Leitsatz (amtlich)
Die Träger der Sozialhilfe sind in streitigen Verfahren vor den ordentlichen Gerichten von den Gerichtskosten befreit, wenn das Verfahren einen engen, sachlichen Zusammenhang mit ihrer gesetzlichen Tätigkeit als Sozialhilfeträger hat.
Normenkette
SGB X § 64 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Beschluss vom 21.06.2002; Aktenzeichen 12 U 83/99) |
LG Hamburg (Beschluss vom 12.06.1998; Aktenzeichen 303 O 56/98) |
Nachgehend
Tenor
Die Erinnerung der Klägerin gegen die Kostenrechnung des BGH - Kassenzeichen 780051022014 - wird als unbegründet zurückgewiesen.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die gem. § 5 Abs. 1 S. 1 GKG a.F., § 72 Nr. 1 GKG n.F. statthafte Erinnerung der Klägerin v. 18.7.2005 ist unbegründet.
1. Ob und in welchem Umfang nach § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X, auf den sich die Klägerin beruft, die Träger der Sozialhilfe im streitigen Verfahren vor den ordentlichen Gerichten von den Gerichtskosten befreit sind, ist streitig.
Während teilweise angenommen wird, für Träger der Sozialhilfe bestehe nach dieser Bestimmung umfassende persönliche Kostenfreiheit (OLG München, Beschl. v. 18.7.1995 - 11 W 1440/95, MDR 1995, 1072), sind andere OLG der Auffassung, aus dieser Vorschrift lasse sich für streitige Verfahren vor den Zivilgerichten überhaupt keine Kostenfreiheit ableiten (OLG Stuttgart ZfSch 1989, 197; OLG Zweibrücken KostRspr Nr. 24 zu § 2 GKG; OLG Düsseldorf v. 30.8.1994 - 10 W 99/94, OLGReport Düsseldorf 1995, 116 = MDR 1995, 102). Nach einer vermittelnden Ansicht findet die Vorschrift zwar auf streitige Verfahren vor den Zivilgerichten Anwendung, wenn die Ansprüche nach § 90 BSHG übergeleitet (OLG Düsseldorf v. 11.5.1999 - 10 W 48/99, OLGReport Düsseldorf 2000, 315 = NJW-RR 1999, 1669; OLG Zweibrücken v. 6.12.1995 - 4 W 71/95, MDR 1996, 208) oder nach § 91 BSHG übergegangen sind (OLG Düsseldorf v. 8.6.1999 - 10 WF 16/99, OLGReport Düsseldorf 1999, 497) oder wenn ein untrennbarer Sachzusammenhang zwischen öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit einerseits und dem konkreten Zivilrechtsstreit andererseits besteht (OLG Düsseldorf v. 6.4.2004 - I-10 W 129/03, OLGReport Düsseldorf 2004, 498), nicht aber bei kraft Gesetzes übergegangenen bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzansprüchen (OLG Düsseldorf v. 30.8.1994 - 10 W 99/94, OLGReport Düsseldorf 1995, 116 = MDR 1995, 102).
2. Nach § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X sind die Träger der Sozialhilfe "in Verfahren nach der Zivilprozessordnung" von den Gerichtskosten befreit. Dabei können schon dem Wortlaut nach nicht lediglich Verwaltungsverfahren der Sozialverwaltung gemeint sein, auf die die Vorschriften der ZPO anwendbar sind. Die entsprechende Meinung, die sich insb. auf den Regelungszusammenhang und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift stützt, findet dort keine Grundlage. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 SGB X gelten die Vorschriften des Kapitels 1 des SGB X, zu dem auch § 64 SGB X gehört, für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden nach diesem Gesetzbuch. Dies schließt es aber nicht aus, dass dort auch eine Annex-Regelung für die Kosten getroffen wird, die diesen Behörden in anderen Verfahren entstehen. Solche Regelungen enthält § 64 SGB X zweifelsfrei in Abs. 2 S. 2 (von Wulffen, SGB X; 5. Aufl., § 64 Rz. 12) oder in Abs. 3 S. 2 bezüglich der Verfahren vor Gerichten der Sozial- und FGbarkeit. Aus der Entstehungsgeschichte des § 64 SGB X ergibt sich nichts für die genannte enge Auslegung. Die Begründung des § 62 Abs. 3 S. 2 des Regierungsentwurfs für das SGB X, der unverändert als § 64 Abs. 3 S. 2 Gesetz geworden ist, enthält zu dieser Vorschrift keine besonderen Ausführungen. Sie nimmt lediglich darauf Bezug, dass die Vorschrift unter Zugrundelegung des § 118 BSHG die verschiedenen Kostenvorschriften zusammenfasse (BT-Drucks. 8/2034, 36 zu § 62). Bereits in § 118 BSHG in der bis zum In-Kraft-Treten des SGB X am 1.1.1981 geltenden Fassung war bestimmt, dass im Verfahren nach der Zivilprozessordnung (sowie in anderen Verfahren) die Träger der Sozialhilfe von den Gerichtskosten befreit sind. Eine Änderung ist deshalb insoweit nicht eingetreten. Soweit das OLG Stuttgart auf die Rechtslage vor dem In-Kraft-Treten des SGB X abstellt, betrifft dies Sozialversicherungsträger, die von der Regelung des § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X nicht erfasst werden.
Hieraus ergibt sich, dass § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X den Trägern der Sozialhilfe Kostenfreiheit in Verfahren vor den Zivilgerichten einräumt (Hauck/Noftz, SGB X, § 64 Rz. 12; Pickel/Marschner, SGB X, § 64 Rz. 20; von Wulffen, SGB X, 5. Aufl., § 64 Rz. 18).
3. Gleichwohl kann der Auffassung des OLG München (OLG München, Beschl. v. 18.7.1995 - 11 W 1440/95, MDR 1995, 1072) nicht gefolgt werden, wonach für die Träger der Sozialhilfe nach § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X eine umfassende persönliche Kostenfreiheit besteht. Dies würde zu einer generellen Kostenfreiheit der Sozialhilfeträger vor den Zivilgerichten führen, was nicht das Anliegen von § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X sein kann (Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl., § 2 GKG Rz. 13, Stichwort Sozialleistung; BVerwG NVwZ-RR 2000, 189; OLG Düsseldorf v. 11.5.1999 - 10 W 48/99, OLGReport Düsseldorf 2000, 315 = NJW-RR 1999, 1669; OLG Düsseldorf v. 6.4.2004 - I-10 W 129/03, OLGReport Düsseldorf 2004, 498).
Sinn und Zweck der Vorschrift setzen voraus, dass das konkrete Verfahren vom Träger der Sozialhilfe gerade in dieser Eigenschaft geführt wird. Das Verfahren muss also einen engen sachlichen Zusammenhang zur gesetzlichen Tätigkeit als Sozialhilfeträger haben.
Dies ist etwa dann der Fall, wenn nach § 91 BSHG übergegangene (OLG Düsseldorf v. 8.6.1999 - 10 WF 16/99, OLGReport Düsseldorf 1999, 49), nach § 90 BSHG übergeleitete (OLG Düsseldorf v. 11.5.1999 - 10 W 48/99, OLGReport Düsseldorf 2000, 315 = NJW-RR 1999, 1669; OLG Zweibrücken v. 6.12.1995 - 4 W 71/95, MDR 1996, 208) oder gem. § 116 SGB X übergegangene Ansprüche geltend gemacht werden.
4. Ein solcher enger sachlicher Zusammenhang bestand im Ausgangsverfahren, in dem die Klägerin, die für Frau S. Sozialhilfeleistungen erbringt, aus übergegangenem Recht von deren geschiedenen Ehemann Unterhalt verlangte. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten wegen Verletzung von Anwaltspflichten im Ausgangsverfahren auf Schadensersatz in Anspruch. Dieser Regressanspruch weist mit der Tätigkeit der Klägerin als Sozialhilfeträger nicht mehr den erforderlichen Zusammenhang auf. Vergleichbare Ansprüche können sich aus Anwaltsverträgen mit beliebigem Inhalt ergeben. Eine Kostenfreiheit besteht deshalb nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 1474844 |
BGHR 2006, 271 |
FamRZ 2006, 411 |
NJW-RR 2006, 717 |
JurBüro 2006, 206 |
MDR 2006, 715 |
AGS 2006, 251 |