Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Beschluss vom 27.02.2013; Aktenzeichen 7 S 41/12) |
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 26.04.2013; Aktenzeichen 2-13 S 47/13) |
AG Wiesbaden (Entscheidung vom 29.10.2012; Aktenzeichen 93 C 6606/11 (78)) |
Tenor
Die Verfahren über die Rechtsbeschwerden des Beklagten gegen die Beschlüsse der 7. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 27. Februar 2013 (V ZB 34/13) und der 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. April 2013 (V ZB 78/13) werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden; das Verfahren V ZB 34/13 führt.
Auf die Rechtsbeschwerden des Beklagten werden die vorbezeichneten Beschlüsse aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der verbundenen Rechtsbeschwerdeverfahren, an das Landgericht Wiesbaden zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt einheitlich 4.600 EUR.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Räumung und Herausgabe des näher bezeichneten größeren Teils eines Raums im Keller der Anlage, der ihm nach seiner Ansicht in der Teilungserklärung in diesem Umfang mit seinem Sondereigentum als Abstellraum zugewiesen ist, Verschaffung eines dauerhaften Zugangs zu diesem Raum sowie Zahlung von 600 EUR Nutzungsentgelt für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2008 nebst Zinsen. Der Beklagte beansprucht den gesamten Raum für sich und gewährt dem Kläger keinen Zugang. Das Amtsgericht hat den Beklagten mit diesem am 2. November 2012 zugestelltem Urteil unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Räumung und Herausgabe des beanspruchten Teils des Kellerraums sowie zur Zahlung des Nutzungsentgelts nebst Zinsen verurteilt. Dagegen hat der Beklagte bei dem Landgericht Wiesbaden mit am 30. November 2012 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Das Landgericht Wiesbaden hat die Berufung mangels fristgerechter Einlegung bei dem für Wohnungseigentumssachen zuständigen Landgericht Frankfurt am Main durch dem Beklagten am 8. März 2013 zugestellten Beschluss als unzulässig verworfen. Der Beklagte hat daraufhin mit am 11. März 2013 eingegangenem Schriftsatz bei dem Landgericht Frankfurt am Main erneut Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Das Landgericht Frankfurt am Main hat die Berufung seinerseits mangels Zuständigkeit als unzulässig verworfen. Mit Rechtsbeschwerden gegen beide Beschlüsse möchte der Beklagte eine Sachentscheidung über seine Berufung erreichen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 2
Das Landgericht Wiesbaden hält sich für unzuständig, weil es sich bei dem Streit über die Zuordnung des Abstellraums im Keller der Wohnungseigentumsanlage eine um Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG handele. Hierfür sei nach § 72 Abs. 2 GVG das Landgericht Frankfurt am Main als das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständige Landgericht zuständig. Dieses wiederum verweist auf das Urteil des Senats vom 30. Juni 1995 (V ZR 118/94, BGHZ 130, 159, 164), wonach ein Streit über den Gegenstand und den Umfang des Sondereigentums keine Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG sei und deshalb von dem allgemein für die Berufung zuständigen Landgericht, hier dem Landgericht Wiesbaden, zu entscheiden sei.
III.
Rz. 3
Die verbundenen Rechtsmittel des Beklagten haben Erfolg.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerden sind nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts über beide Rechtsbeschwerden ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Das zuerst angerufene, allgemein für die Berufung zuständige Landgericht Wiesbaden hat nicht erkannt, dass der Streit um den Umfang des Sondereigentums nach der Rechtsprechung des Senats keine Wohnungseigentumssache nach § 43 Nr. 1 WEG ist (vgl. Urteil vom 30. Juni 1995 – V ZR 118/94, BGHZ 130, 159, 164 f.). Das als zweites angerufene, für Wohnungseigentumssachen zuständige Landgericht Frankfurt am Main hat die Berufung verworfen, obwohl sie bei dem nach seiner Ansicht zuständigen Landgericht Wiesbaden form- und fristgerecht eingelegt und begründet und über die Verwerfung noch nicht rechtskräftig entschieden worden war. Es hat dadurch dem Beklagten den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwert (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 – V ZB 193/10, NZM 2011, 488 Rn. 7 mwN).
Rz. 5
2. Die Rechtsbeschwerden sind auch begründet. Die Berufung des Beklagten durfte nicht nach § 522 Abs. 1 ZPO verworfen werden, weil sie bei dem zuerst angerufenen Landgericht Wiesbaden form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist.
Rz. 6
a) Das Landgericht Wiesbaden ist für die Entscheidung über die Berufung zuständig, weil der Streit der Parteien keine Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG ist.
Rz. 7
aa) Zu den Wohnungseigentumssachen gehören nach dieser Vorschrift Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander. Hier streiten die Parteien nicht um die Ausübung ihrer Rechte aus dem Sondereigentum oder um die Nutzung des Gemeinschaftseigentums, sondern darüber, ob der streitige Teil des Kellers im Sondereigentum des Klägers oder in dem des Beklagten steht. Das Sondereigentum ist indes kein Recht aus dem Gemeinschaftsverhältnis, sondern Teil seiner sachenrechtlichen Grundlagen.
Rz. 8
bb) Der Streit über die sachenrechtlichen Grundlagen der Wohnungseigentümergemeinschaft gehört nach der Rechtsprechung des Senats nicht zu den Wohnungseigentumssachen nach § 43 Nr. 1 WEG; er ist vielmehr eine allgemeine Zivilsache (Urteile vom 30. Juni 1995 – V ZR 118/94, BGHZ 130, 159, 164 f., vom 26. Oktober 2012 – V ZR 57/12, ZfIR 2013, 377 Rn. 8 und vom 19. Dezember 2013 – V ZR 96/13, ZfIR 2014, 255 Rn. 6). Dafür macht es keinen Unterschied, ob abstrakt über den Inhalt des Sondereigentums gestritten wird oder über die sich aus dem Sondereigentum ergebenden Ansprüche (Urteil vom 30. Juni 1995 – V ZR 118/94, BGHZ 130, 159, 164 f.). Diese Rechtsprechung hat fast einhellige Zustimmung gefunden (KG, NJW-RR 2002, 590; OLG Köln, ZWE 2011, 222; OLG Stuttgart, OLGR 2001, 295, 296; Bamberger/Roth/Scheel, BGB, 3. Aufl., § 43 WEG Rn. 11; Klein in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 43 Rn. 55; Erman/Grziwotz, BGB, 14. Aufl., § 43 WEG Rn. 3; Jennißen/Suilmann, WEG, 4. Aufl., § 43 Rn. 11; JurisPK/Reichel-Scherer, BGB, 7. Aufl., § 43 WEG Rn. 21; MüKoBGB/Engelhardt, 6. Aufl., § 43 WEG Rn. 6; Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 11. Aufl., § 43 Rn. 56; NK-BGB/Heinemann, 2. Aufl., § 43 WEG Rn. 3; Riecke/Schmid/Abramenko, WEG, 4. Aufl., § 43 Rn. 10; Sauren, WEG, 6. Aufl., § 43 Rn. 7; Spielbauer/Then, WEG, 2. Aufl., § 43 Rn. 9 f. – Stichwort sachenrechtliche Grundlagen; Staudinger/Wenzel, BGB [2005], § 43 WEG Rn. 20; Greiner, Wohnungseigentumsrecht, 3. Aufl., Rn. 1732; aM: Timme/Elzer, WEG, 2. Aufl., § 43 Rn. 139 – Stichwort: sachenrechtliche Grundlagen; Weitnauer/Mansel, WEG 9. Aufl., § 43 Rn. 8 Abs. 2). Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung, die Anlass geben könnten, die Rechtsprechung zu überdenken, haben sich auch nach der Umstellung des Verfahrens in Wohnungseigentumssachen auf das Verfahren nach der Zivilprozessordnung und nach der Verlagerung der Rechtsmittelzuständigkeit auf die in § 72 Abs. 2 GVG bezeichneten Landgerichte nicht ergeben.
Rz. 9
b) Das nach der Verwerfung der zuerst eingereichten Berufung als zweites angerufene, für Wohnungseigentumssachen zuständige Landgericht Frankfurt am Main war für die Entscheidung über die Berufung zwar nicht zuständig. Es durfte sie aber dennoch nicht verwerfen.
Rz. 10
aa) Dem Beklagten steht gegen das Urteil des Amtsgerichts ein einziges Rechtsmittel, nämlich die Berufung zu. Auch wenn er dieses Rechtsmittel mehrmals und bei verschiedenen Gerichten einlegt, ändert das nichts daran, dass es sich um ein einheitliches Rechtsmittel handelt. Dieses einheitliche Rechtsmittel darf nur verworfen werden, wenn keine der Einlegungen erfolgreich war.
Rz. 11
bb) Das später angerufene Gericht darf deshalb eine mehrfach eingelegte Berufung nicht schon dann verwerfen, wenn sie bei ihm selbst nicht form- und fristgerecht eingelegt worden ist. Es muss vielmehr prüfen, ob eine frühere Einlegung der Berufung erfolgreich war. Vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die erste Einlegung der Berufung durfte es über die zweite Einlegung jedenfalls nicht entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1966 – IV ZR 86/65, BGHZ 45, 380, 383).
Unterschriften
Stresemann, Schmidt-Räntsch, Roth, Brückner, Göbel
Fundstellen