Entscheidungsstichwort (Thema)

Genehmigung einer Unterbringung. Bestellung des Sachverständigen vor Untersuchung des Betroffenen. Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage. Gelegenheit zur Stellungnahme. Verletzung des Verfahrensrechtes

 

Leitsatz (amtlich)

a) Der Gutachter muss schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein (im Anschluss an BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 383/10, FamRZ 2010, 1726).

b) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt gem. § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat (im Anschluss an BGH v. 6.7.2011 - XII ZB 616/10, FamRZ 2011, 1574).

c) Die Feststellung, dass der Betroffene durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen (im Anschluss an BGH v. 15.2.2012 - XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619).

 

Normenkette

FamFG § 37 Abs. 2, §§ 62, 319 Abs. 1, § 321 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Waldshut-Tiengen (Beschluss vom 31.10.2012; Aktenzeichen 1 T 66/12 und 1 T 99/12)

AG Waldshut-Tiengen (Beschluss vom 14.06.2012; Aktenzeichen 6 XVII 752/11)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Waldshut-Tiengen vom 31.10.2012 aufgehoben, soweit darin die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des AG Waldshut-Tiengen vom 14.6.2012 über die Genehmigung der Unterbringung zurückgewiesen wurde.

Auf die Beschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des AG Waldshut-Tiengen vom 14.6.2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 128b KostO).

Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren werden der Staatskasse auferlegt (§ 337 Abs. 1 FamFG).

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung seiner Unterbringung.

Rz. 2

Nachdem für den Betroffenen zunächst vorläufig eine Betreuung angeordnet und seine Unterbringung bis zum 14.6.2012 einstweilen genehmigt worden war, hat das AG die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 26.7.2012 genehmigt und mit weiterem Beschluss vom selben Tag die Betreuung im genannten Umfang auch in der Hauptsache angeordnet. Gegen beide Beschlüsse hat der Betroffene, der bereits am 11.7.2012 entlassen worden ist, zunächst Beschwerde eingelegt. Das LG, das hinsichtlich der Genehmigung der Unterbringung von einem Antrag gem. § 62 FamFG zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme ausgegangen war, hat die Beschwerden des Betroffenen mit Beschluss vom 31.10.2012 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene, soweit es die Genehmigung der Unterbringung anbelangt, mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Rz. 4

1. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Falle der - hier vorliegenden - Erledigung der Unterbringungsmaßnahme aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (vgl. BGH v. 15.2.2012 - XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619 Rz. 11).

Rz. 5

2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Genehmigung der Unterbringung durch das AG jedenfalls verfahrensfehlerhaft erfolgt.

Rz. 6

a) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Einholung des Sachverständigengutachtens nicht den Anforderungen einer förmlichen Beweisaufnahme genügt.

Rz. 7

aa) Unbedenklich ist allerdings, dass die Sachverständige den Betroffenen bereits zuvor behandelt hatte. Nach § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG soll das Gericht nur bei einer Unterbringung mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt hat. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei einer kürzeren Unterbringungsdauer der behandelnde Arzt zum Sachverständigen bestellt werden kann (BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 383/10, FamRZ 2010, 1726 Rz. 9).

Rz. 8

bb) Allerdings sieht § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG für das Unterbringungsverfahren im Hinblick auf die damit einhergehenden erheblichen Eingriffe in die Freiheitsrechte eine förmliche Beweisaufnahme vor. Danach hat der Sachverständige den Betroffenen gem. § 321 Abs. 1 Satz 2 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen, wobei er vor der Untersuchung des Betroffenen bereits zum Sachverständigen bestellt sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnet haben muss, damit der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, sinnvoll ausüben kann (BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 383/10, FamRZ 2010, 1726 Rz. 18 ff.).

Rz. 9

Dem wird das vom AG eingeholte Sachverständigengutachten nicht gerecht. Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass weder aus den gerichtlichen Feststellungen noch aus der Akte ersichtlich wird, dass dem Betroffenen die Bestellung seiner behandelnden Ärztin zur gerichtlichen Sachverständigen vor Beginn der Begutachtung bekannt gegeben worden ist. Hinzu kommt, dass ausweislich des Gutachtens Grundlagen der Begutachtung ausschließlich die Krankenakte, die eigene Kenntnis aus der stationären Behandlung im ZfP R. sowie die Akte des AG waren. Darüber hinaus kann dem Gutachten nicht entnommen werden, dass die Sachverständige den Betroffenen überhaupt auf ihre Funktion als solche hingewiesen hat.

Rz. 10

b) Schließlich rügt die Rechtsbeschwerde zutreffend, dass das Sachverständigengutachten dem Betroffenen nicht bekannt gegeben worden ist.

Rz. 11

Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt gem. § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 275 FamFG) zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (BGH v. 6.7.2011 - XII ZB 616/10, FamRZ 2011, 1574 Rz. 11 m.w.N.).

Rz. 12

Auch diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht. Aus der Gerichtsakte lassen sich keine Verfügungen ersehen, wonach das Gutachten vom 1.6.2012 dem Betroffenen oder auch nur den anderen Beteiligten bekannt gegeben worden ist. Ebenso wenig enthält das Sachverständigengutachten einen Hinweis darauf, dass der Betroffene durch dessen Bekanntgabe an ihn Gesundheitsnachteile entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte.

Rz. 13

c) Von einer weiteren Begründung wird insoweit gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Rz. 14

3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst abschließend entscheiden, weil diese zur Entscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).

Rz. 15

a) Die Feststellung, dass der Betroffene durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen (BGH v. 15.2.2012 - XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619 Rz. 25).

Rz. 16

Da die entsprechende Maßnahme bereits erledigt ist, kommt eine Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht nicht in Betracht (vgl. dazu BGH v. 15.2.2012 - XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619 Rz. 31). Wegen des Zeitablaufs und der damit einhergehenden Änderung des Zustandes des Betroffenen kann im Nachhinein grundsätzlich nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, ob die Genehmigung der Unterbringung auch bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften gerechtfertigt gewesen wäre. Hinzu kommt, dass dem Betroffenen erneute Ermittlungen allein zur Klärung der Frage, ob der von dem Gericht zu verantwortende Verfahrensfehler noch zu heilen wäre, nicht zumutbar sind. Denn (auch) diese würden erheblich in die Rechtssphäre des - mittlerweile entlassenen - Betroffenen eingreifen und ihn erneut mit der "Akutphase seiner Erkrankung" konfrontieren. Es ist deshalb zugunsten des Betroffenen davon auszugehen, dass die Beschwerdeentscheidung auf dem Verfahrensfehler beruht (vgl. BGH v. 15.2.2012 - XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619 Rz. 29 ff. m.w.N.).

Rz. 17

b) Demgemäß ist festzustellen, dass die Entscheidung des AG den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, nämlich in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

Rz. 18

Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse ist in der Regel anzunehmen, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG), wobei die - hier vorliegende - Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff bedeutet (BGH v. 15.2.2012 - XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619 Rz. 10 m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 5309142

NJW 2013, 3309

EBE/BGH 2013

FamRZ 2013, 1725

FuR 2013, 712

FGPrax 2013, 261

AnwBl 2013, 829

BtPrax 2013, 254

JZ 2013, 617

MDR 2013, 1281

NJ 2013, 4

DS 2013, 398

R&P 2014, 38

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