Leitsatz (amtlich)
a) Die Haftgerichte haben bei der Anordnung von Zurückweisungshaft nicht zu prüfen, ob dem Ausländer aufgrund des Asylgesetzes der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist.
b) Bei der von Verfassungs wegen gebotenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Zurückweisungshaft haben die Haftgerichte von der Entschließung der beteiligten Behörde auszugehen, die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung durch Abschiebung des Ausländers in sein Heimatland oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat zu vollziehen. Ob diese Entscheidung sachlich richtig ist, haben nicht die Haftgerichte, sondern die VG zu prüfen.
Normenkette
AufenthG § 15 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Traunstein (Beschluss vom 14.11.2016; Aktenzeichen 4 T 3700/16) |
AG Mühldorf a. Inn (Entscheidung vom 18.10.2016; Aktenzeichen 1 XIV 121/16) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Traunstein vom 14.11.2016 wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Dolmetscherkosten nicht zu erheben sind.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene, ein burkinischer Staatsangehöriger, reiste 2015 nach Deutschland und stellte dort am 17.9.2015 einen Asylantrag, den das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 27.7.2016 als offensichtlich unbegründet ablehnte. Es forderte den Betroffenen auf, Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen, und drohte ihm die Abschiebung nach Burkina Faso an. Dieser Bescheid ist nach der Abschlussmitteilung des BAMF vom 5.9.2016 seit dem 10.8.2016 unanfechtbar.
Rz. 2
Am 2.10.2016 wurde der Betroffene in einem Zug auf der Fahrt von Österreich nach Deutschland bei der Grenzkontrolle von Beamten der beteiligten Behörde vorläufig festgenommen, weil er keine gültigen Papiere bei sich führte. Mit Bescheid vom gleichen Tag wurde ihm die Einreise in das Bundesgebiet verweigert. Gegen ihn wurde durch einstweilige Anordnungen des für den Festnahmeort zuständigen AG vom 3. und 12.10.2016 Haft zur Sicherung seiner Zurückweisung durch Abschiebung nach Burkina Faso bis längstens 18.10.2016 anordnet. Die für den 17.10.2016 geplante Abschiebung scheiterte, da sich der Betroffene an der Flugzeugtür weigerte, in das Flugzeug einzusteigen, und der Pilot daraufhin die Mitnahme des Betroffenen ablehnte.
Rz. 3
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das (für den Haftort zuständige) AG die Sicherungshaft im ordentlichen Verfahren bis zum 25.11.2016 verlängert. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das LG die Haft unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels bis zum 19.11.2016 begrenzt. Der Betroffene ist am 18.11.2016 begleitet nach Burkina Faso abgeschoben worden. Mit der Rechtsbeschwerde strebt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft an.
II.
Rz. 4
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts durfte das AG gegen den Betroffenen (weitere) Zurückweisungshaft gem. § 15 Abs. 5 AufenthG anordnen, da er gem. § 13 Abs. 2 Satz 2 AufenthG rechtlich noch nicht nach Deutschland eingereist sei. Bei der Anordnung von Zurückweisungshaft komme es nicht darauf an, ob er vollziehbar ausreisepflichtig sei. Es könne deshalb auch dahinstehen, ob und wann ihm der Bescheid des BAMF wirksam zugestellt worden sei.
Rz. 5
Die Anordnung der Zurückweisungshaft sei rechtmäßig. Ihr habe ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Die Staatsanwaltschaft habe der geplanten Zurückweisung zugestimmt. Die beteiligte Behörde habe am 2.10.2016 eine Einreiseverweigerung ausgesprochen. Die gegen diese erhobenen formellen Einwände des Betroffenen seien unbegründet. Er habe keinen Aufenthaltstitel für Deutschland und dürfe auch aufgrund seines in Italien bestehenden Aufenthaltsrechts zu Erwerbszwecken nicht nach Deutschland einreisen. Die Haft sei verhältnismäßig, da die Zurückweisung des Betroffenen nach Burkina Faso nicht unmittelbar durchführbar sei. Mildere Mittel stünden nicht zur Verfügung. Allerdings sei die Haft auf den 19.11.2016 zu begrenzen, da der Betroffene am 18.11.2016 nach Burkina Faso begleitet abgeschoben werden solle.
III.
Rz. 6
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 7
1. Entgegen der Ansicht des Betroffenen ist die Haftanordnung nicht deshalb rechtswidrig, weil, wie er meint, der Bescheid des BAMF vom 27.7.2016 über die Ablehnung seines Asylantrags nicht wirksam bekannt gemacht worden, ihm als Folge dessen weiterhin gem. § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet gewesen sei und er deshalb nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht habe zurückgewiesen werden dürfen. Die Haftgerichte haben bei der Anordnung von Zurückweisungshaft nicht zu prüfen, ob dem Ausländer aufgrund des Asylgesetzes der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist.
Rz. 8
a) Nach der Rechtsprechung des Senats darf zwar Haft zur Sicherung einer Zurückschiebung nicht angeordnet werden, solange einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nach § 55 Abs. 1 AsylG der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist (Beschl. v. 25.2.2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150 Rz. 20). Das beruht aber darauf, dass die Zurückschiebung eine Maßnahme zur Durchsetzung der Ausreisepflicht ist. Sie setzt eine unerlaubte Einreise des Ausländers in das Bundesgebiet und dessen vollziehbare Pflicht zur Ausreise voraus (Bergmann/Dienelt/Winkelmann, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 57 AufenthG Rz. 3, 11; Kluth/Heusch/Kluth, Ausländerrecht, § 57 AufenthG Rz. 10 f., 21). Die Haftgerichte haben deshalb bei der Anordnung von Zurückschiebungshaft das Entstehen der Ausreisepflicht und in diesem Rahmen auch zu prüfen, ob dem Ausländer aufgrund eines gestellten Asylantrags nach § 55 Abs. 1 AsylG der Aufenthalt im Bundesgebiet (noch) gestattet ist.
Rz. 9
b) Das ist bei der Einreiseverweigerung gem. Art. 14 Schengener Grenzkodex (SGK) ebenso wie bei der Zurückweisung nach § 15 AufenthG (oder § 18 Abs. 2 AsylG) anders.
Rz. 10
aa) Diese Maßnahmen dienen nicht der Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers, sondern dazu, schon dessen (unerlaubte) Einreise in das Bundesgebiet und so zu verhindern, dass die Ausreisepflicht erst entsteht und dann gegen ihn durchgesetzt werden muss. Damit dient auch die Haft zur Sicherung einer Zurückweisung oder Einreiseverweigerung nicht der Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers, sondern der Sicherung des Vollzugs der Einreiseverweigerung oder der Zurückweisung an der Grenze. Die Haftgerichte haben deshalb bei der Anordnung von Zurückweisungshaft nur den Erlass und den Fortbestand einer solchen Entscheidung, nicht dagegen zu prüfen, ob dem Ausländer der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist.
Rz. 11
bb) Daran ändert es nichts, dass die Grenzbehörde einen Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG an der Grenze nicht zurückweisen darf, solange ihm der Aufenthalt im Bundesgebiet nach den Vorschriften des Asylgesetzes gestattet ist. Hierbei handelt es sich nämlich um eine gewissermaßen negative Voraussetzung der Zurückweisung bzw. - nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 SGK i.V.m. § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG - der Einreiseverweigerung; sie betrifft damit deren Rechtmäßigkeit. Diese Prüfung ist nach der Aufgabenverteilung zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der ordentlichen Gerichtsbarkeit aber allein Aufgabe der VG. Die Haftgerichte haben deshalb vorbehaltlich abweichender Entscheidungen der VG von der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung oder Einreiseverweigerung auszugehen (BGH, Beschlüsse v. 16.12.2009 - V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50 f. [Rz. 12]; v. 30.6.2011 - V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315 Rz. 21 für die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung nach § 18 Abs. 2 AsylG und Beschluss vom 20.9.2017 - V ZB 118/17, NVwZ 2018, 349 Rz. 18 für die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung nach Art. 14 SGK, § 15 AufenthG).
Rz. 12
2. Die Anordnung der Zurückweisungshaft ist nicht deshalb unverhältnismäßig, weil der Betroffene statt in sein Heimatland, in das er zurückgewiesen werden sollte, aufgrund einer Erwerbserlaubnis möglicherweise auch nach Italien hätte zurückgewiesen werden können.
Rz. 13
Bei der von Verfassungs wegen gebotenen (vgl. BVerfG, InfAuslR 1994, 342, 344; 2008, 358, 359 für die Abschiebungshaft und für die Verbringungshaft nach § 57 Abs. 2 AsylG; BGH, Beschl. v. 17.6.2010 - V ZB 127/10, NVwZ 2010, 1318 Rz. 26 für die Zurückschiebung und Beschl. v. 30.10.2013 - V ZB 90/13, Asylmagazin 2014, 57 = juris Rz. 9 für den Transitaufenthalt) Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Zurückweisungshaft haben die Haftgerichte von der Entschließung der beteiligten Behörde auszugehen, die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung durch Abschiebung des Ausländers in sein Heimatland oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat zu vollziehen (vgl. Senat, Beschl. v. 17.6.2016 - V ZB 13/10, juris Rz. 17 für die Zurückschiebung). Ob diese Entscheidung sachlich richtig ist, haben nicht die Haftgerichte, sondern die VG zu prüfen (vgl. BGH, Beschlüsse v. 16.12.2009 - V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50 Rz. 12; v. 30.6.2011 - V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315 Rz. 26; v. 20.9.2017 - V ZB 118/17, NVwZ 2018, 349 Rz. 18).
Rz. 14
Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hat sich die beteiligte Behörde hier in Abstimmung mit dem Bundesamt entschlossen, die dem Betroffenen erteilte Einreiseverweigerung durch die aufgrund des Bescheids über die Zurückweisung seines Asylantrags ohnehin geplante Abschiebung in sein Heimatland zu vollziehen. Von dieser Vollzugsentschließung war für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auszugehen. Die von dem Beschwerdegericht auf dieser Grundlage vorgenommene tatrichterliche Würdigung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt überprüfbar und in diesem Rahmen nicht zu beanstanden.
Rz. 15
3. Von einer weiteren Begründung wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 11781195 |
NVwZ 2018, 1583 |
NVwZ 2018, 9 |
FGPrax 2018, 182 |
InfAuslR 2018, 337 |
JZ 2018, 471 |
ZAR 2019, 164 |