Entscheidungsstichwort (Thema)
Einseitige Erledigungserklärung im Rechtsbeschwerdeverfahren. Versäumung der Beschwerdeeinlegungsfrist. Antrag auf Wiedereinsetzung. Rechtliches Gehör
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Rechtsbeschwerdeverfahren kann vom Beschwerdeführer die Erledigung einseitig erklärt werden, wenn das erledigende Ereignis als solches außer Streit steht.
2. Art. 103 Abs. 1 GG gibt dem Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern.
Normenkette
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 S. 4, § 238 Abs. 2 S. 1; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Beschluss vom 26.05.2010; Aktenzeichen 8 UF 37/10 (VKH)) |
AG Halle (Saale) (Beschluss vom 08.01.2010; Aktenzeichen 22 F 1851/07) |
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats - 2. Senat für Familiensachen - des OLG Naumburg vom 26.5.2010 erledigt ist.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für die Rechtsbeschwerdeinstanz wird abgesehen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Beschwerdewert: 3000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Das AG hat mit Beschluss vom 8.1.2010 eine Umgangsregelung für das gemeinsame Kind der Antragstellerin und des Antragsgegners getroffen.
Rz. 2
Mit einem beim OLG durch Telefax am 19.2.2010 eingegangenem Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten hat die Antragsgegnerin Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen den ihr am 19.1.2010 zugestellten Beschluss des AG beantragt. Belege zum Nachweis der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin waren dem Telefax entgegen der Anweisung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin nicht beigefügt.
Rz. 3
Den Prozesskostenhilfeantrag hat das OLG mit Beschluss vom 8.3.2010, der Antragsgegnerin zugestellt am 19.3.2010, mit der Begründung abgelehnt, die Antragsgegnerin habe ihre Bedürftigkeit nicht nachgewiesen.
Rz. 4
Mit einem weiteren Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten, der am 19.3.2010 beim OLG eingegangen ist, hat die Antragsgegnerin Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegt, diese zugleich begründet und Wiedereinsetzung in die Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde beantragt.
Rz. 5
Das OLG hat mit Beschluss vom 26.5.2010 das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Beschwerde als unzulässig verworfen. Diese Entscheidung hat die Antragsgegnerin mit der Rechtsbeschwerde angegriffen.
Rz. 6
Auf eine nach Einlegung der Rechtsbeschwerde erhobene Gegenvorstellung der Antragsgegnerin hat das OLG den angegriffenen Beschluss aufgehoben und der Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde mit der Begründung gewährt, die Versäumung der Beschwerdeeinlegungsfrist beruhe auf einem der Antragsgegnerin nicht zuzurechnenden Verschulden einer Kanzleiangestellten ihrer Verfahrensbevollmächtigten.
Rz. 7
Daraufhin haben die Verfahrensbevollmächtigen der Antragsgegnerin die Rechtsbeschwerde für erledigt erklärt. Der Antragsteller hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
II.
Rz. 8
1. Auf das Verfahren findet das gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch bis August 2009 geltende Verfahrensrecht Anwendung, weil das Umgangsrechtsverfahren bereits im September 2007 eingeleitet worden ist.
Rz. 9
Die Rechtsbeschwerde war nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie war zulässig, weil die angefochtene Entscheidung nach dem Beschwerdevorbringen die Antragsgegnerin in ihren Verfahrensgrundrechten (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzte und deshalb eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderte (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Rz. 10
2. Dem Antrag, die Erledigung des Rechtsbeschwerdeverfahrens festzustellen, ist stattzugeben.
Rz. 11
Nach der Rechtsprechung des BGH, auch des Senats, kann vom Beschwerdeführer im Rechtsbeschwerdeverfahren die Erledigung einseitig erklärt werden, wenn das erledigende Ereignis als solches außer Streit steht (BGH, Beschl. v. 20.1.2009 - VIII ZR 47/08, NJW-RR 2009, 855 Rz. 6 m.w.N.; BGH v. 13.7.2005 - XII ZB 80/05, NJW-RR 2006, 142 [143]). Dies ist hier der Fall. Durch die nach Einlegung der Rechtsbeschwerde vom OLG gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist die von der Antragsgegnerin angegriffene Entscheidung gegenstandslos geworden, ohne dass es ihrer förmlichen Aufhebung bedarf (BGH v. 13.7.2005 - XII ZB 80/05, NJW-RR 2006, 142 [143]). Dadurch entfiel das erforderliche Rechtsschutzinteresse der Antragsgegnerin an der Anfechtung dieser Entscheidung (Senatsbeschluss vom 13.7.2005, a.a.O.). Dies gilt auch für die in dem angegriffenen Beschluss enthaltene Kostenentscheidung, die ebenfalls gegenstandslos geworden ist (Senatsbeschluss vom 13.7.2005, a.a.O.).
Rz. 12
3. Die Rechtsbeschwerde war auch begründet.
Rz. 13
a) Zwar sieht § 522 Abs. 1 ZPO im Gegensatz zu § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO für den Fall einer Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels eine Anhörung der Partei nicht ausdrücklich vor. Die Pflicht zur Anhörung des Rechtsmittelführers folgt indessen unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG (BGH v. 24.2.2010 - XII ZB 168/08, FamRZ 2010, 882 Rz. 7; v. 15.8.2007 - XII ZB 101/07, NJW-RR 2007, 1718; v. 13.7.2005 - XII ZB 80/05, NJW-RR 2006, 142; v. 18.7.2007 - XII ZB 162/06, FamRZ 2007, 1725). Art. 103 Abs. 1 GG gibt dem Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt (hier: zu der vom OLG angenommenen Fristversäumung) zu äußern.
Rz. 14
b) Das OLG hat der Antragsgegnerin vor seiner Entscheidung den erforderlichen Hinweis auf die Fristversäumung nicht erteilt, so dass die Entscheidung allein aus diesem Grund rechtsfehlerhaft ist. Auch der Beschluss des OLG, mit dem der Prozesskostenhilfeantrag der Antragsgegnerin zurückgewiesen worden ist, enthielt keinen Hinweis darauf, dass dem per Telefax übermittelten Prozesskostenhilfeantrag entgegen der Anweisung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin keine Anlagen beigefügt worden waren. Die Antragsgegnerin hatte daher keine Möglichkeit, sich vor Erlass der angegriffenen Entscheidung dazu zu äußern, wie es zu der Übermittlung des Prozesskostenhilfeantrags ohne die erforderlichen Anlagen gekommen ist. Dadurch wurde die Antragsgegnerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Rz. 15
4. Mit der Gewährung der Wiedereinsetzung durch das OLG ist dem Begehren der Antragsgegnerin Rechnung getragen. Damit hatte sich ihr Wiedereinsetzungsantrag erledigt.
Fundstellen