Leitsatz (amtlich)
Der verfahrenskostenhilfebedürftige Rechtsmittelführer ist auch dann an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels gehindert, wenn er ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt und dafür Verfahrenskostenhilfe beantragt hat. Das Rechtsmittelgericht hat auch in diesem Fall zunächst über die beantragte Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, bevor es das Rechtsmittel als unzulässig verwirft (im Anschluss an BGH v. 23.3.2011 - XII ZB 51/11, FamRZ 2011, 881; v. 20.7.2005 - XII ZB 31/05, FamRZ 2005, 1537).
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 25.08.2014; Aktenzeichen II-5 UF 139/14) |
AG Mönchengladbach-Rheydt (Beschluss vom 12.06.2014; Aktenzeichen 24 F 16/13) |
Tenor
Dem Antragsgegner wird gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Senats für Familiensachen des OLG Düsseldorf vom 25.8.2014 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der vorgenannte Beschluss im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beschwerde des Antragstellers verworfen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.
Wert: 10.524 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Das AG hat durch Beschluss vom 12.6.2014 die am 21.12.2006 geschlossene Ehe der Antragstellerin und des Antragsgegners geschieden, den Versorgungsausgleich geregelt und den Antragsgegner zu nachehelichem Unterhalt i.H.v. monatlich 254 EUR verpflichtet. Der Beschluss ist dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 26.6.2014 zugestellt worden. Mit am 3.7.2014 beim OLG eingegangenem Schreiben vom 1.7.2014 hat der Antragsgegner gegen den Beschluss persönlich Beschwerde eingelegt. Das OLG hat die Übersendung des Schreibens an das AG veranlasst, wo dieses am 22.7.2014 eingegangen ist. Mit am 9.7.2014 beim OLG eingegangenem Schreiben vom 3.7.2014 hat der Antragsgegner die Beschwerde wiederum persönlich begründet und Verfahrenskostenhilfe beantragt.
Rz. 2
Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen und zugleich das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Verwerfung der Beschwerde.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und, soweit die Beschwerde verworfen worden ist, zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen gem. § 574 Abs. 2 ZPO zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Antragstellers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGH, Beschl. v. 2.4.2008 - XII ZB 189/07, FamRZ 2008, 1338 Rz. 8 m.w.N.).
Rz. 5
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Beschwerdegericht hätte die Beschwerde nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen dürfen, dass keine den Anforderungen der §§ 64 Abs. 2 Satz 4, 114 FamFG genügende Beschwerdeschrift bei Gericht eingegangen sei. Denn der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 3.7.2014 innerhalb der Beschwerdefrist Verfahrenskostenhilfe beantragt.
Rz. 6
a) Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist oder Rechtsmittelbegründungsfrist Prozesskostenhilfe (oder Verfahrenskostenhilfe) beantragt hat, ist bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen oder rechtzeitig zu begründen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (BGH v. 25.3.2015 - XII ZB 96/14, FamRZ 2015, 1103 Rz. 5; v. 17.7.2013 - XII ZB 174/10, FamRZ 2013, 1720 Rz. 16 m.w.N.). Das gilt auch dann, wenn neben dem Verfahrenskostenhilfegesuch ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden ist (vgl. BGH v. 20.7.2005 - XII ZB 31/05, FamRZ 2005, 1537). Da der Verfahrenskostenhilfe beantragende Beteiligte wegen seiner Verfahrenskostenhilfebedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, ist ihm, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Beschwerdegericht hat dementsprechend zunächst über das Verfahrenskostenhilfegesuch zu entscheiden (vgl. BGH v. 23.3.2011 - XII ZB 51/11, FamRZ 2011, 881 Rz. 10 m.w.N.).
Rz. 7
b) Nach diesen Grundsätzen durfte das OLG die Beschwerde nicht gleichzeitig mit der Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners verwerfen.
Rz. 8
Ob das Gesuch nach § 64 Abs. 1 Satz 2 FamFG beim AG oder wegen der bereits persönlich eingelegten Beschwerde beim OLG einzureichen war, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls wäre im ordentlichen Geschäftsgang eine rechtzeitige Weiterleitung des Verfahrenskostenhilfegesuchs an das AG noch möglich gewesen, nachdem das Gesuch am 9.7.2014 und somit mehr als zwei Wochen vor Ablauf der Rechtsmittelfrist bei ihm eingegangen war (vgl. BGH v. 14.5.2014 - XII ZB 689/13, NJW-RR 2014, 1347 Rz. 28 m.w.N.). Nachdem der Antragsgegner sich in zulässiger Weise auf die Bewilligung ratenfreier Verfahrenskostenhilfe in der ersten Instanz bezogen hatte, musste er nach den gegebenen Umständen nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen. Das OLG hätte demnach in jedem Fall zunächst über die Verfahrenskostenhilfe entscheiden müssen, weil dem Antragsgegner - bei rechtzeitiger Nachholung der Beschwerdeeinlegung und -begründung - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.
Rz. 9
c) Die angefochtene Entscheidung kann demnach keinen Bestand haben. Nach der Zurückverweisung an das OLG hat der Antragsgegner Gelegenheit, ein erneutes Verfahrenskostenhilfegesuch zu stellen oder die Beschwerde - verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - auf eigene Kosten einzulegen und zu begründen.
Fundstellen
Haufe-Index 8795597 |
NJW 2016, 8 |
EBE/BGH 2015 |
FamRZ 2016, 209 |
FuR 2016, 163 |
NJW-RR 2016, 186 |
ZAP 2016, 61 |
JZ 2016, 45 |
MDR 2016, 112 |
NJ 2016, 7 |
FamRB 2016, 103 |
FK 2016, 40 |
RENO 2016, 23 |