Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderjährigenschutzabkommen. Zuständigkeit Heimatbehörde. Beantragung von Schutzmaßnahmen im Heimatstaat. Internationale Zuständigkeit
Leitsatz (amtlich)
a) Zur Zuständigkeit der Heimatbehörden nach dem Minderjährigenschutzabkommen, wenn bereits vor einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Minderjährigen Schutzmaßnahmen im Heimatstaat beantragt oder vorbereitet worden sind.
b) Zur Anwendbarkeit des Grundsatzes der perpetuatio fori auf die internationale Zuständigkeit.
Normenkette
MSA Art. 1, 4-5; ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die weitere Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des 15. Zivilsenats – Familiensenat – des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. April 2000 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Wert: 766 EUR (= 1.500 DM)
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten im Rahmen des Scheidungsverbundes um die elterliche Sorge für ihre am 8. September 1995 geborene Tochter L. Nach der Mitte Februar 1998 erfolgten Trennung der Parteien nahm der Antragsgegner das Kind Anfang März 1998 zu sich und zog mit ihm im Oktober 1998 nach Frankreich, wo es eingeschult wurde. Die Ehe der Eltern ist seit dem 29. Februar 2000 rechtskräftig geschieden. Das Familiengericht hat im Verbundurteil u.a. der Antragsgegnerin die elterliche Sorge für L. übertragen. Auf die rechtzeitig eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Familiengerichts hinsichtlich der Sorgerechtsregelung abgeändert und den Antrag der Mutter, ihr das Sorgerecht zu übertragen, wegen fehlender internationaler Zuständigkeit abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen weiteren Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Die weitere Beschwerde ist nicht begründet. Das Oberlandesgericht hat seine internationale Zuständigkeit ebenso wie die internationale Zuständigkeit des Familiengerichts zu Recht und unter zutreffendem Hinweis auf Art. 1 des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 (BGBl. 1971, II 217; im Folgenden: MSA) verneint.
1. Art. 1 MSA begründet für Schutzmaßnahmen zugunsten eines Minderjährigen eine ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; im Anwendungsbereich des MSA kann auf die Regeln des autonomen nationalen Rechts über die internationale Zuständigkeit nicht zurückgegriffen werden (Staudinger/Kropholler BGB 13. Bearb., Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rdn. 25). Die hier im Streit stehende Regelung der elterlichen Sorge für das Kind der Parteien gehört zu den Schutzmaßnahmen im Sinne des Art. 1 MSA (Senatsbeschluß vom 11. April 1984 – IVb ZB 96/82 – FamRZ 1984, 686, 687).
Das MSA wird auch nicht durch andere vertragsrechtliche Regelungen verdrängt; insbesondere läßt sich eine internationale Zuständigkeit nicht aus der – dem MSA vorgehenden – Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für gemeinsame Kinder der Ehegatten (ABl. L 160/19 vom 30. Juni 2000; „Brüssel II”) herleiten. Diese Verordnung gilt nach ihrem Art. 42 nicht für Verfahren, die bereits vor ihrem Inkrafttreten anhängig geworden sind. Das ist hier der Fall, da die Mutter den Antrag auf Übertragung der Sorge bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht am 20. Januar 1999 gestellt hat.
2. Das Oberlandesgericht geht davon aus, daß das Kind L. seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hat. Diese tatrichterliche Beurteilung läßt Rechtsfehler nicht erkennen: Das Kind ist inzwischen sechs Jahre alt und lebt seit seinem dritten Lebensjahr bei dem Antragsteller in Südfrankreich. L. besucht dort die Schule; der Antragsteller ist dort in einer Familie, mit deren Kindern L. offenbar gemeinsam aufwächst, als Erzieher tätig. Beides spricht dafür, daß der Schwerpunkt der Bindungen des Kindes, also sein Daseinsmittelpunkt (zu diesen Kriterien vgl. Senatsbeschluß vom 29. Oktober 1980 – IVb ZB 586/80 – FamRZ 1981, 135, 136) in Frankreich liegt.
Der Umstand, daß der Antragsteller das Kind ohne Zustimmung der Antragsgegnerin nach Frankreich verbracht hat, rechtfertigt es nicht, an die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts besonders scharfe Anforderungen zu stellen (in diese Richtung OLG Hamm FamRZ 1989, 1109, 1110; FamRZ 1991, 1346, 1347). Zwar muß vermieden werden, daß sich ein Elternteil die Zuständigkeit ausländischer Gerichte – insbesondere durch „legal kidnapping” – erschleicht. Das war aber hier nicht der Fall: Die Eltern hatten – nachdem sie zuvor wechselseitig das Kind jeweils im Handstreich an sich gebracht hatten – Einvernehmen erzielt, daß das Kind bis auf weiteres beim Antragsteller verbleibt und der Antragsgegnerin der Umgang ermöglicht wird. Der Antragsteller hat dann im Oktober 1998 – im Zuge seiner beruflichen Veränderung nach Frankreich – die ihm allein überlassene tatsächliche Personensorge genutzt, das Kind in seinen Wohnsitzwechsel einzubeziehen. Damit hat er zwar faktisch die Möglichkeit der Antragsgegnerin zum Umgang mit dem gemeinsamen Kind unterlaufen oder doch nachhaltig erschwert; eine Erschleichung der Zuständigkeit ausländischer Gerichte liegt darin jedoch um so weniger, als sich durch den Wohnsitzwechsel an der schon bislang praktizierten Wahrnehmung der tatsächlichen Personensorge für L. durch den Antragsteller nichts geändert hat und im übrigen auch nicht ersichtlich ist, welchen Vorteil der Antragsteller aus der Zuständigkeit der französischen Gerichte bei einer künftigen Sorgerechtsregelung ziehen könnte. Die vom Familiengericht in diesem Zusammenhang getroffenen Sorgerechtsregelungen führen zu keiner anderen Beurteilung des Verhaltens des Antragstellers; denn die vom Familiengericht angeordnete einstweilige Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter folgte dem Wohnsitzwechsel des Antragstellers zeitlich ebenso nach wie die damit einhergehende Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt, mit welcher das Familiengericht Zweifeln an der Erziehungsfähigkeit der Mutter Rechnung tragen wollte (vgl. dessen – vom Oberlandesgericht am 12. April 1999 bestätigten – Beschluß vom 20. Januar 1999). Letztlich kann freilich offenbleiben, ob und inwieweit das Verhalten des Antragstellers gedacht und geeignet war, seine Sorgerechtsposition durch die Begründung der Zuständigkeit ausländischer Gerichte zu verbessern. Angesichts der Verweildauer und der sozialen Einbindung des Kindes in Frankreich wird man nämlich mit dem Oberlandesgericht auch dann von einem gewöhnlichem Aufenthalt des Kindes in Frankreich ausgehen müssen, wenn man – wie das OLG Hamm (aaO) – an dieses Tatbestandsmerkmal im Einzelfall verschärfte Anforderungen stellt, um einer mißbräuchlichen Veränderung des internationalen Gerichtsstands in Sorgerechtssachen zu begegnen.
3. Eine dem Art. 1 MSA vorrangige Verbundzuständigkeit der deutschen Gerichte besteht – mangels eines Vorbehalts nach Art. 15 MSA – nicht (Senatsbeschluß vom 11. November 1984 – IVb ZB 41/82 – FamRZ 1984, 350, 353). Auch der Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO), auf den sich die weitere Beschwerde stützt, vermag eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht zu begründen:
a) Es erscheint schon zweifelhaft, ob für das vorliegende Sorgerechtsverfahren überhaupt eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet war, welche – die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des Grundsatzes der perpetuatio fori unterstellt – den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes überdauern könnte.
Aus dem am 20. März 1998 – vor dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts – im Zwangsverbund mit der Scheidung anhängig gewordenen Sorgerechtsverfahren läßt sich eine solche fortdauernde Zuständigkeit des Familiengerichts und des Oberlandesgerichts nicht herleiten. Dieses Verfahren ist nämlich – im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Wegfall einer amtswegigen Sorgerechtsentscheidung im Scheidungsfall – gemäß Art. 15 § 2 Abs. 4 KindRG als erledigt anzusehen, nachdem kein Elternteil bis zum 31. Oktober 1998 einen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge gestellt hatte.
Auch das von der Antragsgegnerin etwa zeitgleich mit dem Scheidungsantrag des Antragstellers im März 1998 eingeleitete gesonderte Verfahren auf Regelung der elterlichen Sorge bei Getrenntleben (§ 1672 BGB a.F.) vermag eine Zuständigkeit des deutschen Familiengerichts für die mit der Beschwerde angegriffene Sorgerechtsregelung nicht zu begründen. Die angegriffene Entscheidung ist nämlich nicht in jenem Verfahren ergangen. Sie beruht vielmehr auf dem am 20. Januar 1999 – im Rahmen des Scheidungsverfahrens – gestellten Antrag der Mutter, ihr die Alleinsorge zu übertragen.
Mit diesem Antrag ist das Sorgerechtsverfahren zwar – wie schon zuvor aufgrund des Scheidungsantrags – erneut als Folgesache anhängig geworden (§ 623 Abs. 3 ZPO). Das bedeutet aber nicht, daß der Sorgerechtsantrag vom 20. Januar 1999 nunmehr rückwirkend als zugleich mit dem Scheidungsantrag rechtshängig geworden anzusehen ist. Eine perpetuatio fori könnte deshalb überhaupt nur Platz greifen, wenn für die Sorgerechtsregelung eine internationale Zuständigkeit des deutschen Familiengerichts bereits am 20. Januar 1999 – als dem Zeitpunkt, in dem die Mutter im Scheidungsverfahren die Übertragung des Sorgerechts auf sich beantragt hatte – begründet war. Zwar hat das Familiengericht noch am 20. Januar 1999 durch eine einstweilige Anordnung die elterliche Sorge der Mutter und das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Jugendamt übertragen; auch hat das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 12. April 1999 diese einstweilige Anordnung bestätigt. Die Frage, ob das Kind L. zu diesem Zeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt bereits in Frankreich hatte und damit eine Zuständigkeit der französischen Gerichte nach Art. 1 MSA begründet war, welche die Zuständigkeit von Familiengericht und Oberlandesgericht für die einstweilige Sorgerechtsregelung ausschloß, wird jedoch in beiden Entscheidungen nicht erörtert. Diese Frage wird sich nicht ohne weiteres – als selbstverständlich – verneinen lassen. Immerhin hatte das Kind im Zeitpunkt der einstweiligen Anordnung bereits vier Monate, im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung sogar sechs Monate mit seinem Vater in Frankreich gelebt; auch hatte der Vater bereits Grundlagen für einen längerfristigen Aufenthalt des Kindes und dessen Integration in seine französische Umgebung geschaffen. Letztlich kann diese vorrangig vom Tatrichter zu beantwortende Frage hier aber offenbleiben.
b) Auch wenn nämlich für den von der Mutter am 20. Januar 1999 gestellten Sorgerechtsantrag ursprünglich eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet war, so könnte eine solche Zuständigkeit dennoch nicht (entsprechend § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) in der Weise fortwirken, daß die später begründete ausschließliche Zuständigkeit der französischen Gerichte, die sich aus Art. 1 MSA herleitet, dahinter zurücktritt.
Die Frage, ob der Grundsatz der perpetuatio fori überhaupt FGG-Verfahren erfaßt, wird zum Teil verneint (vgl. etwa OLG Hamm FamRZ 1991, aaO 1347). Außerdem ist umstritten, ob dieser Grundsatz auch für die internationale Zuständigkeit gilt (verneinend etwa Damrau FS für Bosch 1976, 103, 112 ff.; generell bejahend BAG JZ 1979, 647, 648 m. Anm. Geimer aaO 648 f.; BayObLG FamRZ 1993, 1469; Zöller/Greger ZPO 22. Aufl. § 261 Rdn. 12; Geimer IZPR Rdn. 1830 ff, 1835; einschränkend Stein/Jonas/Schumann ZPO 1997 § 261 Rdn. 86; MünchKomm/Lüke ZPO 2. Aufl., § 261 Rdn. 87; Musielak/Foerste ZPO 2. Aufl., § 261 Rdn. 14; Walchshöfer ZZP 80 (1967), 165, 226 f.). Diese Streitfragen bedürfen hier aber keiner Entscheidung. Auch kann dahin stehen, ob man die vertragsrechtliche ausschließliche Zuständigkeitsregel des Art. 1 MSA aufgrund eines aus dem autonomen nationalen Recht – hier aus § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO – hergeleiteten Grundsatzes einschränken darf, ohne daß ein Vorbehalt im MSA eine solche Einschränkung rechtfertigt. Für eine entsprechende Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO auf die internationale Zuständigkeit für FGG-Verfahren ist – worauf auch das Oberlandesgericht zu Recht hinweist – nämlich dann kein Raum, wenn die internationale Zuständigkeit in einem völkerrechtlichen Vertrag besonders geregelt ist und diese Regelung einen Schutzzweck verfolgt, der bei Anwendung des perpetuatio-Grundsatzes unterlaufen würde (vgl. auch Stein/Jonas/Schumann ZPO 21. Aufl., § 261 Rdn. 86). So liegen die Dinge hier:
Das MSA trifft in seinem Art. 5 eine – unvollkommene – Regelung für den Fall, daß der gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen in einen anderen Vertragsstaat verlegt wird: Maßnahmen, welche die Behörden des Staates des früheren gewöhnlichen Aufenthalts bereits getroffen haben, bleiben dann so lange in Kraft, bis die Behörden des neuen gewöhnlichen Aufenthalts sie aufheben oder ersetzen (Art. 5 Abs. 1 MSA). Nicht ausdrücklich geregelt ist die Frage, wie zu verfahren ist, wenn Maßnahmen zwar vor dem Aufenthaltswechsel beantragt oder vorbereitet worden sind, aber nicht mehr rechtzeitig getroffen werden können. Die Antwort ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Art. 1 und Art. 5 MSA: Mit dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts erlischt die Zuständigkeit der Behörden am bisherigen Aufenthaltsort; zuständig werden die Behörden des Staates, in dem der neue gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen begründet wird. Maßnahmen sollen deshalb am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts nicht mehr getroffen werden können – und zwar auch dann nicht, wenn sie dort bereits beantragt oder sogar schon vorbereitet worden sind. Dieses Prinzip rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß die Behörden am neuen Aufenthaltsort die aktuelle Situation des Minderjährigen – d.h. seine familiären und sozialen Verhältnisse, die bei der Prüfung und Handhabung von Schutzmaßnahmen im Vordergrund stehen – am schnellsten und besten beurteilen können und dabei die Möglichkeit haben, mit den Behörden des früheren Aufenthalts zusammenzuarbeiten (Staudinger/Kropholler BGB 13. Bearb., Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rdn. 147).
Daraus folgt, daß für eine Anwendung des Grundsatzes der perpetuatio fori kein Raum ist, wenn – wie im vorliegenden Fall – der gewöhnliche Aufenthalt eines Minderjährigen in einen anderen Vertragsstaat verlegt wird, während im Inland ein gerichtliches Verfahren anhängig ist und in diesem Verfahren eine Tatsacheninstanz über eine Schutzmaßnahme im Sinne des Art. 1 MSA zu entscheiden hat. In diesem Falle ist die Schutzmaßnahme noch nicht im Sinne des Art. 5 MSA „getroffen” und der mit ihr befaßte Tatrichter international nicht mehr zuständig. An der in einem solchen Fall fehlenden internationalen Zuständigkeit der inländischen Gerichte ändert sich naturgemäß auch dann nichts, wenn – wie hier geschehen – das erstinstanzliche Gericht in Verkennung seiner fehlenden internationalen Zuständigkeit die Schutzmaßnahme erläßt und sodann das Beschwerdegericht mit dieser Schutzmaßnahme befaßt wird. In diesem Fall hat – wie vom Oberlandesgericht zutreffend erkannt – das Beschwerdegericht die Schutzmaßnahme ersatzlos aufzuheben. Art. 5 MSA ändert an der Notwendigkeit einer solchen Aufhebung nichts: Der von dieser Vorschrift gewährte Bestandsschutz gilt nämlich nur für solche Schutzmaßnahmen, welche die Behörden des bisherigen Aufenthaltsortes im Rahmen der ihnen vom MSA zuerkannten Zuständigkeit getroffen haben. Er hat keineswegs die Aufgabe, die Geltung von Schutzmaßnahmen – hier die Sorgerechtsregelung des Familiengerichts – fortzuschreiben, die unter Verstoß gegen die vom MSA vorgenommene Zuständigkeitsverteilung erlassen worden sind.
4. Die angefochtene Entscheidung ist auch nicht – wie die weitere Beschwerde meint – deshalb fehlerhaft, weil das Oberlandesgericht sein Ermessen für die Inanspruchnahme der ihm von Art. 4 MSA eröffneten Zuständigkeit der Behörden des Heimatstaates nicht ausgeschöpft hat; denn die Voraussetzungen, unter denen Art. 4 MSA den Behörden des Heimatstaates eines Minderjährigen die Anordnung von Schutzmaßnahmen gestattet, liegen ersichtlich nicht vor. Der in Art. 1 MSA festgelegten vorrangigen Zuständigkeit der Behörden des Staates, in dem ein Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, liegt – wie ausgeführt – der Gedanke zugrunde, daß die Behörden am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts die für Notwendigkeit, Art und Umfang von Schutzmaßnahmen maßgebenden sozialen und familiären Verhältnisse des Minderjährigen am besten und schnellsten ermitteln können. Deshalb eröffnet Art. 4 MSA eine konkurrierende Zuständigkeit der heimatstaatlichen Behörden im Grundsatz nur dann, wenn aufgrund besonderer Umstände ein Eingreifen der Heimatbehörden dem Wohl des Minderjährigen mehr dient und seinen Schutz besser gewährleistet als ein Handeln der Behörden des Aufenthaltsstaates. Dafür sind Anhaltspunkte im vorliegenden Fall nicht ersichtlich: Bei der zu treffenden Sorgerechtsregelung müssen die konkreten Lebensverhältnisse des Kindes umfassend aufgeklärt und die Beteiligten persönlich gehört werden (§§ 12, 50 a ff. FGG). Dies wird sich nur ortsnah und nicht ohne Mithilfe der Behörden des Aufenthaltsstaates durchführen lassen. Beides spricht für die vorrangige Zuständigkeit der französischen Behörden. Mit deren Schutzkompetenz wird zudem der Gleichklang zwischen behördlicher Zuständigkeit und anwendbarem Recht verbürgt (Art. 2 MSA; Art. 21 EGBGB) und sichergestellt, daß die französischen Behörden für die Durchführung der von ihnen zu treffenden Schutzmaßnahmen Sorge zu tragen haben (vgl. Art. 4 Abs. 3 MSA). Daß die französischen Behörden nicht willens wären, solche Maßnahmen zu treffen, ist nicht vorgetragen; auch andere – besondere – Umstände, die ein Eingreifen gerade der Heimatbehörden als im Kindesinteresse geboten erscheinen lassen, sind nicht erkennbar.
Unterschriften
Hahne, Weber-Monecke, Wagenitz, Bundesrichter Dr. Ahlt ist krankheitshalber verhindert zu unterschreiben. Hahne, Vézina
Fundstellen
BGHZ |
BGHZ, 63 |
NJW 2002, 2955 |
BGHR 2002, 779 |
FamRZ 2002, 1182 |
FuR 2002, 510 |
Nachschlagewerk BGH |
EzFamR aktuell 2002, 281 |
FPR 2002, 665 |
FPR 2006, 313 |
JuS 2003, 185 |
MDR 2002, 1250 |
FamRB 2002, 327 |
IPRspr. 2002, 100 |
Kind-Prax 2002, 167 |