Leitsatz (amtlich)
Ist ein Vollstreckungsbescheid, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben worden ist, durch einen Prozessvergleich ersetzt worden, kann der Gläubiger grundsätzlich die Erstattung der Vollstreckungskosten in der Höhe verlangen, in der sie angefallen wären, wenn er von vornherein die Vollstreckung auf den Vergleichsbetrag beschränkt hätte.
Normenkette
ZPO § 788 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Beschluss vom 23.06.2003) |
AG Leutkirch |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Ravensburg v. 23.6.2003 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 198,90 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Auf Grund eines Vollstreckungsbescheides über eine Hauptforderung von 17.014,92 Euro erwirkte der Gläubiger gegen die Schuldnerin beim AG Leutkirch den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Nach Einspruch der Schuldnerin gegen den Vollstreckungsbescheid schlossen die Parteien am 12.7.2002 vor dem LG Ravensburg folgenden Vergleich:
1. Die Beklagte bezahlt an den Kläger 9.000 Euro nebst Zinsen i. H. v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 1.8.2002.
2. Damit ist die Werklohnforderung des Klägers und sind die von der Beklagten in den Rechtsstreit eingeführten Gewährleistungsansprüche und sonstigen Gegenansprüche erledigt.
3. Der Kläger verzichtet auf die Rechte aus dem Vollstreckungsbescheid ...
4. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
5. ...
Der Gläubiger hat beim AG - Vollstreckungsgericht - Leutkirch beantragt, die Kosten der Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid mit 258 Euro festzusetzen. Mit Beschl. v. 26.9.2002 hat das AG diese auf 198,90 Euro festgesetzt, wobei es für die 3/10 Rechtsanwaltsgebühr gem. § 57 Abs. 1 BRAGO einen Gegenstandswert in Höhe des Vergleichsbetrages von 9.000 Euro angenommen hat. Die Beschwerde der Schuldnerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss hat das LG Ravensburg mit Beschl. v. 23.6.2002 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts enthält der Prozessvergleich keine Regelung über die Kosten der Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid. Diese gehörten nicht zu den Kosten des Rechtsstreits. Der Gläubiger könne von der Schuldnerin die Vollstreckungskosten in der Höhe ersetzt verlangen, in der sie angefallen wären, wenn er die Zwangsvollstreckung von vorneherein auf die Vergleichssumme beschränkt hätte. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Umstand, dass in Höhe des Vergleichsbetrages die Vollstreckung zu Recht erfolgt sei, weil die Parteien durch den Abschluss des Prozessvergleichs das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs verbindlich zum Ausdruck gebracht hätten.
2. Demgegenüber vertritt die Rechtsbeschwerde die Meinung, dass der Vollstreckungsbescheid durch den Prozessvergleich ersetzt worden und damit gegenstandslos geworden sei, wodurch die Grundlage der Zwangsvollstreckung und die Erstattungsfähigkeit der bisher angefallenen Vollstreckungskosten entfallen sei. Die Parteien hätten durch den Abschluss des Vergleichs ihre Rechtsbeziehungen neu geordnet mit der Folge, dass der Rückgriff auf die frühere Rechtslage verboten sei. Es stehe nicht fest, inwieweit der Vergleichsbetrag identisch sei mit dem Anspruch, der mit dem Vollstreckungsbescheid geltend gemacht worden sei. Der Inhalt des Prozessvergleichs allein sei dafür maßgebend, welche Partei die bereits entstandenen Vollstreckungskosten tragen müsse. Diese könnten nur dann als Kosten des Rechtsstreits angesehen werden, wenn sich dafür aus dem Vergleichstext eindeutige Anhaltspunkte ergäben. Das treffe hier nicht zu.
3. Die Meinung der Rechtsbeschwerde vermag nicht zu überzeugen.
a) Zur Frage, ob der Gläubiger bereits entstandene Kosten der Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid, der später durch einen Prozessvergleich ersetzt wurde, gem. § 788 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO gegen den Schuldner vom Vollstreckungsgericht festsetzen lassen kann, werden unterschiedliche Meinungen vertreten.
Eine Meinung lehnt die Erstattungsfähigkeit ab, soweit diese nicht dem Inhalt des Prozessvergleichs zu entnehmen ist. Dies wird vor allem damit begründet, dass der Vollstreckungsbescheid keine Grundlage für die Festsetzung von Vollstreckungskosten bilden könne, weil der Prozessvergleich die Rechtslage zwischen den Parteien neu geregelt und den Vollstreckungsbescheid ersetzt habe. Es stehe nicht fest, inwieweit der Vergleich den Vollstreckungsbescheid bestätige oder nicht, da die Erwägungen, die zum Vergleichsschluss und zur Festlegung der Vergleichssumme geführt hätten, ganz anderer Natur gewesen sein könnten als die Überzeugung von der Berechtigung des mit dem Vollstreckungsbescheid geltend gemachten Anspruchs (KG v. 10.8.1999 - 1 W 5071/98, KGReport Berlin 1999, 379 = NJW-RR 2000, 518 f; OLG Düsseldorf v. 10.11.1998 - 22 W 58/98, OLGReport Düsseldorf 1999, 277 = NJW-RR 1999, 943; OLG Hamm v. 21.9.1992 - 23 W 456/92, MDR 1993, 917 = OLGReport Hamm 1993, 127).
Nach der h. M. hindert der Umstand, dass der Vollstreckungsbescheid durch den Prozessvergleich gegenstandslos geworden ist, die Festsetzung der bis dahin entstandenen Vollstreckungskosten nicht. Allerdings könnten diese nur in der Höhe festgesetzt werden, in der sie entstanden wären, wenn der Gläubiger die Zwangsvollstreckung von vorneherein auf den nach dem Vergleich endgültig zu bezahlenden Betrag beschränkt hätte (OLG München v. 27.11.1998 - 11 W 2957/98, OLGReport München 1999, 310 = MDR 1999, 443 = NJW-RR 1999, 798; OLG Zweibrücken JurBüro 1999, 552; OLG Stuttgart v. 6.8.1993 - 8 W 363/92, Rpfleger 1994, 118; OLG Hamburg JurBüro 1991, 1132; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 788 Rz. 48; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 788 Rz. 14).
b) Zutreffend geht das LG davon aus, dass die Parteien in dem Prozessvergleich keine Regelung für die auf Grund der Vollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid angefallenen Kosten getroffen haben. Von der Kostenaufhebung gemäß Nr. 4. des Vergleichs werden sie nicht umfasst, da sie keine Kosten des Rechtsstreits sind (OLG Düsseldorf v. 10.11.1998 - 22 W 58/98, OLGReport Düsseldorf 1999, 277 = NJW-RR 1999, 943; OLG Karlsruhe v. 3.5.1994 - 3 W 31/94, MDR 1994, 733; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 788 Rz. 14). Der in Nr. 3. des Vergleichs enthaltene Verzicht des Klägers auf die Rechte aus dem Vollstreckungsbescheid regelt lediglich, dass für die Zukunft nur der Prozessvergleich Vollstreckungstitel ist. Insbesondere nimmt er dem Vollstreckungsbescheid die Wirkung für die in der Vergangenheit bereits durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen in dem durch den Prozessvergleich bestätigten Umfang nicht (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 717 Rz. 64). Das gilt insbesondere deshalb, weil nach dem Inhalt des Vergleichs alles dafür spricht, dass dem Vollstreckungsbescheid und dem Prozessvergleich derselbe Anspruch zu Grunde liegt.
c) Mit Recht hat sich das Beschwerdegericht der h. M. in Rechtsprechung und Literatur angeschlossen. Ist ein Vollstreckungsbescheid, auf dessen Grundlage die Zwangsvollstreckung betrieben wurde, durch einen Prozessvergleich ersetzt worden, kann der Gläubiger Vollstreckungskosten in der Höhe festsetzen lassen, die entstanden wären, wenn er von vorneherein die Vollstreckung auf den Vergleichsbetrag beschränkt hätte.
Dass der Vollstreckungsbescheid durch den Prozessvergleich gegenstandslos geworden ist, steht der Festsetzung der Vollstreckungskosten gem. § 788 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO nicht entgegen. Dasselbe gilt für den Umstand, dass durch den Vergleich die Rechtslage zwischen den Parteien neu geordnet wurde und deshalb ein Rückgriff auf die frühere (ungewisse oder streitige) Rechtslage unzulässig ist (Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 794 Rz. 30; Häsemeyer, ZZP 108, 289 [297]). Diese Vorschrift stellt nämlich auf die Vollstreckbarkeit des zu Grunde liegenden Anspruchs und nicht auf die Kontinuität des Vollstreckungstitels ab (OLG Zweibrücken JurBüro 1999, 552 [553]; OLG Stuttgart v. 6.8.1993 - 8 W 363/92, Rpfleger 1994, 118; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 788 Rz. 48). Entscheidend ist, dass der Gläubiger im Hinblick auf die Vergleichssumme im Ergebnis zu Recht vollstreckt hat. Der dem Vollstreckungsbescheid zu Grunde liegende Anspruch wurde insoweit durch die verbindliche Regelung der Parteien in dem Prozessvergleich zwar nicht formal, aber der Sache nach bestätigt (OLG Hamburg JurBüro 1991, 1132).
Gemäß § 788 Abs. 2 S. 1 ZPO können die Kosten der Vollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid in Höhe des Vergleichsbetrages vom Vollstreckungsgericht festgesetzt werden, obwohl der Vollstreckungsbescheid durch den Prozessvergleich aufgehoben wurde (OLG Stuttgart v. 6.8.1993 - 8 W 363/92, Rpfleger 1994, 118).
Fundstellen
Haufe-Index 1059041 |
BGHR 2004, 66 |
NJW-RR 2004, 503 |
WM 2003, 2294 |
ZAP 2004, 68 |
InVo 2004, 75 |
MDR 2004, 352 |
Rpfleger 2004, 112 |
AGS 2004, 127 |
BRAGOreport 2003, 239 |
RENOpraxis 2004, 58 |
KammerForum 2004, 58 |
ProzRB 2004, 123 |