Entscheidungsstichwort (Thema)
Feuchtigkeitsschäden eines Hausgrundstücks. Tauglicher Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens. Zulässiger Fragenkatalog
Leitsatz (amtlich)
In einem selbständigen Beweisverfahren kann dem Sachverständigen auch die Frage vorgelegt werden, ob Schäden und Mängel eines Gebäudes für dessen Eigentümer bzw. Bewohner - aus sachverständiger Sicht - erkennbar waren.
Normenkette
ZPO § 485 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsteller werden der Beschluss des 15. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 30.4.2009 aufgehoben und die Beschlüsse der 2. Zivilkammer des LG Karlsruhe vom 15.12.2008 und vom 17.2.2009 abgeändert.
Unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen wird die Einholung eines schriftlichen Gutachtens des in dem Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Karlsruhe vom 15.12.2008 bestimmten Sachverständigen auch über folgende Fragen angeordnet:
"3. Hätte der Eigentümer und/oder Bewohner des in der Antragsfrage zu Ziff. 1 näher bezeichneten Hauses die Durchfeuchtung bzw. Feuchtigkeit in den Wänden und/oder Außenwänden dieses Hauses aus sachverständiger Sicht bemerken können oder bemerken müssen, insb. vor dem 24.5.2006? Falls ja, aufgrund welcher Umstände hätte der Eigentümer/Bewohner die Durchfeuchtung bzw. Feuchtigkeit aus sachverständiger Sicht bemerken können bzw. müssen? 10. Waren die Schäden an der Dachisolierung des in Ziff. 1 genannten Gebäudes und/oder deren Auswirkungen auf die übrige Bausubstanz für den Eigentümer oder Bewohner dieses Hauses bereits vor dem 24.5.2006 aus sachverständiger Sicht erkennbar bzw. musste er diese erkennen? 13. Waren die Schornsteindurchfeuchtung und/oder deren Auswirkungen auf die übrige Bausubstanz für den Eigentümer/Bewohner des in Ziff. 1 genannten Gebäudes vor dem 24.5.2006 aus sachverständiger Sicht erkennbar oder musste er diese erkennen? 14. ... War die Verstopfung bzw. Versetzung dieses Rohrsystems [scil. Kanalanschluss] bereits vor dem 24.5.2006 vorhanden? War diese Verstopfung bzw. Versetzung für den Eigentümer bzw. Bewohner der in Ziff. 1 bezeichneten Immobilie vor dem 24.5.2006 aus sachverständiger Sicht erkennbar?"
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Die Antragsteller kauften von der Antragsgegnerin mit notariellem Vertrag vom 24.5.2006 ein Hausgrundstück. Sie machen Feuchtigkeits- und andere Schäden geltend, die ihrer Ansicht nach bereits bei Abschluss des Vertrags vorhanden waren. Diese möchten sie durch ein Sachverständigengutachten feststellen lassen. Das LG hat die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens im Wege des selbständigen Beweisverfahrens zu elf der insgesamt 15 in dem Antrag formulierten Fragen und dem ersten Teil der Frage 14 angeordnet. Die Einholung des Sachverständigengutachtens auch zu den Fragen 3, 10, 13 und dem zweiten Teil der Frage 14 hat es abgelehnt. Diese Fragen lauten:
"3. Hätte der Eigentümer und/oder Bewohner des in der Antragsfrage zu Ziff. 1 näher bezeichneten Hauses die Durchfeuchtung bzw. Feuchtigkeit in den Wänden und/oder Außenwänden dieses Hauses bemerken können oder bemerken müssen, insb. vor dem 24.5.2006? Falls ja, aufgrund welcher Umstände hätte der Eigentümer/Bewohner die Durchfeuchtung bzw. Feuchtigkeit bemerken können bzw. müssen? 10. Waren die Schäden an der Dachisolierung des in Ziff. 1 genannten Gebäudes und/oder deren Auswirkungen auf die übrige Bausubstanz für den Eigentümer oder Bewohner dieses Hauses bereits vor dem 24.5.2006 erkennbar bzw. musste er diese erkennen? 13. Waren die Schornsteindurchfeuchtung und/oder deren Auswirkungen auf die übrige Bausubstanz für den Eigentümer/Bewohner des in Ziff. 1 genannten Gebäudes vor dem 24.5.2006 erkennbar oder musste er diese erkennen? 14. ... War die Verstopfung bzw. Versetzung dieses Rohrsystems [scil. Kanalanschluss] bereits vor dem 24.5.2006 vorhanden? War diese Verstopfung bzw. Versetzung für den Eigentümer bzw. Bewohner der in Ziff. 1 bezeichneten Immobilie vor dem 24.5.2006 erkennbar?"
[2] Der sofortigen Beschwerde der Antragsteller hat das LG mit folgender Ergänzung teilweise abgeholfen:
"Der Sachverständige soll jeweils feststellen, wie sich die zu begutachtenden Schäden und Mängel (Durchfeuchtung bzw. Feuchtigkeit in den Wänden und/oder Außenwänden, Verstopfung der Drainage, Schäden an der Dachisolierung, Schornsteindurchfeuchtung, Verstopfung bzw. Versetzung des Rohrsystems) bemerkbar machen."
[3] Das OLG hat ihr durch die nachfolgende Ergänzung des Anordnungsbeschlusses und des Abhilfebeschlusses teilweise weiter abgeholfen:
"Ziff. 14 des Beschlusses vom 15.12.2008 [d. i. Anordnungsbeschluss] wird um folgenden Satz ergänzt: War die Verstopfung bzw. Versetzung dieses Rohrsystems bereits vor dem 24.5.2006 vorhanden? Ziff. 1 des Beschlusses vom 17.2.2009 [d. i. die oben referierten Ergänzung] wird nach "bemerkbar machen" wie folgt ergänzt: "... und waren diese Umstände bereits vor dem 24.5.2006 vorhanden?"
[4] Im Übrigen hat es die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die von dem OLG zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsteller, die die Einholung des Sachverständigengutachtens auch zu den zurückgewiesenen Teilen ihrer Fragen erreichen wollen. Die Antragsgegnerin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
II.
[5] Das Beschwerdegericht meint, hinsichtlich des zurückgewiesenen Teils der Beweisfragen lägen die Voraussetzungen für die Anordnung eines Beweisverfahrens nicht vor. Es sei nicht erkennbar, dass zu besorgen sei, dass das Beweismittel verloren gehe oder seine Benutzung erschwert werde. Die Frage nach der Erkennbarkeit der behaupteten Schäden und Mängel für bestimmte Personen stelle keine zulässige Beweisfrage dar. Sie beziehe sich weniger auf den Zustand der jeweiligen Sache als vielmehr auf die Fähigkeit der im Beweisantrag bezeichneten Personen, einen bestimmten Zustand wahrzunehmen. Dazu könne das Gutachten eines Bausachverständigen keine Aussagen machen. Außerdem unterliege diese Frage in erster Linie der Beurteilung des Gerichts.
III.
[6] Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
[7] 1. Das Beschwerdegericht geht allerdings zutreffend davon aus, dass der Antrag auf Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens hinsichtlich der zurückgewiesenen Teile der Beweisfragen nicht nach § 485 Abs. 1 ZPO zulässig ist. Insoweit ist nicht zu besorgen, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.
[8] 2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens aber nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zulässig. Die Antragsteller haben nämlich ein rechtliches Interesse daran, dass der Zustand des verkauften Hauses auch in dieser Hinsicht festgestellt wird. Diese Feststellung ist für die Prüfung etwaiger Ansprüche von wesentlicher Bedeutung. Außerdem kann sie der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen.
[9] a) Die zurückgewiesenen Teile der Fragen sind tauglicher Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens.
[10] aa) Sie schieden als solche allerdings aus, wenn sie im Kern auf die Beantwortung von Rechtsfragen zielten oder hinausliefen. Das selbständige Beweisverfahren hat in der hier maßgeblichen Fallgestaltung die Feststellung des tatsächlichen Zustands einer Sache zum Gegenstand. Als vorweggenommene Beweisaufnahme (vgl. Zimmermann in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 402 Rz. 10) dient sie wie jede Beweisaufnahme der Aufklärung von Tatsachen, nicht der Beantwortung von Rechtsfragen (dazu: Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 401 Rz. 1). Richtig ist auch, dass die Frage nach der Erkennbarkeit von Sachverhalten vor allem für die Beantwortung der Rechtsfragen von Bedeutung ist, ob die im Verkehr gebotene Sorgfalt (vgl. § 276 Abs. 2 BGB) angewandt worden ist oder ob Arglist (vgl. § 444 BGB) vorliegt. Die Beantwortung dieser Rechtsfragen ist Aufgabe des Gerichts, nicht des Sachverständigen.
[11] bb) Deren Beantwortung wird indessen entscheidend durch die tatsächlichen Verhältnisse bestimmt. Diese sind einem Beweis durch Sachverständigengutachten zugänglich. Der Sachverständige kann in diesem Rahmen auch dazu befragt werden, ob es besonderer Fähigkeiten oder tatsächlicher Möglichkeiten bedarf, um einen bestimmten Schaden oder Mangel zu erkennen. Denn auch das gehört zu den tatsächlichen Grundlagen der von dem (Prozess-) Gericht zu beantwortenden Rechtsfragen. Das Gericht wird bei seiner freien Würdigung des Beweisergebnisses indessen nicht nur die Einschätzung des Sachverständigen zu berücksichtigen haben. Es muss in seine Würdigung auch einbeziehen, ob die tatsächlichen Grundlagen, von denen der Sachverständige ausgegangen ist, bestritten sind und was die Beweisaufnahme hierzu erbracht hat. Die Verteilung der Aufgaben zwischen dem Sachverständigen einerseits und dem Gericht anderseits ist in der Formulierung der Beweisfragen klarzustellen.
[12] b) Die Frage nach der Erkennbarkeit von Bauschäden und Mängel von Gebäuden gehört, anders als das Beschwerdegericht meint, auch zu dem fachlichen Aufgabenbereich eines Bausachverständigen. Sie zielt nämlich erkennbar nicht darauf ab, die intellektuellen oder Wahrnehmungsfähigkeiten bestimmter Personen aufzuklären. Es geht vielmehr darum festzustellen, ob sich die zu prüfenden Schäden und Mängel dem Bewohner des Hauses mit den ihm typischerweise zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten von selbst erschließen oder ob es dazu besonderer Fähigkeiten oder Anstrengungen bedarf. Gegenstand der Begutachtung ist dabei nicht, wie das Beschwerdegericht offenbar meint, der Beobachter, sondern der Zustand des Gebäudes und die Aussagekraft der festzustellenden Schäden und Mängel. Deshalb hat das LG in seiner Abhilfeentscheidung zu Recht auch die Frage danach zugelassen, wie sich die zu untersuchenden Schäden und Mängel bemerkbar machen. Nichts anderes gilt für die letztlich nur noch offene Frage danach, ob die Einordnung solcher Anzeichen besonderer Fachkunde oder tatsächlicher Erkenntnismöglichkeiten bedarf.
IV.
[13] Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens sind Kosten des anschließenden Rechtsstreits (BGH, Beschl. v. 18.12.2002 - VIII ZB 97/02, NJW 2003, 1322 [1323]; BGH, Beschl. v. 21.10.2004 - V ZB 28/04, NJW 2005, 294), bei deren Verteilung ggf. in entsprechender Anwendung von § 96 ZPO berücksichtigt werden könnte, dass die Verteidigung der Antragsgegnerin gegen die Rechtsmittel im Beweisverfahren erfolglos war. Ansonsten kommt eine Erstattung der Kosten nur aus materiell-rechtlichen Gesichtspunkten oder unter den Voraussetzungen des § 494a ZPO in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 2247132 |
BGHR 2009, 1272 |
BauR 2009, 1793 |
BauR 2009, 1942 |
BauR 2010, 248 |
DWW 2010, 116 |
EBE/BGH 2009 |
NJW-RR 2010, 233 |
IBR 2010, 64 |
JR 2010, 351 |
ZAP 2009, 1309 |
MDR 2010, 41 |
VersR 2010, 1055 |
ZfBR 2010, 129 |
BauSV 2010, 76 |
BauSV 2010, 82 |
GuT 2009, 408 |
NJW-Spezial 2009, 733 |
NZBau 2010, 108 |
DS 2010, 73 |
GuG-aktuell 2010, 15 |