Leitsatz (amtlich)
Die zivilprozessuale Hinweispflicht gem. § 139 ZPO gilt auch im Verfahren nach dem Zwangsversteigerungsgesetz. Sie erfordert aber nicht allgemeine Ausführungen über die Rechte der Beteiligten, sondern kommt in erster Linie zum Tragen, wenn das Gericht Anlass zu der Annahme hat, dass ein Beteiligter die Rechtslage falsch einschätzt und ihm deshalb ein Rechtsnachteil droht.
Normenkette
ZPO § 139
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Beschluss vom 18.09.2012; Aktenzeichen 11 T 199/12) |
AG Bruchsal (Beschluss vom 26.03.2012; Aktenzeichen 3 K 114/09) |
Tenor
Den Beteiligten zu 4) und 5) wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. von Plehwe Prozesskostenhilfe bewilligt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des LG Karlsruhe vom 18.9.2012 aufgehoben.
Die Beschwerden der Beteiligten zu 4) und 5) gegen den Zuschlagsbeschluss des AG Bruchsal vom 26.3.2012 werden zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 113.000 EUR für die Gerichtsgebühren, 164.743,83 EUR für die anwaltliche Vertretung der Beteiligten zu 2) und 170.000 EUR für die anwaltliche Vertretung der Beteiligten zu 4) und 5).
Gründe
I.
Rz. 1
Die Beteiligten zu 4) und 5) (fortan: der Schuldner und die Schuldnerin) sind hälftige Miteigentümer des im Beschlusseingang bezeichneten Grundstücks, das mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Auf Antrag des Beteiligten zu 1) ordnete das AG im Oktober 2009 die Zwangsversteigerung des Miteigentumsanteils des Schuldners an. Die Beteiligte zu 2) trat dem Verfahren bei. Mit Beschluss vom 18.5.2010 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 27.10.2010 wurde der im Grundbuch eingetragene Insolvenzvermerk wieder gelöscht.
Rz. 2
Auf Antrag der Beteiligten zu 2) ordnete das AG im August 2010 auch die Zwangsversteigerung des Miteigentumsanteils der Schuldnerin an. Die Verfahren der beiden Schuldner wurden miteinander verbunden.
Rz. 3
In dem Versteigerungstermin vom 26.3.2012, in dem nur der Schuldner, nicht aber die Schuldnerin anwesend war, hat die Beteiligte zu 2) beantragt, die beiden Miteigentumshälften gemeinsam unter Verzicht auf Einzelausgebote auszubieten. Nachdem der Schuldner dem Antrag zugestimmt hatte, hat das AG beschlossen, dass die Versteigerung der Miteigentumshälften nur im Gesamtausgebot erfolgt. Dem meistbietenden Beteiligten zu 6) ist der Zuschlag erteilt worden. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldner hat das LG den Zuschlagsbeschluss aufgehoben und dem Beteiligten zu 6) den Zuschlag versagt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Beteiligte zu 2) die Wiederherstellung der Entscheidung des AG.
II.
Rz. 4
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Zuschlag nach § 83 Nr. 6 ZVG zu versagen. Der Verzicht des Schuldners auf Einzelausgebote beruhe auf einer Verletzung der dem Vollstreckungsgericht obliegenden Hinweis- und Aufklärungspflicht, da es ihn nicht auf den gesetzlichen Grundsatz des Einzelausgebots hingewiesen habe. Das Zwangsversteigerungsgesetz räume der Einzelausbietung den Vorrang ein, weil ein bestmöglicher Verwertungserlös regelmäßig nur unter Beibehaltung auch des Einzelausgebots zu erwarten sei. Der Schuldner habe daher auf ein ihm nach der gesetzlichen Regelung grundsätzlich zustehendes Recht verzichtet. Über diese rechtliche Wirkung seines Verzichts sei er nicht aufgeklärt worden.
III.
Rz. 5
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet.
Rz. 6
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde geht das Beschwerdegericht allerdings zu Recht davon aus, dass der Schuldner gem. § 97 Abs. 1 ZVG i.V.m. § 9 ZVG beschwerdeberechtigt ist.
Rz. 7
Zwar wurde im Laufe des Zwangsversteigerungsverfahrens über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Dies hat grundsätzlich die Folge, dass das Verwaltungs- und Verfügungsrecht gem. § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergeht und der Schuldner die ihm zustehenden Rechtsbehelfe nicht mehr selbst einlegen kann (BGH, Beschl. v. 18.10.2007 - V ZB 141/06, NJW-RR 2008, 360, 361; Beschl. v. 29.5.2008 - V ZB 3/08, WM 2008, 1789, 1790). Der im Grundbuch eingetragene Insolvenzvermerk ist einige Monate später aber, wie das Grundbuchamt dem Vollstreckungsgericht unter Vorlage eines Grundbuchauszugs mitgeteilt hat, gelöscht worden. Rechtsfehlerfrei nimmt das Beschwerdegericht an, dass der Schuldner damit die Befugnis zur Verwaltung und Verfügung über den Miteigentumsanteil an dem Grundstück wiedererlangt hat und erneut Beteiligter i.S.v. § 9 ZVG war. Denn der Insolvenzvermerk wird gelöscht, wenn ein zur Insolvenzmasse gehörender, im Grundbuch eingetragener Vermögensgegenstand aus der beschlagnahmten Masse - sei es durch Freigabe oder Veräußerung eines einzelnen Gegenstandes durch den Verwalter (§ 32 Abs. 3 InsO) oder durch allgemeine Aufhebung des Insolvenzbeschlags - ausscheidet (Schmahl in MünchKomm/InsO/Busch, 3. Aufl., § 33 Rz. 76, 79; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 32 Rz. 25).
Rz. 8
2. Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Annahme des Beschwerdegerichts, das Vollstreckungsgericht habe seine Hinweispflicht verletzt.
Rz. 9
a) Bei der Versteigerung waren Einzelausgebote auf die beiden hälftigen Miteigentumsanteile der Schuldner ausgeschlossen worden. Das ist, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt, nur zulässig, wenn die anwesenden Beteiligten, deren Rechte bei der Feststellung des geringsten Gebots nicht zu berücksichtigen sind, auf die Einzelausgebote nach § 63 Abs. 4 ZVG verzichtet haben; dies gilt auch, wenn es sich - wie hier - um ein Grundstück handelt, das mit einem einheitlichen Bauwerk bebaut ist, § 63 Abs. 1 Satz 2 ZVG (BGH, Beschl. v. 1.7.2010 - V ZB 94/10, NJW-RR 2010, 1458). Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts lag der erforderliche Verzicht der Beteiligten, insb. auch der des Schuldners vor.
Rz. 10
b) Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht aber, die Rechtspflegerin habe den Schuldner im Zusammenhang mit dem von ihm erklärten Verzicht auf Einzelausgebote nicht hinreichend aufgeklärt.
Rz. 11
Zwar gilt die zivilprozessuale Hinweispflicht gem. § 139 ZPO auch im Verfahren nach dem Zwangsversteigerungsgesetz. Sie erfordert aber nicht allgemeine Ausführungen über die Rechte der Beteiligten, sondern kommt in erster Linie zum Tragen, wenn das Gericht Anlass zu der Annahme hat, dass ein Beteiligter die Rechtslage falsch einschätzt und ihm deshalb ein Rechtsnachteil droht (vgl. BVerfG NJW-RR 2012, 302 Rz. 28; NJW-RR 2005, 936, 937). Für eine Aufklärung des Schuldners über die rechtliche Wirkung seiner Zustimmung zu dem Antrag der Beteiligten zu 2), die beiden Miteigentumshälften nur gemeinsam unter Verzicht auf Einzelausgebote auszubieten, bestand hiernach kein Anlass. Den Feststellungen des Beschwerdegerichts lässt sich nicht entnehmen, dass dem Vollstreckungsgericht Anhaltspunkte vorlagen, die darauf hindeuteten, dem Schuldner könnte der Unterschied zwischen einem Einzelausgebot und einem Gesamtausgebot nicht bekannt gewesen sein oder er könnte sich darüber im Unklaren gewesen sein, dass seine Zustimmung zu dem Antrag der Beteiligten zu 2) das Unterbleiben eines Einzelausgebots zur Folge hat. Ebenso wenig ergibt sich aus den Feststellungen des Beschwerdegerichts, dass der Schuldner irrtümlich davon ausging, seine auf Nachfrage des Vollstreckungsgerichts ausdrücklich erklärte Zustimmung zu einem Verzicht auf ein Einzelausgebot sei rechtlich unbeachtlich, und dass er daher über die Wirkungen eines Verzichts hätte aufgeklärt werden müssen. Soweit das Beschwerdegericht meint, das Vollstreckungsgericht müsse einen Schuldner darüber aufklären, dass das Zwangsversteigerungsgesetz vom Vorrang der Einzelausbietung ausgehe - mithin ein Verzicht auf ein Einzelausgebot ein Abweichen von diesem Grundsatz bedeute -, überspannt es die Aufklärungsanforderungen. Das Vollstreckungsgericht muss dem Schuldner vor Abgabe einer Verzichtserklärung i.S.d. § 63 Abs. 4 ZVG nicht die Systematik der gesetzlichen Regelung erläutern.
IV.
Rz. 12
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Die Beteiligten in dem Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde stehen sich grundsätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüber (BGH, Beschl. v. 14.7.2011 - V ZB 25/11, juris Rz. 11, insoweit nicht abgedruckt in NJW-RR 2011, 1434; Beschl. v. 25.1.2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378, 381 Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 13
Der Gegenstandswert bestimmt sich nach dem Wert des Zuschlags §§ 54 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Die Wertfestsetzung für die Vertretung der Beteiligten beruht auf § 26 Nr. 1 RVG (Beteiligte zu 2) bzw. auf § 26 Nr. 2 RVG (Beteiligte zu 4 und 5).
Fundstellen
Haufe-Index 5950904 |
NJW 2013, 8 |
EBE/BGH 2013 |
NJW-RR 2014, 63 |
WM 2013, 2324 |
ZfIR 2014, 257 |
ZfIR 2014, 28 |
JZ 2014, 109 |
MDR 2014, 50 |
NZI 2013, 1048 |
Rpfleger 2014, 95 |
FoVo 2014, 36 |
GuT 2013, 151 |
NJW-Spezial 2014, 2 |