Leitsatz (amtlich)
a) Nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz in der Fassung vom 19.10.2012 (BGBl. I, 2182) sind auch positive Feststellungsklagen musterverfahrensfähig.
b) Wird der Klageanspruch sowohl auf eine nicht musterverfahrensfähige als auch auf eine musterverfahrensfähige Begründung gestützt, so hindert dies nicht die Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags, wenn und soweit sich dieser auf die musterverfahrensfähige Anspruchsbegründung bezieht.
Normenkette
KapMuG § 1 Abs. 1, § 3 Fassung: 2012-10-19
Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 28.10.2014; Aktenzeichen 7 Kap. 11/14) |
LG Berlin (Entscheidung vom 04.09.2014; Aktenzeichen 11 OH 19/14 KapMuG) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des KG vom 28.10.2014 - 7 Kap. 11/14 - wird als unzulässig verworfen.
Streitwert: 1.717,95 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Antragsteller begehrt im Ausgangsverfahren vor dem LG unter dem Vorwurf einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung die Feststellung, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, ihm sämtliche finanzielle Schäden zu ersetzen, die im Abschluss der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds im Jahre 1997 ihre Ursachen haben. Nach dem Vorbringen des Antragstellers ergibt sich die Schadensersatzpflicht der Antragsgegnerin zum einen aus der Beratung unter Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen und irreführenden Emissionsprospekts und zum anderen daraus, dass die Berater der Antragsgegnerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Beteiligung gezielt fehlerhaft geschult worden seien.
Rz. 2
Im Laufe des Rechtsstreits hat der Antragsteller einen Musterverfahrensantrag mit mehreren Feststellungszielen gestellt, die den Emissionsprospekt und die behaupteten Schulungsinhalte betroffen haben. Hierauf hat das LG beschlossen, einen Teil des Musterverfahrensantrags - hinsichtlich der Feststellungen zum Emissionsprospekt - öffentlich bekannt zu machen, und den Antrag im Übrigen - soweit er sich auf die Schulungsinhalte bezogen hat - als unzulässig verworfen.
Rz. 3
Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses, die Löschung der Bekanntmachung des Musterverfahrens im Klageregister und die Wiederaufnahme des Verfahrens durch das LG begehrt hat, hat das KG verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin sei wegen der Unanfechtbarkeit des angegriffenen Bekanntmachungsbeschlusses gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vom 19.10.2012, BGBl. I, 2182 - KapMuG) unstatthaft. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss über die Bekanntmachung eines Musterverfahrensantrags sei nur dann gegeben, wenn der Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes nicht eröffnet sei, das LG mithin eine Anordnung getroffen habe, für die es keine verfahrensrechtliche Grundlage in diesem Gesetz gebe und sich deshalb die aus § 5 KapMuG ergebende Unterbrechung des Ausgangsverfahrens als rechtswidrig erweise. Wenn das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz überhaupt nicht anwendbar sei, könne eine sofortige Beschwerde nicht deshalb unzulässig sein, weil dies in dem nicht anwendbaren Gesetz bestimmt sei. So liege es hier jedoch nicht. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei der Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes auch für eine im Ausgangsverfahren erhobene positive Feststellungsklage eröffnet. Eine Beschränkung der Anwendung dieses Gesetzes auf Leistungsklagen ergebe sich weder aus dem Wortlaut des Gesetzes noch aus anderen Gesichtspunkten.
Rz. 4
Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihr Begehren weiter.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin ist unstatthaft und deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 577 Abs. 1 ZPO).
Rz. 6
1. Die Rechtsbeschwerde ist weder nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO noch gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO eröffnet. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG ist die Anfechtung des Bekanntmachungsbeschlusses ausgeschlossen. Die vom Beschwerdegericht ausgesprochene Zulassung der Rechtsbeschwerde entfaltet keine Bindung für das Rechtsbeschwerdegericht.
Rz. 7
a) Durch die Zulassung wird dem Beschwerdeführer die Rechtsbeschwerde nur zugänglich gemacht, wenn sie nach dem Gesetz grundsätzlich eröffnet ist, nicht aber in den Fällen, in denen die Anfechtbarkeit gesetzlich ausgeschlossen ist. Die Bindungswirkung der Rechtsmittelzulassung umfasst bei der Rechtsbeschwerde nur die in § 574 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 574 Abs. 2 ZPO genannten Zulassungsvoraussetzungen. Sie kann hingegen nicht dazu führen, dass ein gesetzlich nicht vorgesehener Instanzenzug eröffnet wird. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung kann daher nicht durch den Ausspruch eines Gerichts der Anfechtung unterworfen werden (st.Rspr. s. etwa BGH v. 26.3.2015 - III ZB 80/13, MDR 2015, 668, 669 Rz. 11; BGH, Beschl. v. 21.4.2004 - XII ZB 279/03, BGHZ 159, 14, 15 m.w.N.; v. 11.5.2005 - XII ZB 189/03, NJW-RR 2005, 1009; v. 23.5.2012 - XII ZB 417/11, NJW-RR 2012, 1156 Rz. 4).
Rz. 8
b) So liegt es auch hier. Der Bekanntmachungsbeschluss des LG ist gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG unanfechtbar, so dass auch die Rechtsbeschwerde von vornherein nicht eröffnet ist. Zu Recht hat das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin mangels Statthaftigkeit als unzulässig angesehen und verworfen.
Rz. 9
Ob der Beschluss über die Bekanntmachung eines Musterverfahrensantrags - in Ausnahme von der in § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG bestimmten Unanfechtbarkeit - mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden kann, wenn der Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (§ 1 KapMuG) nicht eröffnet ist (dafür: KG [24. ZS], WM 2015, 71 f.; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl. [2014], § 3 Rz. 122 ff.; s. zu einer entsprechenden Ausnahme für die in § 7 Abs. 1 Satz 4 KapMuG in der Fassung vom 16.8.2005, BGBl. I, 2437 (aF) bestimmte Unanfechtbarkeit des Aussetzungsbeschlusses: BGH, Beschl. v. 16.6.2009 - XI ZB 33/08, NJW 2009, 2539, 2540 Rz. 7 ff.; v. 30.11.2010 - XI ZB 23/10, NJW-RR 2011, 327, 328 Rz. 10; v. 21.12.2010 - XI ZB 25/10, BeckRS 2011, 02334 Rz. 9; v. 17.5.2011 - XI ZB 2/11, BeckRS 2011, 15966 Rz. 8; KK-KapMuG/Kruis, 1. Aufl. [2008], § 7 Rz. 50; dagegen: KG [22. ZS], ZIP 2015, 342 f.), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist auch dann unstatthaft, wenn man diese Anfechtungsmöglichkeit bejaht. Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass das Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz auch für positive Feststellungsklagen - wie sie der Antragsteller im hiesigen Ausgangsverfahren erhoben hat - Anwendung findet.
Rz. 10
aa) Ob das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz nur für Leistungsklagen oder aber auch für positive Feststellungsklagen Anwendung findet, ist allerdings umstritten. In der Rechtsprechung der LG und OLG wird diese Frage unterschiedlich beantwortet (für die Einbeziehung von positiven Feststellungsklagen: LG Berlin, Beschl. v. 17.7.2014 - 3 OH 3/14 KapMuG, juris Rz. 8 ff.; LG Bielefeld, Beschl. v. 8.1.2015 - 9 OH 36/14, juris Rz. 8 ff.; dagegen: KG [24. ZS], WM 2015, 71, 72; LG Kleve, Beschl. v. 12.5.2014 - 4 OH 8/14, juris Rz. 7 ff.). Stimmen aus dem Schrifttum halten dieses Gesetz für auf positive Feststellungsklagen anwendbar (Hanisch, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, 2011, S. 62 f.; Vorwerk in Vorwerk/Wolf, KapMuG [2007], § 1 Rz. 15 f [entgegen der Darstellung der Rechtsbeschwerde nicht nur de lege ferenda]; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 1 Rz. 8 ff.; s. auch die Stellungnahme des Deutschen Aktieninstituts zum Referentenentwurf vom 3.9.2004, S. 3; a.A. wohl Assmann in Festgabe für Max Vollkommer, 2006, S. 119, 122).
Rz. 11
bb) Der erkennende Senat schließt sich mit dem Beschwerdegericht der Auffassung an, dass auch positive Feststellungsklagen musterverfahrensfähig sind. Die Auslegung des § 1 Abs. 1 KapMuG nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck der Norm ergibt, dass solche Klagen in den Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes einbezogen sind.
Rz. 12
(1) Nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 KapMuG ist das Gesetz anwendbar in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen bestimmte Schadensersatz- oder Erfüllungsansprüche "geltend gemacht" werden. Dies kann sowohl durch eine Leistungsklage als auch durch eine positive Feststellungsklage als auch durch eine Kombination beider Klagearten geschehen (s. hierzu bereits die Stellungnahme des Deutschen Aktieninstituts zum Referentenentwurf vom 3.9.2004, S. 3; Vorwerk, a.a.O., § 1 Rz. 15; Hanisch, a.a.O., S. 62). In der Terminologie der Zivilprozessordnung weist das "Geltendmachen eines Anspruchs" nicht auf eine bestimmte Klageart hin; vielmehr ist hiervon auch die Erhebung einer positiven Feststellungsklage erfasst (vgl. §§ 5, 24, 64, 261 Abs. 2, 265 Abs. 1 und 3, 301 Abs. 1, 306, 307, 321 Abs. 1 ZPO). Dieses Begriffsverständnis gilt auch für die Bestimmungen im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, weil es sich hierbei um ein Gesetz handelt, welches ein spezielles Verfahren für Zivilprozesse regelt.
Rz. 13
(2) Aus der Gesetzeshistorie ergibt sich kein durchgreifendes Argument für die gegenteilige Ansicht.
Rz. 14
Zwar geht aus der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur ersten Fassung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes aus dem Jahr 2005 hervor, dass der Musterfeststellungsantrag nur bei Leistungsklagen zulässig sein sollte ("Der Musterfeststellungsantrag kann nur in einem Leistungsprozess gestellt werden, da er voraussetzt, dass ein Schadensersatzanspruch oder ein vertraglicher Erfüllungsanspruch geltend gemacht wird. Daneben knüpft eine Reihe von Vorschriften, wie z.B. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 sowie § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 KapMuG-E, an die Höhe des dem Musterfeststellungsantrag zugrunde liegenden Anspruchs an. Deren Ermittlung könnte bei Zulassung von Musterfeststellungsanträgen bei Feststellungsklagen Schwierigkeiten bereiten", BT-Drucks. 15/5091, 20). Mit der Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes im Jahr 2012 (BGBl. I, 2182) hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Gesetzes indes in sachlicher Hinsicht erweitert, insb. auf Ansprüche wegen fehlerhafter Anlagevermittlung und -beratung. Hierbei handelt es sich um Prozesse, in denen sowohl Leistungs- als auch Feststellungsanträge angebracht werden, und zwar sehr häufig in Kombination miteinander (Hanisch, a.a.O., S. 62). Zu der Frage, auf welche Klagearten das Gesetz Anwendung findet, verhalten sich die Gesetzesmaterialien zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes zwar nicht ausdrücklich. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu § 1 KapMuG n.F. ist jedoch allgemein von "Klagen" die Rede ohne Beschränkung auf Leistungsklagen (BT-Drucks. 17/8799, 16).
Rz. 15
(3) Sinn und Zweck des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes gebieten die Einbeziehung der positiven Feststellungsklagen in dessen Anwendungsbereich.
Rz. 16
Mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, den Rechtsschutz für Kapitalanleger effektiver zu gestalten und zugleich eine Entlastung der Justiz herbeizuführen, indem für zahlreiche Rechtsstreitigkeiten relevante Tatsachenfeststellungen oder Rechtsfragen in einem Musterverfahren konzentriert behandelt werden (s. BT-Drucks. 15/5091, 16 f und 17/8799 S. 13; Hanisch, a.a.O., S. 62). Für die beabsichtigte prozessuale Bündelung gleichgerichteter Interessen ist es ohne Bedeutung, ob die Ansprüche der Beteiligten im Wege der Leistungs- oder der Feststellungsklage geltend gemacht werden (vgl. LG Bielefeld, Beschluss vom 8.1.2015 - 9 OH 36/14, juris Rz. 10; Hanisch, a.a.O.; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 1 Rz. 11), zumal im Rahmen des Musterverfahrens die konkrete Höhe der Individualansprüche ohnedies nicht festgestellt werden kann (vgl. Bergmeister, Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, 2009, S. 203 f.; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 2 Rz. 36). Bei Verneinung der Musterverfahrensfähigkeit von Feststellungsklagen wären die betroffenen Verfahren nicht nach § 8 Abs. 1 KapMuG auszusetzen, denn diese Vorschrift erfasst nur solche Rechtsstreitigkeiten, die § 1 KapMuG unterfallen (KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 8 Rz. 11; s. auch BGH, Beschl. v. 2.12.2014 - XI ZB 17/13, NJW-RR 2015, 299, 300 Rz. 11). Ergangene Musterentscheide wären für diese Verfahren demzufolge nicht bindend, was dem Bestreben des Gesetzgebers, divergierende Entscheidungen der Gerichte zu vermeiden (BT-Drucks. 15/5091, 16 und 17/8799 S. 13), zuwiderliefe.
Rz. 17
Der Hinweis der Rechtsbeschwerde auf Schwierigkeiten bei der vergleichsweisen Beilegung von Feststellungsklagen in den Musterverfahren (s. §§ 17, 18, 23 KapMuG) überzeugt nicht. Werden Klagen von Anlegern als Leistungsklagen erhoben, ist die Anspruchsberechnung, etwa in Bezug auf die einzelnen Schadenspositionen, nicht selten in hohem Maße streitig. Hier bedarf es für eine Vergleichslösung häufig einer gröberen, pauschalisierenden Schadensbetrachtung. Auf der anderen Seite ist das wirtschaftliche Interesse eines Anlegers an einer von ihm erhobenen Feststellungsklage regelmäßig zumindest der ungefähren Größenordnung nach einschätzbar. Wegen der gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO gebotenen Bemessung des Streitwerts ist eine solche Schätzung von den Gerichten ohnehin vorzunehmen. Dementsprechend kann nicht davon ausgegangen werden, dass vergleichsweise Übereinkünfte bei Feststellungsklagen generell schwieriger zu erzielen sind als bei Leistungsklagen. In dieser Hinsicht besteht zwischen dem Musterverfahren und dem regulären Zivilprozess kein Unterschied.
Rz. 18
Die negativen Folgen, die mit einer Ablehnung der Musterverfahrensfähigkeit von positiven Feststellungsklagen verbunden wären, zeigen sich vor allem auch in den - zahlreichen - Fällen, in denen Klagen von Anlegern Zahlungs-(Leistungs-) und Feststellungsanträge miteinander kombinieren (s. hierzu Hanisch, a.a.O., S. 62; Vorwerk, a.a.O., § 1 Rz. 15). In diesen Fällen wäre allein der im Wege der Leistungsklage geltend gemachte Anspruch musterverfahrensfähig. Da nach § 8 Abs. 1 KapMuG nur solche Verfahren auszusetzen sind, in denen ein Musterverfahrensantrag gestellt werden könnte (KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 8 Rz. 11), wäre lediglich dieser Teil des Verfahrens im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit des in einem Musterverfahren zu klärenden Feststellungsziels auszusetzen, obgleich der Sache nach Vorgreiflichkeit regelmäßig auch für den Anspruch gegeben ist, dessen Feststellung begehrt wird. Eine Abtrennung der Feststellungsanträge gem. § 145 ZPO würde sowohl dem Ziel einer Entlastung der Justiz als auch der angestrebten Vermeidung divergierender Entscheidungen widerstreiten. Weitere Probleme ergäben sich im Hinblick auf die Reichweite der Bindungswirkung des Musterentscheids nach § 22 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Der Musterentscheid bindet die Gerichte nach dieser Bestimmung in den Parallelverfahren nur, soweit die Verfahren nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt waren, erfasst also nur den musterverfahrensfähigen Teil dieser Verfahren. Damit würde eine Bindungswirkung für die Feststellungsanträge entfallen und eine sinnwidrige Aufspaltung der Anlegerklagen drohen.
Rz. 19
Schließlich liefe es der vom Gesetzgeber angestrebten Kostengerechtigkeit zuwider, wenn im Falle kombinierter Leistungs- und Feststellungsanträge die Kläger der betroffenen Parallelverfahren gem. § 24 Abs. 2 KapMuG nur hinsichtlich des mit den Leistungsanträgen geltend gemachten Anspruchs quotal an den Kosten beteiligt würden, obgleich die Feststellungsziele für die gleichzeitig angebrachten Feststellungsanträge jedenfalls inhaltlich auch vorgreiflich sind. Das "Aussperren" der Feststellungskläger würde letztlich insgesamt zu einer höheren quotalen Kostenbelastung der Leistungskläger führen, obgleich beide Klägergruppen von dem Ergebnis des Musterverfahrens wirtschaftlich gleichermaßen betroffen sind. Dementsprechend vermag der Senat nicht die Ansicht der Rechtsbeschwerde zu teilen, dass die Musterverfahrensfähigkeit von Feststellungsklagen zu einer ungerechtfertigten Kostenprivilegierung der Feststellungskläger gegenüber den Leistungsklägern führen würde.
Rz. 20
(4) In gesetzessystematischer Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass zwar auch nach der Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes im Jahr 2012 mehrere Vorschriften des Gesetzes, nämlich §§ 8 Abs. 4, 9 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, 10 Abs. 3 Nr. 4 und § 24 Abs. 2 Satz 2 KapMuG, an die "Höhe des Anspruchs" anknüpfen. Diese Bestimmungen sind jedoch unproblematisch auch für positive Feststellungsklagen handhabbar, indem für die Höhe des eingeklagten Anspruchs der Streitwert der Feststellungsklagen herangezogen wird (LG Berlin, Beschl. v. 17.7.2014 - 3 OH 3/14 KapMuG, juris Rz. 9; LG Bielefeld, Beschl. v. 8.1.2015 - 9 OH 36/14, juris Rz. 9; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 1 Rz. 9; Hanisch, a.a.O., S. 62 f.; Curdt, Kollektiver Rechtsschutz unter dem Regime des KapMuG, 2010, S. 96). Diese Lösung bietet sich insb. für die nach § 24 Abs. 2 KapMuG zu treffende Kostenentscheidung an, die durch die nach § 8 Abs. 4 KapMuG dem OLG zu erteilende Information vorbereitet wird (KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., a.a.O., und § 8 Rz. 60).
Rz. 21
Für die Erstreckung des Anwendungsbereichs des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes auf positive Feststellungsklagen spricht zudem die mit diesem Gesetz korrespondierende Gerichtsstandregelung in § 32b ZPO. Der Wortlaut des § 32b Abs. 1 ZPO ist, soweit der Anwendungsbereich der Vorschrift beschrieben wird, mit dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 KapMuG identisch. Gemäß der Terminologie der Zivilprozessordnung (s.o., unter (1)) werden Ansprüche u.a. durch Erhebung einer positiven Feststellungsklage "geltend gemacht", so dass § 32b ZPO auch im Falle von Feststellungsklagen gilt (KK-KapMuG/Hess, 2. Aufl., § 32b ZPO Rz. 11; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, S. 239 ff.; s. auch Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 32b Rz. 6 [zumindest analoge Anwendung auf positive Feststellungsklagen]; a.A. Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl., § 33 Rz. 70; wohl auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 32b Rz. 5).
Rz. 22
c) Ist das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hiernach auf positive Feststellungsklagen anzuwenden, folgt daraus die Unanfechtbarkeit des vorliegenden Bekanntmachungsbeschlusses gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG. Es bedarf mithin keiner Erörterung, ob der Umstand, dass der Antragsteller seinen Schadensersatzanspruch inzwischen teilweise beziffert und insoweit eine Leistungsklage angebracht hat, bei der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde zu berücksichtigen ist.
Rz. 23
d) Soweit die Rechtsbeschwerde einwendet, das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz sei mangels Bezugnahme auf eine öffentliche Kapitalmarktinformation nicht anwendbar, weil der Antragsteller, gestützt auf § 826 BGB, einen Anspruch auch daraus herleiten möchte, dass die Berater der Antragsgegnerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Beteiligung gezielt fehlerhaft geschult worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass das LG den Musterverfahrensantrag des Antragstellers in diesem Punkt als unzulässig verworfen hat (s. Nr. 8 des Beschlusses des LG); die auf § 826 BGB beruhende Anspruchsbegründung ist folglich nicht Gegenstand der angefochtenen Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags.
Rz. 24
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde führt der Umstand, dass der Antragsteller seinen Anspruch auch auf einen Sachverhalt stützt, dem keine in einem Musterverfahren festzustellenden Tatsachen oder Rechtsfragen zugrunde liegen, nicht dazu, dass der Klageanspruch insgesamt aus dem Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes fällt. Vielmehr hindert die Geltendmachung einer als solche nicht musterverfahrensfähigen Anspruchsbegründung (hier: Schulung der Berater) nicht die Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags, soweit sich dieser auf eine zugleich geltend gemachte musterverfahrensfähige Anspruchsbegründung (hier: Prospektangaben) bezieht (arg. § 3 Abs. 1 KapMuG: "soweit"; vgl. BT-Drucks. 17/8799, 17; s. auch BGH, Beschl. v. 8.4.2014 - XI ZB 40/11, NJW-RR 2014, 758, 760 Rz. 23, wonach ein Musterverfahrensantrag, der Aufklärungsfehler enthält, die nicht auf der Verwendung einer öffentlichen Kapitalmarktinformation beruhen, "insofern" nach § 3 Abs. 1 KapMuG als unzulässig verworfen werden muss).
Rz. 25
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die mit dem Bekanntmachungsbeschluss verbundene faktische Aussetzung des Ausgangsverfahrens (§ 5 KapMuG). Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Ausgangsrechtsstreits, welche die in der Sache unterliegende Partei unabhängig vom Ausgang des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens nach §§ 91 ff. ZPO zu tragen hat (BGH, Beschl. v. 2.12.2014 - XI ZB 17/13, NJW-RR 2015, 299, 300 Rz. 20 m.w.N.).
Rz. 26
Den Streitwert hat der Senat mit einem Fünftel des Streitwerts des Ausgangsverfahrens (8.589,71 EUR) bemessen (§ 3 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 8769862 |
BGHZ 207, 306 |
BB 2015, 3009 |
DB 2015, 7 |
DStR 2015, 12 |
EBE/BGH 2015 |
EWiR 2016, 127 |
NZG 2016, 67 |
WM 2015, 2308 |
WuB 2016, 246 |
ZIP 2015, 2437 |
ZIP 2015, 95 |
AG 2016, 89 |
DZWir 2016, 100 |
MDR 2016, 348 |
VersR 2016, 206 |
BKR 2016, 122 |
ZBB 2016, 55 |