Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsversteigerungsverfahren. Schuldnerschutzantrag. Gefahr der Selbsttötung. Insolvenz des Schuldners. zur Masse gehörendes Grundstück
Leitsatz (redaktionell)
Zur Verpflichtung des Vollstreckungsgerichts, einen mit der Gefahr der Selbsttötung begründeten Schutzantrag eines in Insolvenz befindlichen Schuldners auch in Bezug auf ein zur Masse gehörendes Grundstück zu prüfen.
Normenkette
ZPO § 765a; GG Art. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 10. September 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Essen vom 11. Juli 2008 (183 K 30/04) wird bis zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde der Schuldnerin gegen den Zuschlagsbeschluss eingestellt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 440 000,00 EUR.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Schuldnerin ist Eigentümerin des im Eingang des Beschlusses bezeichneten Grundstücks. Auf Antrag der Beteiligten zu 3 wurde im Jahre 2004 die Zwangsversteigerung angeordnet. Die Beteiligten zu 4 und zu 5 sind dem Verfahren als weitere Gläubiger beigetreten. Im Verlauf des Zwangsversteigerungsverfahrens wurde im Dezember 2007 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beteiligte zu 2 zum Insolvenzverwalter ernannt.
Rz. 2
Das Versteigerungsgericht hat nach einem am 11. Juli 2008 durchgeführten Versteigerungstermin das Grundstück mit Beschluss vom gleichen Tage den Beteiligten zu 6 als Meistbietenden zugeschlagen. Gegen den Zuschlagsbeschluss hat die Schuldnerin Beschwerde eingelegt, die sie unter Hinweis auf ein von ihr vorgelegtes nervenfachärztliches Attest mit einer akuten Gefahr der Selbsttötung begründet hat.
Rz. 3
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, das Landgericht hat sie als unzulässig zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer vom dem Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
Das Beschwerdegericht meint, dass die Schuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen nicht mehr aus eigenem Recht befugt sei, einen Schuldnerschutzantrag nach § 765a ZPO in Bezug auf ein zur Masse gehörendes Grundstück zu stellen, auch wenn der Antrag mit der Gefahr der Selbsttötung begründet sei.
III.
Rz. 5
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 96 ZVG statthafte und nach § 575 ZPO im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Rz. 6
1. Der Senat hat mit Beschluss vom 18. Dezember 2008 (V ZB 57/08, WM 2009, 358 ff.; ebenso: Beschl.v. 22. Januar 2009, V ZB 181/08, Rz. 5) entschieden, dass mit dem durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 80 Abs. 1 InsO eintretenden Verlust des Rechts des Schuldners, das zur Masse gehörende Vermögen zu verwalten, zwar auch dessen Befugnis erlischt, Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts im Zwangsversteigerungsverfahren anzufechten (Senat, Beschl.v. 18. Oktober 2007, V ZB 141/06, ZfIR 2008, 150; Beschl.v. 29. Mai 2008, V ZB 3/08, WM 2008, 1789). Das gilt jedoch nur, soweit es um dessen Vermögen geht; davon unberührt bleibt die Befugnis, Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO wegen der Gefahr der Selbsttötung des Schuldners oder eines nahen Angehörigen zu beantragen, weil nur so dem Bedeutungsgehalt des Grundrechts auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Rechnung getragen werden kann (Senat, Beschl.v. 18. Dezember 2008, V ZB 57/08, WM 2009, 358, 359; ebenso für das Insolvenzverfahren: BGH, Beschl.v. 16. Oktober 2008, IX ZR 77/08, NJW 2009, 78, 79). Zur weiteren Begründung wird auf diese Entscheidungen Bezug genommen.
Rz. 7
Der angefochtene Beschluss ist danach aufzuheben, da das Beschwerdegericht – aus seiner Sicht folgerichtig – den von der Schuldnerin mit der Gefahr der Selbsttötung begründeten Einstellungsantrag nach § 765a ZPO sachlich nicht geprüft hat. Das wird nachzuholen sein, wobei das Beschwerdegericht nicht nur die Schuldnerin, sondern – wie von dem Senat für das Rechtsbeschwerdeverfahren bereits durchgeführt – auch die das Verfahren betreibenden Gläubiger, die Ersteher und den Insolvenzverwalter der Schuldnerin an dem Beschwerdeverfahren zu beteiligen hat.
Rz. 8
2. Da aus dem Zuschlagsbeschluss bereits vor dem Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden kann (Böttcher, ZVG, 4. Aufl., § 93 Rdn. 2; Stöber, ZVG, § 93 Rdn. 2.1) und die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt, ist die Aussetzung der Vollstreckung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts gemäß §§ 575 Abs. 5, 570 Abs. 3 ZPO durch das Rechtsbeschwerdegericht auszusprechen (vgl. Senat, Beschl.v. 18. Dezember 2008, V ZB 57/08, WM 2009, 358, 360 m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 2833254 |
WuM 2009, 314 |
ZInsO 2009, 1029 |
Info M 2009, 398 |