/11513, 7). Umgekehrt ist der natürliche Wille des Betroffenen zu respektieren, wenn auch bei Unterbleiben der Behandlung keine wesentlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Betroffenen zu erwarten sind.
Rz. 13
Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist weiterhin das Erfordernis, dass der erhebliche gesundheitliche Nachteil nicht durch eine mildere, dem Betroffenen zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BGB). Eine solche kann etwa in einer alternativen Behandlungsmethode zu sehen sein, die nicht dem natürlichen Willen des Betroffenen widerspricht und ebenfalls das mit der Zwangsbehandlung verfolgte Behandlungsziel herbeizuführen vermag, aber auch in sonstigen, die Behandlung entbehrlich machenden Maßnahmen (vgl. BeckOK/BGB/Müller [Stand: 1.8.2013] § 1906 Rz. 28; Marschner in Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl., § 1906 BGB Rz. 35; Dodegge NJW 2013, 1265, 1268).
Rz. 14
Auch wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist die Zwangsbehandlung nur verhältnismäßig, sofern der von ihr zu erwartende Nutzen die aus ihr für den Betroffenen folgenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BGB; vgl. auch BT-Drucks. 17/11513, 7). Dem zu erwartenden Behandlungserfolg sind die mit der Behandlung verbundenen Neben- und Auswirkungen einschließlich der möglichen Komplikationen gegenüberzustellen und Nutzen und Beeinträchtigungen gegeneinander abzuwägen (vgl. zu Einzelheiten etwa Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1.10.2013] § 1906 BGB Rz. 152 f.; Dodegge NJW 2013, 1265, 1268).
Rz. 15
(4) Schließlich setzt die Zulässigkeit einer zwangsweisen Behandlung gem. § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB voraus, dass vor der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme versucht wurde, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen und seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen. Dieser Versuch muss ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks (BT-Drucks. 17/12086, 1, 11; vgl. auch BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rz. 58) durch eine überzeugungsfähige und -bereite Person unternommen worden sein, was das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen hat.
Rz. 16
(a) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert, dass die Durchführung der ärztlichen Maßnahme gegen den natürlichen Willen des Betroffenen nicht vermieden werden kann, indem der Betroffene von ihrer Notwendigkeit überzeugt, so eine Änderung seines Willens herbeigeführt und eine Zwangsmaßnahme dadurch überflüssig wird. Um dies sicherzustellen, hat der Gesetzgeber auf Empfehlung des Rechtsausschusses (vgl. BT-Drucks. 17/12086) in § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB das entsprechende Erfordernis aufgenommen. Damit ist klargestellt, dass es sich bei dem Überzeugungsversuch um eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung durch den Betreuer handelt (vgl. auch Moll-Vogel FamRB 2013, 157, 158), der mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entscheidende Bedeutung zukommt (vgl. Masuch/Gmati NZS 2013, 521, 528).
Rz. 17
(b) Zur näheren Ausgestaltung eines solchen Versuchs, insb. dazu, von wem er zu unternehmen ist, enthält das Gesetz keine Angaben.
Rz. 18
Der Gesetzgeber hat mit der Regelung an die in § 1901 Abs. 3 Satz 3 BGB enthaltene, den Betreuer treffende Pflicht angeknüpft (BT-Drucks. 17/12086, 11), wichtige Angelegenheiten vor ihrer Erledigung mit dem Betroffenen zu besprechen, sofern dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft. Schon danach muss der Betreuer den Betroffenen, um ihm ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, vor Durchführung einer Maßnahme über diese in für den Betroffenen verständlicher Weise informieren (BT-Drucks. 17/11513, 6). Zudem wird der Betreuer die ordnungsgemäße Durchführung des Überzeugungsversuchs als Voraussetzung für die Wirksamkeit seiner Einwilligungserklärung am zuverlässigsten beurteilen können, wenn er selbst daran beteiligt war. Gegen eine - danach folgerichtige - Mitwirkung des Betreuers spricht nicht § 630c Abs. 2 Satz 1 BGB (anders BeckOK/BGB/Müller [Stand: 1.8.2013] § 1906 Rz. 28), der die aus dem Behandlungsvertrag folgende Aufklärungspflicht des behandelnden Arztes gegenüber dem Patienten bei Beginn und im Verlauf der Behandlung regelt. Denn § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB geht mit der Forderung nach einem Überzeugungsversuch über die vertragliche Pflicht zur Aufklärung und Erläuterung hinaus. Letztgenannte setzt außerdem erst im Zusammenhang mit dem Behandlungsbeginn ein, während der Versuch, den Betroffenen von der Notwendigkeit zu überzeugen, schon allein deshalb deutlich früher erfolgen muss, weil die darauf aufbauenden Betreuereinwilligung und gerichtliche Genehmigung der ärztlichen Aufklärung gem. § 630c Abs. 2 Satz 1 BGB und dem Behandlungsbeginn zeitlich vorauszugehen haben (so auch Palandt/Götz BGB, 73. Aufl., § 1906 Rz. 26).
Rz. 19
Andererseits wird ein Überzeugungsversuch zur Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung regelmäßig nur dann erfolgversprechend sein, wenn er sich auch auf ärztliche Fachkenntnis stützt und der behandelnde Arzt einen vertrauensvollen Zugang zum Betroffenen findet. Zudem dürfte der Betreuer in der in § 1906 Abs. 3 Satz 2 BGB geregelten Konstellation, also wenn das Betreuungsgericht die Einwilligung wegen Verhinderung des Betreuers im Wege einer einstweiligen Maßregel selbst anordnet, häufig schon im Vorfeld der Einwilligungserteilung als Überzeugungsperson ausfallen (vgl. auch Grotkopp BtPrax 2013, 83, 87). Gleichwohl muss auch in diesem Fall ein Überzeugungsversuch erfolgt sein.
Rz. 20
Im Ergebnis vermeidet die offen gehaltene gesetzliche Regelung mithin eine genaue Festlegung, wer im Rahmen des § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB tätig werden muss. Dies wird regelmäßig der ärztlich beratene Betreuer, kann aber ggf. auch ein behandelnder Arzt sein (vgl. Lipp FamRZ 2013, 913, 921; Dodegge NJW 2013, 1265, 1267; Grotkopp BtPrax 2013, 83, 87). In Betracht kommen für den Überzeugungsversuch zudem Vertrauenspersonen des Betroffenen aus seinem Angehörigen- und Freundeskreis (vgl. Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1.10.2013] § 1906 BGB Rz. 142; Masuch/Gmati NZS 2013, 521, 530). Im Übrigen hängt die Ausgestaltung des Überzeugungsversuchs stark vom jeweiligen Einzelfall mit dem Krankheits- oder Behinderungsbild des Betroffenen ab.
Rz. 21
bb) In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG die Genehmigung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme den Unterbringungssachen i.S.d. § 312 FamFG zugeordnet. Damit gelten für das gerichtliche Verfahren die bereits vor der Gesetzesänderung im zweiten Abschnitt des dritten Buches des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) enthaltenen Vorschriften.
Rz. 22
Zusätzlich muss gem. § 323 Abs. 2 FamFG die Beschlussformel enthalten, dass die Zwangsmaßnahme unter der Verantwortung eines Arztes durchzuführen und zu dokumentieren ist (BT-Drucks. 17/11513, 8; vgl. auch BGH BGHZ 193, 337 = FamRZ 2012, 1366 Rz. 40). Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung (vgl. Grotkopp BtPrax 2013, 90) handelt es sich hierbei nicht lediglich um einen klarstellenden Ausspruch. Vielmehr wird durch den Beschlusstenor die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Zwangsmaßnahme unabhängig von aus dem zivilrechtlichen Behandlungsvertrag folgenden Pflichten daran geknüpft, dass diese Vorgaben erfüllt sind (vgl. auch Keidel/Budde FamFG 18. Aufl., § 323 Rz. 8).
Rz. 23
Darüber hinaus gelten Sonderregelungen für die Person des gerichtlichen Gutachters (§§ 312 Abs. 1 Satz 5, 329 Abs. 3 FamFG; vgl. dazu BGH v. 30.10.2013 - XII ZB 482/13, FamRZ 2014, 29 Rz. 9).
Rz. 24
Schließlich bestimmt § 329 Abs. 1 Satz 2 FamFG nun als Höchstdauer für die (erstmalige) Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme eine Frist von sechs Wochen. Bei Erlass einer einstweiligen Anordnung beträgt diese Frist nach § 333 Abs. 2 Satz 1 FamFG zwei Wochen. Der Gesetzgeber hat diese gegenüber der Unterbringung kürzeren Fristen damit begründet, dass nach den Erfahrungswerten der bisherigen Praxis von einer wenige Wochen andauernden Behandlungsbedürftigkeit ausgegangen werde (BT-Drucks. 17/11513, 8).
Rz. 25
cc) Diesen gesetzlichen Anforderungen werden die angefochtenen Entscheidungen zur Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme in verschiedener Hinsicht nicht gerecht.
Rz. 26
(1) Weder im amtsgerichtlichen Beschluss noch in der sich im Wesentlichen in einer Bezugnahme auf diesen erschöpfenden Beschwerdeentscheidung sind Feststellungen dazu enthalten, ob der gem. § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB vor der Einwilligung der Betreuerin in die ärztliche Zwangsmaßnahme durchzuführende Überzeugungsversuch stattgefunden hat.
Rz. 27
Das AG verweist lediglich darauf, die Betroffene sei aktuell zu einer freiwilligen Behandlung auch unter stationären Bedingungen nicht bereit und habe die Einnahme von Haldol in der richterlichen Anhörung dezidiert abgelehnt. Daraus ergibt sich jedoch nur der der Behandlung entgegenstehende natürliche Wille der Betroffenen, ohne den schon keine ärztliche Zwangsmaßnahme vorliegen würde. Ob von der Betreuerin, Ärzten oder sonstigen Dritten der Versuch unternommen wurde, die Betroffene von der Notwendigkeit der medikamentösen Behandlung zu überzeugen, lässt sich den Vorentscheidungen nicht entnehmen.
Rz. 28
Das AG hat mithin die Genehmigung i.S.d. § 1906 Abs. 3a Satz 1 BGB erteilt und das LG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen, ohne dass das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Einwilligung festgestellt war.
Rz. 29
(2) Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, ist die Beschwerdeentscheidung auch deswegen rechtsfehlerhaft, weil das LG unter Verstoß gegen § 26 FamFG das Vorliegen der in § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BGB geregelten Voraussetzung eines deutlichen Überwiegens des zu erwartenden Nutzens gegenüber den zu erwartenden Beeinträchtigungen nicht ausreichend aufgeklärt hat.
Rz. 30
Zwar hat das AG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf der Grundlage der detaillierten Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zu den mit der Behandlung verbundenen Erfolgsaussichten, Nebenwirkungen und Risiken das deutliche Überwiegen gem. § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BGB bejaht. Insbesondere war der Gutachter zu einer "berechtigten Besserungshoffnung" gelangt. Im Rahmen der knapp drei Wochen nach der erstinstanzlichen Entscheidung vom LG durchgeführten Anhörung hat die behandelnde Ärztin jedoch geäußert, "eine Veränderung bzw. Verbesserung des Zustands [der Betroffenen] sei zweifelhaft". Damit aber hätte sich das LG auseinandersetzen und ggf. weitere Ermittlungen anstellen müssen, weil diese ärztliche Einschätzung darauf hindeutete, dass sich die Erfolgsprognose gegenüber der Situation bei der erstinstanzlichen Beurteilung verschlechtert hatte. Dies hätte im Bestätigungsfall den von der Zwangsbehandlung zu erwartenden Nutzen vermindert und damit dazu führen können, dass nicht mehr von einem deutlichen Überwiegen ausgegangen werden konnte - was das LG hätte veranlassen müssen, die Genehmigung wegen veränderter tatsächlicher Umstände aufzuheben.
Rz. 31
(3) Darüber hinaus verstößt die Genehmigungsentscheidung gegen § 329 Abs. 1 Satz 2 FamFG. Statt der bei der erstmaligen Genehmigung zulässigen Höchstfrist von sechs Wochen hat das AG die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme für den Zeitraum 30.1.2014 bis 23.4.2014 und damit für einen Zeitraum von fast zwölf Wochen genehmigt.
Rz. 32
(4) Zudem fehlt es im Tenor der amtsgerichtlichen Genehmigungsentscheidung an den nach § 323 Abs. 2 FamFG erforderlichen Angaben zur Durchführung und Dokumentation dieser Maßnahme in der Verantwortung eines Arztes.
Rz. 33
c) Die Betroffene ist durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrer durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten körperlichen Integrität und dem vom Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mitumfassten Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer körperlichen Integrität verletzt worden.
Rz. 34
aa) Die Feststellung, dass ein Betroffener durch angefochtene Entscheidungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (BGH v. 29.1.2014 - XII ZB 330/13, FamRZ 2014, 649 Rz. 23 m.w.N.) oder wenn eine Heilung im Nachhinein nicht mehr möglich ist (BGH v. 15.2.2012 - XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619 Rz. 27 m.w.N.).
Rz. 35
bb) Für den über sechs Wochen hinausgehenden Genehmigungszeitraum, der bei Eingang der Rechtsbeschwerdebegründung bereits abgelaufen war und für den es an einer gesetzlichen Grundlage fehlte, scheidet eine Heilung von vornherein aus.
Rz. 36
Aber auch für die ersten sechs Wochen kommt eine Aufhebung und Zurückverweisung zur Nachholung der zu § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 5 BGB fehlenden Feststellungen nicht in Betracht. Zum einen ist bereits fraglich, ob nach der inzwischen verstrichenen Zeit die Prognoseentscheidung zum deutlichen Überwiegen des Nutzens der konkreten ärztlichen Zwangsmaßnahme noch verlässlich zu treffen wäre. Zum anderen ist der Betroffenen die Verfahrensfortsetzung nicht zumutbar. Denn eine solche würde sich nach Erledigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme auf erstmalige nachprüfbare Feststellungen zu einer materiell-rechtlichen Einwilligungsvoraussetzung richten, die in den Gründen beider Vorentscheidungen gänzlich unbeachtet geblieben ist. Es ist daher davon auszugehen, dass die angegriffenen Entscheidungen auch insoweit auf dem Verfahrensfehler beruhen (vgl. BGH v. 7.8.2013 - XII ZB 691/12, FamRZ 2013, 1725 Rz. 16).
Rz. 37
cc) Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten - Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Wie bei einer freiheitsentziehenden Maßnahme (vgl. BGH v. 29.1.2014 - XII ZB 330/13, FamRZ 2014, 649 Rz. 27 m.w.N.) bedeutet auch die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff i.S.d. § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.
Rz. 38
3. Soweit die Betroffene sich gegen die Anordnung der Betreuung und gegen die Unterbringungsgenehmigung wendet, ist die angegriffene Entscheidung hingegen nicht zu beanstanden und hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand. Der Senat hat die gerügten Verfahrensmängel geprüft, die Rügen aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m. § 564 ZPO).
Rz. 39
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird insoweit abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
Haufe-Index 7005213 |
BGHZ 2015, 324 |
NJW 2014, 2497 |
NJW 2014, 6 |
EBE/BGH 2014 |
FamRZ 2014, 1358 |
FamRZ 2014, 1447 |
FuR 2014, 538 |
FGPrax 2014, 224 |
JurBüro 2014, 612 |
ArztR 2015, 37 |
BtPrax 2014, 229 |
DNotZ 2014, 775 |
JZ 2014, 488 |
JZ 2014, 493 |
JZ 2015, 253 |
JZ 2015, 35 |
JZ 2015, 38 |
MDR 2014, 900 |
MedR 2015, 116 |
Rpfleger 2014, 594 |
FF 2014, 378 |
FamRB 2014, 7 |
NotBZ 2014, 377 |
PflR 2014, 580 |
GuP 2014, 199 |
NZFam 2014, 813 |
R&P 2014, 170 |
R&P 2014, 219 |