Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung der Vergütung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen in einem Patentnichtigkeitsberufungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
Zur Anwendung der Honorargruppe 10 zu § 9 Abs. 1 JVEG auf den im Patentnichtigkeitsberufungsverfahren vor dem BGH herangezogenen gerichtlichen Sachverständigen.
Normenkette
JVEG § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
BPatG (Urteil vom 27.04.2004; Aktenzeichen 1 Ni 24/02) |
Tenor
I. Die Vergütung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. S. für die Erstellung des schriftlichen Gutachtens wird unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags des Sachverständigen auf 15.358,98 EUR einschließlich Umsatzsteuer festgesetzt.
II. Der Wert des Gegenstands des Nichtigkeitsberufungsverfahrens wird auf 500.000 EUR festgesetzt.
III. Der Beklagte wird, nachdem er die Berufung gegen das Urteil des BPatG vom 27.4.2004 zurückgenommen hat, des Rechtsmittels für verlustig erklärt. Er hat die durch das Berufungsverfahren entstandenen Kosten zu tragen.
Gründe
[1] I. Der gerichtliche Sachverständige hat sein am 19.8.2005 in Auftrag gegebenes schriftliches Gutachten pauschal mit 22.040 EUR einschließlich Umsatzsteuer abgerechnet; dabei hat er für 19 Tage einen Tagessatz von 1.000 EUR netto zugrunde gelegt, wobei er sich auf die Üblichkeit dieses Satzes bei öffentlichen Institutionen berufen hat. Während die Klägerin dem Vergütungsvorschlag zugestimmt hat, hat die Beklagte ihm widersprochen. Auf Aufforderung des Gerichts hat der Sachverständige die aufgewendete Stundenzahl aufgeschlüsselt, und zwar hat er angesetzt:
5 Stunden für Durchsicht zur Ermittlung, ob seine fachliche Kompetenz ausreichend ist; 18 Stunden für Durcharbeit der Akten; 12 Stunden für Vorentwurf; 8 Stunden für Literaturdurchsicht; 20 Stunden für Prüfung der erfinderischen Tätigkeit; 54 Stunden für Prüfung der Neuheit; 4 Stunden für Prüfung der geänderten Anspruchsfassung; 33 Stunden für Fertigstellung des Gutachtens.
[2] Insgesamt seien somit 154 Stunden angefallen. Der Beklagte hat den Zeitansatz des gerichtlichen Sachverständigen als unangemessen bezeichnet. Außerdem meint er, dass lediglich ein Stundensatz von 75 EUR je Stunde berechnet werden könne.
[3] II. Die vom gerichtlichen Sachverständigen verlangte Vergütung kann diesem nur teilweise zuerkannt werden; der weitergehende Antrag des gerichtlichen Sachverständigen ist daher zurückzuweisen.
[4] 1. Für die Vergütung des gerichtlichen Sachverständigen ist aufgrund der Erteilung des Gutachtensauftrags nach den 30.6.2004 das Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG; BGBl. I 2004, 718, 776) maßgeblich.
[5] 2. Die Vergütung von Sachverständigen im Patentnichtigkeitsverfahren wird in den in § 9 Abs. 1 JVEG gebildeten Honorargruppen nicht erfasst. Deshalb ist sie nach billigem Ermessen einer der im Gesetz vorgesehenen Honorargruppen zuzuordnen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG). Angesichts der Schwierigkeiten, die sich für den Sachverständigen im Patentnichtigkeitsverfahren regelmäßig stellen, und die eine eingehende Auseinandersetzung mit der geschützten Erfindung und dem Stand der Technik auf einem hohen Niveau erfordern, kann es im Einzelfall angemessen sein, den oberen Bereich des durch die verschiedenen Honorargruppen eröffneten Gebührenrahmens auszuschöpfen. So ist es auch hier. Allein schon der Umfang des Gutachtens (57 Seiten) zeigt, dass die Befassung des gerichtlichen Sachverständigen mit der zu beurteilenden Materie im vorliegenden Fall nicht einfach war und jedenfalls deutlich mehr als routinemäßiges Vorgehen erforderte. Daher sieht es der Senat als angemessen an, auf die Honorargruppe 10 zurückzugreifen, nach der der Stundensatz 95 EUR beträgt.
[6] 3. Allerdings kann der gerichtliche Sachverständige die von ihm angesetzten 154 Stunden nicht in vollem Umfang in Rechnung stellen.
[7] a) Für die Zeit, die der Sachverständige zur Prüfung aufwendet, ob er zur Gutachtenerstellung in der Lage ist, steht ihm i.d.R. ein Entschädigungsanspruch nicht zu (Sen.Beschl. v. 20.3.1979 - X ZR 21/76, MDR 1979, 754 = Rpfleger 1979, 259 - Tragvorrichtung; v. 23.4.2002 - X ZR 83/01, BGHReport 2002, 849 = GRUR 2002, 732 = Mitt. 2002, 378 f. - Massedurchfluss). Gegenüber dieser sich schon aus § 3 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen- und Sachverständigen (ZuSEG) ergebenden Rechtslage hat die Neuregelung in § 8 JVEG nichts geändert, denn auch nach dieser Bestimmung erhält der gerichtliche Sachverständige ein Honorar für seine Leistung und grundsätzlich nicht für die Überprüfung, ob er zu dieser Leistung überhaupt in der Lage ist. Gesichtspunkte, die hier ausnahmsweise den Ansatz der Prüfungszeit dennoch als gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich.
[8] b) Gegen den verbleibenden Ansatz von 149 Stunden für die Gutachtenserstellung bestehen hier keine durchgreifenden Bedenken. Wenn auch einzelne Stundenansätze nicht völlig plausibel erscheinen, muss die Arbeitsweise des gerichtlichen Sachverständigen doch grundsätzlich diesem selbst überlassen bleiben. Einem Stundenaufwand von weniger als 150 Stunden kann bei einem eingehenden Gutachten in einer Patentnichtigkeitssache die Erforderlichkeit jedenfalls nicht ohne Weiteres abgesprochen werden; dies gilt auch im vorliegenden, einen Schnellerwärmungsofen betreffenden Fall mit vier Entgegenhaltungen, mehreren geänderten Anspruchsfassungen, der Prüfung von sechs Unteransprüchen, und im Vergleich mit anderen, dem Senat bekannt gewordenen Fällen (vgl. u.a. Sen.Beschl. v. 16.12.2003 - X ZR 206/98, BGHReport 2004, 606 = MDR 2004, 776 = GRUR 2004, 446 = Mitt. 2004, 284 f. - Sachverständigenentschädigung III, wo 125 Sachverständigenstunden und 53 Mitarbeiterstunden anerkannt wurden; v. 7.11.2006 - X ZR 65/03, wo 150 Sachverständigenstunden anerkannt wurden; vgl. weiter Sen.Beschl. v. 14.3.1967 - Ia ZR 53/64, GRUR 1967, 553 f.: 152 Stunden).
[9] 4. Damit ergibt sich für den gerichtlichen Sachverständigen zunächst eine gesetzliche Vergütung von 149 Stunden zu je 95 EUR. Dieser Satz kann nicht unter Zugrundelegung des vom gerichtlichen Sachverständigen in Rechnung gestellten Stundensatzes von 125 EUR (Tagessatz von 1.000 EUR bei einem mit acht Stunden angesetzten Arbeitstag) erhöht werden. Zwar hat sich die Berufungsbeklagte hiermit einverstanden erklärt. Auch würde das Eineinhalbfache des nach § 9 JVEG zulässigen Honorars nicht überschritten. Der Erhöhung steht jedoch entgegen, dass der eingezahlte Vorschuss von 12.500 EUR nicht ausreicht. § 13 Abs. 1 JVEG lässt die Gewährung einer besonderen Vergütung nur dann zu, wenn ein ausreichender Betrag an die Staatskasse gezahlt ist. Dies gilt nicht nur dann, wenn sich die Parteien mit dieser Vergütung einverstanden erklärt haben, sondern auch in dem Fall des § 13 Abs. 2 JVEG, wenn nur die Erklärung einer Partei hierzu vorliegt; diese Bestimmung regelt nur die Voraussetzungen, unter denen das Einverständnis der anderen Partei entbehrlich ist, stellt aber nicht von dem Vorschusserfordernis frei. Nachdem die gesetzliche Vergütung bereits über dem einbezahlten Vorschuss liegt, kann die besondere Vergütung hier nicht aus dem an die Staatskasse bezahlten Betrag geleistet werden (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl. 2006, § 13 JVEG Rz. 15, sowie zur Vorgängerbestimmung des § 7 Abs. 2 ZuSEG OLG München OLGReport München 2001, 108).
[10] 5. a) Eine Kappung der Sachverständigenvergütung auf den vorschussweise gezahlten Betrag hat dagegen schon deshalb nicht zu erfolgen, weil dem Sachverständigen die gesetzliche Vergütung und nicht etwa eine besondere Vergütung zuerkannt wird.
[11] b) Von einem dem Vergütungsanspruch allenfalls entgegenstehenden Verstoß gegen die Pflicht des gerichtlichen Sachverständigen, den durch den gezahlten Kostenvorschuss gezogenen Rahmen zu beachten (§ 407a Abs. 3 ZPO; vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 20.5.2005 - 14 W 305/05, MDR 2005, 1258), kann hier schon deshalb keine Rede sein, weil dem Sachverständigen der eingeforderte Vorschuss nicht mitgeteilt worden ist; eine Erkundigungspflicht traf ihn insoweit nicht.
[12] 6. Der Abrechnung des Sachverständigen sind die Schreibaufwendungen hinzuzusetzen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG); diese schätzt der Senat auf 2.000 Anschläge je Seite. Daraus ergibt sich ein weiterer Betrag von 85,50 EUR.
[13] 7. Daraus folgt folgende Abrechnung:
149 Stunden je 95 EUR |
13.155 EUR |
Schreibauslagen |
85,50 EUR |
Summe |
13.240,50 EUR |
Umsatzsteuer |
2.118,48 EUR |
Insgesamt |
15.358,98 EUR |
[14] III. Die Entscheidung über die Verlustigkeit und die Kostenentscheidung beruhen auf §§ 99 Abs. 1, 121 Abs. 2 PatG, § 516 Abs. 3 ZPO in entsprechender Anwendung.
[15] IV. Hinsichtlich der Festsetzung des Streitwerts hat der Senat auf die übereinstimmenden Angaben der Parteien in der Vorinstanz abgestellt. Soweit diese nunmehr abweichende Angaben machen, ist nicht ersichtlich, dass diese den gemeinen Wert des Patents zugrunde legen (grundlegend zur Bemessung des Streitwerts weiterhin BGH, Beschl. v. 11.10.1956 - I ZR 28/55, GRUR 1957, 79 - Streitwert; vgl. Benkard/Rogge, PatG GebrMG, 10. Aufl. 2006, § 84 PatG Rz. 21; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl. 2003, § 84 PatG Rz. 48; Schulte, PatG, 7. Aufl. 2005, § 2 PatKostG Rz. 36 ff.).
Fundstellen