Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerde. Zulassungsgrund. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
Leitsatz (redaktionell)
Die objektive Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit sich der Rechtsanwalt durch Anweisungen an sein Büropersonal – allgemein oder im Einzelfall erteilt – entlasten kann, unterfällt, wenn die Gefahr der Wiederholung besteht, nach dem Willen des Gesetzgebers dem Zulassungsgrund der „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung” nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Normenkette
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2, § 522 Abs. 1 S. 4, § 238 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 27.03.2002) |
LG Landshut (Urteil vom 06.12.2001) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 27. März 2002 aufgehoben.
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 6. Dezember 2001 gewährt.
Beschwerdewert: (34.000 DM =) 17.383,92 EUR.
Tatbestand
I.
Gegen das am 21. Dezember 2001 ihm zugestellte klageabweisende Urteil des Landgerichts Landshut hat der Kläger mit Schriftsatz vom 21. Januar 2002, beim OLG München am gleichen Tag per Telefax eingegangen, Berufung eingelegt. Der Schriftsatz ist nicht unterschrieben. Nach einem Hinweis auf das Fehlen der Unterschrift hat der Kläger unter erneuter Einlegung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung vorgetragen und glaubhaft gemacht:
Der Ablauf der Berufungsfrist sei ordnungsgemäß für den 21. Januar 2002 in den Fristenkalender der Kanzlei seines Prozeßbevollmächtigten eingetragen worden. Als dem Prozeßbevollmächtigten am letzten Tag der Frist der fertige Entwurf der Berufungsschrift zur Unterschrift vorgelegt worden sei, habe dieser die Kanzleimitarbeiterin M. F. angewiesen, zunächst den Entwurf der Begründungsschrift durch den Zusatz „zur Fristwahrung” zu ergänzen. M. F. habe die Ergänzung vorgenommen, es jedoch versäumt, den Schriftsatz vor Absendung per Telefax erneut dem Rechtsanwalt zur Unterschrift vorzulegen. In der Kanzlei bestehe die allgemeine Anweisung, sämtliche Anwaltsschriftsätze vor Versand bzw. Telefax-Übermittlung auf das Vorhandensein einer Unterschrift zu prüfen. M. F. sei eine sehr zuverlässige, umsichtige, geschulte und regelmäßig überwachte Kanzleimitarbeiterin, die über „reichliche Berufserfahrung” verfüge.
Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen. Es hat den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für unbegründet gehalten, weil die Versäumung auf einem anwaltlichem Verschulden beruhe.
Gegen diesen Beschluß hat der Kläger durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt Rechtsbeschwerde eingelegt und diese nach Fristverlängerung begründet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.
1. Das Rechtsmittel ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die ausdrückliche Nichtzulassung des Rechtsmittels durch das Berufungsgericht vermag hieran nichts zu ändern.
2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Der Kläger rügt die Verwerfung seiner Berufung gegen das Urteil des Landgerichts vom 6. Dezember 2001 wegen Nichteinhaltung der Berufungsfrist als rechtsfehlerhaft. Er meint, seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist hätte das Berufungsgericht entsprechen müssen, weil in der Kanzlei seines zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten das Büropersonal allgemein angewiesen sei, ausgehende Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein einer Unterschrift zu überprüfen. Damit beruft sich der Kläger auf eine Abweichung in der zu entscheidenden Rechtsfrage zu der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach bei Einreichung einer nicht unterzeichneten Berufungsschrift Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann, wenn das Büropersonal des Prozeßbevollmächtigten im vorgenannten Sinne angewiesen ist (vgl. BGH, Beschluß vom 27. September 1994 – XI ZB 9/94, NJW 1994, 3235 unter II 2 m.w.Nachw.). Diese objektive Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit sich der Rechtsanwalt durch Anweisungen an sein Büropersonal – allgemein oder im Einzelfall erteilt – entlasten kann, unterfällt, wenn – wie hier – die Gefahr der Wiederholung besteht, nach dem Willen des Gesetzgebers dem Zulassungsgrund der „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung” (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Da der Kläger die genannte Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausdrücklich geltend gemacht hat, hat er entsprechend § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO dargelegt.
3. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Rechtsprechung hätte das Berufungsgericht dem Wiedereinsetzungsantrag stattgeben müssen. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat eine entsprechende Anweisung glaubhaft gemacht. Wenn das Büropersonal nach Ergänzung des Schriftsatzes vor dessen Einreichung bei Gericht weisungsgemäß darauf geachtet hätte, ob das Schriftstück mit der Unterschrift des Anwalts versehen war, wäre deren Fehlen bemerkt worden. Dann wäre die nicht unterschriebene Berufung dem Anwalt erneut vorgelegt und die Unterschrift von ihm nachgeholt worden.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Wolst, Dr. Frellesen
Fundstellen
NJW-RR 2003, 277 |
KammerForum 2003, 160 |