Tenor
Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. Juni 2000 wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen.
Der Verfahrenswert beträgt 432.000,– DM.
Gründe
I. Die C. – im folgenden: Antragstellerin –, über deren Vermögen mittlerweile das Insolvenzverfahren eröffnet ist, betrieb eine Fachklinik für Herzchirurgie in H.. Nachdem Verhandlungen über die Pflegesätze für die Behandlung in dieser Klinik zwischen ihr und den gesetzlichen Krankenkassen zu keiner Einigung geführt hatten, leiteten letztere das Verfahren zur Feststellung der Pflegesätze durch die Schiedsstelle ein. Deren Beschluß wurde von der Stadt H. genehmigt, gegen diese Genehmigung hat die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht H. erhoben.
Mit der Begründung, die Festlegung von Pflegesätzen unter Mitwirkung der Krankenkassen und von deren Verbänden als Sozialleistungsträger verstoße gegen Art. 81 i.V. mit Art. 10 EG und gegen § 1 GWB, beantragte die Antragstellerin mit Schreiben vom 22. November 1999 beim Bundeskartellamt, den Beschluß der Schiedsstelle für unwirksam zu erklären und auszusprechen, daß die aufgrund der genannten Regelungen getroffenen Vereinbarungen über Pflegesätze und Entgelte-Kataloge für Fallpauschalen und Sonderentgelte sowie Behandlungsquoten unwirksam seien. Das Bundeskartellamt hat dem nicht entsprochen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 28. Juni 2000 zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Deren Zulassung hat die Antragstellerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde erstrebt. Der Insolvenzverwalter hat den Rechtsstreit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgenommen.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig, aber nicht begründet. Das Beschwerdegericht ist frei von Rechtsfehlern und in der Sache zu Recht davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 74 Abs. 2 GWB nicht gegeben sind.
1. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt sich im vorliegenden Fall nicht.
a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung zur Hauptsache darauf gestützt, daß der Antragstellerin ein Anspruch auf ein Einschreiten des Bundeskartellamts nicht zustehe, weil sie die Möglichkeit habe, die von ihr erhobenen kartellrechtlichen Einwendungen vor Gericht geltend zu machen. Die dem zugrundeliegende Rechtsfrage, ob Dritte einen Rechtsanspruch auf Tätigwerden der Kartellbehörden haben, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. Wie der Senat mehrfach entschieden hat, besteht ein solcher Anspruch nicht (BGHZ 51, 61, 67 f. – Taxiflug; BGH, Beschl. v. 25.10.1983 – KVR 8/82, WuW/E 2058 – Internord; Beschl. v. 19.12.1995 – KVZ 23/95, WuW/E 3035 – Nichtzulassungsbeschwerde; Beschl. v. 11.3.1997 – KVZ 22/96, WuW/E 3113 – Rechtsschutz gegen Berufsordnung). Dem hat sich das Kammergericht angeschlossen (KG WuW/E OLG 1813 und 4988); die Auffassung des Senats hat in der Literatur allgemeine Zustimmung gefunden (Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., § 37 a Rdn. 14; Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 32 GWB Rdn. 9 f.; Fischötter in Gemeinschaftskommentar zum GWB, 4. Aufl., § 37 a Rdn. 9; Bechtold, GWB, 2. Aufl., § 32 Rdn. 5). Die Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch die am 1. Januar 1999 in Kraft getretene 6. Novelle gibt zu ihrer Änderung keinen Anlaß. Auch § 32 GWB n.F. räumt der Kartellbehörde ein (Aufgreif-)Ermessen ein. Gesichtspunkte, die eine erneute höchstrichterliche Entscheidung erfordern würden, sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich auch nicht aus der von der Antragstellerin aufgeworfenen Frage, ob die angeführte Rechtsprechung auch Anwendung findet, soweit das Bundeskartellamt nach § 50 Abs. 1 GWB n.F. für den Vollzug des europäischen Kartellrechts zuständig ist. Nach § 50 Abs. 2 GWB n.F. hat das Bundeskartellamt zur Erfüllung dieser Aufgabe die gleichen Befugnisse und ist den gleichen Verfahrensvorschriften unterworfen wie beim Vollzug des nationalen Kartellrechts.
b) Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof veranlaßt. Zwar ist eine Rechtsfrage aus dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts bereits dann grundsätzlich im Sinne von § 74 Abs. 2 Nr. 1 GWB, wenn im nachfolgenden Rechtsbeschwerdeverfahren voraussichtlich eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen wäre (vgl. BVerfGE 82, 159, 196 zu § 132 VwGO; BVerfG NVwZ 1993, 883, 884 zu § 115 FGO). Eine solche Notwendigkeit besteht hier jedoch nicht. Auch das Oberlandesgericht war zur Vorlage nicht verpflichtet.
aa) Für eine Vorlage zur Auslegung der Art. 81, 82 EG besteht – wie auch die Antragstellerin nicht verkennt – schon deshalb kein Anlaß, weil das Bundeskartellamt gerade nicht abschließend geprüft hat, ob der Tatbestand dieser Bestimmungen erfüllt ist. Die Notwendigkeit einer Vorlage leitet die Antragstellerin demgemäß auch nicht hieraus, sondern allein aus der Frage her, ob dem Bundeskartellamt unter Berücksichtigung der sich aus Art. 10 EG ergebenden Pflichten der Mitgliedstaaten bei Anwendung des europäischen Kartellrechts ein Aufgreifermessen zustehen kann. Die Entscheidung dieser Frage erfordert indessen keine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof, weil die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts so offenkundig ist, daß kein Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 6.10.1982 – Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415, Tz. 16 – C.I.L.F.I.T.).
Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EG treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus dem EG-Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie sind daher u.a. verpflichtet, in ihrem Hoheitsgebiet für die wirksame Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu sorgen. Stehen dem durch das europäische Kartellrecht geschützten Personenkreis ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung, seine Rechte mit Hilfe der Gerichtsbarkeit durchzusetzen, ergibt sich aus Art. 10 EG keine Verpflichtung des Mitgliedstaates, das nationale Kartellrecht so auszugestalten, daß darüber hinaus die nationale Kartellbehörde in jedem Fall, ohne daß ihr ein Ermessen zustünde, tätig werden müßte. Anhaltspunkte dafür, daß die Antragstellerin die von ihr behaupteten Rechte aus Art. 81, 82 EG nicht effektiv gerichtlich geltend machen kann, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften steht demjenigen, der nach Art. 3 Abs. 2 lit. b der VO 17/62 bei der Kommission den Antrag auf Maßnahmen gegen eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81, 82 EG stellt, kein Anspruch auf Einleitung eines Verfahrens oder eine Entscheidung der Kommission über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung zu, soweit keine ausschließliche Zuständigkeit der Kommission besteht. Dieser wird vielmehr ein (Aufgreif-)Ermessen zugebilligt. Im Rahmen ihrer Verantwortung für die Durchführung und die Ausrichtung der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft kann sie danach – auch unter Berücksichtigung ihrer verwaltungsmäßigen und personellen Ausstattung – die Prioritäten ihres Handelns bestimmen. Bei der Ausübung dieses Ermessens unterliegt sie lediglich einer Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 18.10.1979 – Rs. 125/78, Slg. 1979, 3173, Tz. 18 – GEMA; Urt. v. 28.2.1991 – C-234/89, Slg. 1991 I, 935, Tz. 44 – Delimitis; EuG, Urt. v. 18.9.1992 – T-24/90, Slg. 1992 II, 2223, Tz. 77, 83 ff. – Automec II; Urt. v. 9.1.1996 – T-575/93, Slg. 1996 II, 1, Tz. 79 – Koelman; Urt. v. 24.1.1995 – T-5/93, Slg. 1995 II, 185, Tz. 60 – Tremblay; Sauter in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., Art. 3 VO 17/62 Rdn. 8; Ritter in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Art. 3 VO 17/62 Rdn. 14). Bei ihrer Entscheidung über ein Einschreiten kann sie unter anderem auch berücksichtigen, daß ein vorrangiges Gemeinschaftsinteresse nicht besteht und der Antragsteller die Möglichkeit hat, seine kartellrechtlichen Einwendungen in einem gerichtlichen Verfahren klären zu lassen (EuGH, Urt. v. 18.10.1979 – Rs. 125/78, Slg. 1979, 3173, Tz. 18 – GEMA; EuG Slg. 1992 II, 2223, Tz. 85 ff. – Automec II; Urt. v. 24.1.1995 – T-114/92, Slg. 1995 II, 147, Tz. 80 ff. – BEMIM; Slg. 1995 II, 185, Tz. 62 ff. – Tremblay). Diese Entscheidungsfreiheit wäre sinnlos, wenn Art. 10 EG in einem solchen Fall eine Verpflichtung der nationalen Kartellbehörde zur Einleitung eines Verfahrens begründen würde. Die nationalen Kartellbehörden wären dann nicht nur zu Maßnahmen verpflichtet, die die Kommission wegen des ihr zustehenden Ermessens nicht ergreifen muß, sondern müßten unter Umständen sogar Handlungen vornehmen, von denen die Kommission aus guten Gründen abgesehen hat und die u.U. ihrer Wettbewerbspolitik sogar zuwiderliefen.
bb) Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob die von der Antragstellerin erhobene Rüge einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Folge haben müßte. Denn eine solche Verletzung liegt nicht vor. Allerdings ist das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter auch dann verletzt, wenn eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung nach Art. 234 EG unterbleibt, obwohl eine Verpflichtung zur Vorlage besteht (BVerfGE 73, 339, 366 ff.; 82, 159, 192 f.). Das ist bei der Entscheidung des Beschwerdegerichts jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil es gemäß Art. 234 Abs. 2 EG zwar zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof berechtigt war, nicht aber einer Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG unterlag. Seine Entscheidung konnte mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden; schon deshalb sind, weil auch diese ein Rechtsmittel im Sinne des Gesetzes darstellt, die Voraussetzungen des Art. 234 Abs. 3 EG nicht gegeben (vgl. BVerfGE 82, 159, 196; BVerfG NVwZ 1993, 883).
2. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist schließlich auch nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geboten. Nach Auffassung der Antragstellerin weicht die Entscheidung des Beschwerdegerichts von der Entscheidung „Automec II” des Europäischen Gerichts erster Instanz (Urt. v. 18.9.1992 – T-24/90, Slg. 1992 II, 2223) ab. Das Bundeskartellamt sei die für den Vollzug des Gemeinschaftskartellrechts ausschließlich zuständige Behörde. Deswegen sei sie nach dem genannten Urteil des Europäischen Gerichts erster Instanz verpflichtet gewesen, eine Entscheidung über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81, 82 EG zu treffen, jedenfalls aber die Nichteinleitung eines Verfahrens zu begründen. Das habe das Beschwerdegericht verkannt.
Die Ansicht der Antragstellerin, das Bundeskartellamt sei ausschließlich zuständig für die Anwendung des europäischen Kartellrechts, trifft nicht zu. Neben ihm können sowohl die Kommission als auch die Gerichte die Frage prüfen, ob ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 oder Art. 82 EG vorliegt. Dagegen kommt die in der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz angesprochene ausschließliche Zuständigkeit der Kommission nach Art. 9 Abs. 1 der VO 17/62 darin zum Ausdruck, daß es nicht nur den nationalen Kartellbehörden, sondern auch den Gerichten verwehrt ist, darüber zu entscheiden, ob eine Freistellung vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG erfolgt.
Die Auffassung der Antragstellerin, das Beschwerdegericht habe verkannt, daß das Bundeskartellamt eine Begründung dafür hätte geben müssen, daß es kein Verfahren wegen Verstoßes gegen das europäische Kartellrecht einleitete, trifft ebenfalls nicht zu. Das Beschwerdegericht ist ersichtlich davon ausgegangen, daß sich die Begründung des Bundeskartellamts sowohl auf das deutsche wie auf das europäische Kartellrecht bezieht.
Die von der Antragstellerin angenommene Divergenz besteht mithin nicht.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Satz 2 GWB.
Unterschriften
Hirsch, Melullis, Goette, Ball, Bornkamm
Fundstellen
Haufe-Index 584900 |
ZIP 2001, 807 |