Leitsatz (amtlich)
Beruft sich der Schuldner im Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach der Verordnung auf nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, die weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sind, so wird er damit nicht gehört (Anschluss an EuGH NJW 2011, 3506).
Normenkette
AVAG § 12 Abs. 1; Brüssel I-VO Art. 34; Brüssel I-VO §§ 35, 45
Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 01.09.2011; Aktenzeichen 25 W 1212/11) |
LG München II (Entscheidung vom 16.03.2011; Aktenzeichen 12 O 1178/11) |
Tenor
Dem Antragsgegner wird für das Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 25. Zivilsenats des OLG München vom 1.9.2011 Prozesskostenhilfe ohne Eigenbeitrag bewilligt.
Ihm werden die Rechtsanwälte P. beigeordnet.
Seine Rechtsbeschwerde gegen den genannten Beschluss wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 24.300 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragstellerin erwirkte gegen den Antragsgegner ein vollstreckbares Urteil des AG Prag 10 vom 27.2.2009, durch das dieser verurteilt wurde, an sie 600.000 Tschechische Kronen nebst Zinsen zu zahlen. Am 20.8.2010 verkaufte sie ihre Forderung an einen Dritten. In der Folge stritten die Parteien, ob die Antragstellerin noch Forderungsinhaberin ist.
Rz. 2
Auf ihren Antrag hat das LG München II angeordnet, dass das Urteil des AG Prag 10 vom 27.2.2009 mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Die sofortige Beschwerde des Antraggegners hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte dieser die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erreichen. Weiter begehrt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 15 AVAG, Art. 44 EuGVVO statthaft, sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 55 Abs. 2 AVAG). Sie ist in der Sache jedoch unbegründet.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Ein nach Rechtskraft der zu vollstreckenden Entscheidung eingetretener Forderungsübergang sei gem. § 12 Abs. 1 AVAG im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen, soweit der zugrunde liegende Sachverhalt unstreitig sei. Das Verbot der "révision au fond" stehe der Berücksichtigung im Vollstreckbarkeitsverfahren nicht entgegen, weil die Berücksichtigung eines nachträglichen Forderungsübergangs die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht beträfe. Zwischen den Parteien sei jedoch streitig, ob die Antragstellerin noch oder wieder Inhaberin der streitgegenständlichen Forderung sei. Diese habe jedenfalls schlüssig vorgetragen, dass es zu einer Rückübertragung der streitgegenständlichen Forderung gekommen sei. Damit sei die Behauptung des Antraggegners, die Antragstellerin sei nicht mehr aktiv legitimiert, nicht unstreitig und damit nicht berücksichtigungsfähig.
Rz. 5
2. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts halten rechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 6
a) Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen ist der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass das tschechische Zahlungsurteil auf der Grundlage von Art. 38 ff. der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (fortan: EuGVVO oder Verordnung) i.V.m. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 2, 55 AVAG in Deutschland vollstreckt werden kann. Die Voraussetzungen gem. Art. 40, 41, 53 EuGVVO liegen vor (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2007 - XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 Rz. 15); Anerkennungshindernisse nach Art. 34 und 35 EuGVVO (Art. 45 EuGVVO) macht der Antragsgegner nicht geltend und sind auch nicht ersichtlich.
Rz. 7
b) Gemäß § 12 Abs. 1 AVAG kann der Schuldner mit der Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung in Deutschland aus einem ausländischen Titel auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sind. Nach § 14 Abs. 1 AVAG kann der Schuldner, wenn die Zwangsvollstreckung in Deutschland aus dem ausländischen Titel zugelassen ist, Einwendungen gegen den Anspruch selbst nach § 767 ZPO nur geltend machen, wenn die Gründe, auf denen seine Einwendungen beruhen, entweder nach Ablauf der Beschwerdefrist entstanden oder, falls die Beschwerde eingelegt worden ist, nach Beendigung dieses Verfahrens entstanden sind. Die Anwendung dieser beiden Regelungen ist durch § 55 AVAG für den Bereich der Verordnung nicht ausgeschlossen.
Rz. 8
Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur streitig, ob § 12 AVAG im Vollstreckbarerklärungsverfahren auf der Grundlage der Verordnung bei "nicht liquiden", d.h. bei streitigen oder nicht rechtskräftig festgestellten Einwendungen anwendbar ist. Nach Auffassung des Senats ist die Frage zu verneinen.
Rz. 9
aa) Der BGH hat entschieden, dass der Schuldner im Beschwerdeverfahren gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem ausländischen Titel ggf. rechtskräftige oder unbestrittene ("liquide") Einwendungen geltend machen kann (BGH, Beschl. v. 14.3.2007 - XII ZB 174/04, BGHZ 171, 310 Rz. 26 ff.; v. 12.12.2007 - XII ZB 240/05, a.a.O., Rz. 42). Das Verbot der Nachprüfung in der Sache (Art. 45 Abs. 2 EuGVVO) stehe nicht entgegen, weil es um die Behandlung von nachträglichen rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einwendungen gehe, die dem Gericht im Ursprungsstaat vor Erlass der Entscheidung nicht zur Überprüfung gestellt hätten werden können (Beschluss vom 14.3.2007, a.a.O., Rz. 27). Die Annahme, dass im Rechtsbehelfsverfahren nach der Verordnung grundsätzlich auch Vollstreckungsgegeneinwände zur Überprüfung gestellt werden könnten, stehe auch im Übrigen im Einklang mit Gemeinschaftsrecht (a.a.O. Rz. 28 ff.).
Rz. 10
bb) Offengelassen hat der BGH die Frage, ob der Kreis der zulässigen Einwendungen nach § 12 AVAG generell auf "liquide" Einwendungen beschränkt werden müsse (Beschluss vom 14.3.2007, a.a.O., Rz. 26).
Rz. 11
Hierzu wird einerseits vertreten, dass § 12 AVAG als gemeinschaftswidrige Norm im Anwendungsbereich der Verordnung nicht anzuwenden sei, weil Art. 45 Abs. 1 EuGVVO den Prüfungsrahmen für das Exequaturgericht in einer abschließenden und keiner ergänzenden Auslegung zugänglichen Weise festlege. Die mit dem Rechtsbehelf nach Art. 43 EuGVVO befassten Gerichte dürften danach ausschließlich die Anerkennungshindernisse nach Art. 34 und 35 EuGVVO, nicht aber materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch prüfen. Diese Einwendungen könnten nur im Wege einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO geltend gemacht werden (vgl. OLG Koblenz OLGReport Koblenz 2005, 276, 277; OLG Oldenburg NJW-RR 2007, 418 f.; Hk-ZPO/Dörner, 4. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rz. 4; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 33. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rz. 3, vgl. auch Rauscher/Mankowski, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 2011, Art. 45 EuGVVO Rz. 5 ff. m.w.N.). Nach dieser Auffassung kann der Einwand des Antraggegners keine Berücksichtigung finden. Zum gleichen Ergebnis kommt die Ansicht, die im Bereich der Verordnung § 12 AVAG einschränkend dahingehend auslegt, dass der Schuldner im Beschwerdeverfahren nur liquide Einwendungen erheben kann (OLG Düsseldorf, NJW-RR 2005, 933, 934 f.; FamRZ 2006, 803, 804; OLG Köln OLGReport Köln 2004, 359, 360; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rz. 7; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 45, Rz. 11; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rz. 14).
Rz. 12
Im Gegensatz dazu ist eine dritte Meinung der Ansicht, dass § 12 AVAG auch im Rechtsbehelfsverfahren nach der Verordnung umfassend Anwendung finde. Zu den nachträglich entstandenen materiell-rechtlichen Einwendungen verhalte sich die EuGVVO nicht, so dass es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleibe, wie sie mit dieser Regelungslücke umgingen und welche Rechtsbehelfe sie dem Schuldner zur Verfügung stellten (vgl. Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rz. 27 f.; Art. 45 EuGVVO Rz. 6; Wagner, IPRax 2002, 75, 83; Roth, JZ 2007, 898 f.).
Rz. 13
cc) Jedenfalls die letztgenannte Auffassung ist überholt. Nunmehr hat der EuGH entschieden (BGH vom 13.10.2011 - C-139/10, NJW 2011, 3506: Prism Investments BV gegen Jaap Arne van de Meer), Art. 45 EuGVVO sei dahin auszulegen, dass er der Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung durch ein Gericht, das über einen Rechtsbehelf gem. Art. 43 oder 44 EuGVVO zu entscheiden habe, aus einem anderen als einem in Art. 34 und 35 EuGVVO genannten Grund entgegenstehe. Geklärt hat der EuGH die Frage für den Einwand der nachträglichen Erfüllung durch Aufrechnung; für den Verlust der Aktivlegitimation durch Abtretung kann nichts anderes gelten.
Rz. 14
(1) Zur Begründung hat der EuGH ausgeführt, das Vollstreckbarerklärungsverfahren umfasse nur eine "einfache formale Prüfung der Schriftstücke" (Rz. 28, 42), die Behörden dürften lediglich kontrollieren, ob die Förmlichkeiten zur Erteilung der Vollstreckbarerklärung des ausländischen Titels erfüllt seien (Rz. 30). Es werde kein neues Verfahren in Gang gesetzt, sondern "auf der Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens in die Justiz der Mitgliedstaaten" die Zustimmung erteilt, eine Entscheidung durch Integration in eine fremde Rechtsordnung zu vollstrecken, damit eine in dem Urteilsmitgliedstaat erlassene Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat die Wirkungen eines vollstreckbaren nationalen Rechtstitels entfalte (Rz. 31). Die Gründe, aufgrund derer eine erfolgte Vollstreckbarerklärung angefochten werden könne, seien in Art. 34 und 35 EuGVVO, die eng auszulegen seien, abschließend aufgezählt (Rz. 32 f.). Da die nachträgliche Erfüllung einer titulierten Forderung in Befolgung der gerichtlichen Entscheidung dieser in dem Urteilsland nicht den vollstreckbaren Charakter nehme, kämen ihr diese Rechtswirkungen auch nicht bei ihrer Vollstreckbarerklärung im Ausland zu (Rz. 39). Eine Erfüllung könne insoweit nur im Vollstreckungsstaat nach Integration in dessen Rechtsordnung Prüfungsgegenstand werden (Rz. 40). Auch die Tatsache, dass dadurch einem gerade vollstreckbar erklärten Titel die Vollstreckbarkeit wieder genommen werden könne, führe nicht zu einer Berücksichtigung der nachträglich entstandenen materiell-rechtlichen Einwendungen im Verfahren der Vollstreckbarerklärung, weil anderenfalls diese dessen Merkmale änderten und sich entgegen dem im 17. Erwägungsgrund der Verordnung angeführten Ziel eines raschen und effizienten Verfahrens die Verfahrensdauer verlängere (Rz. 42; vgl. auch Meller-Hannich, GPR 2012, 90, 92 ff.).
Rz. 15
(2) Ob aus der zitierten Entscheidung des EuGH zu folgern ist, dass § 12 AVAG im Anwendungsbereich der Verordnung insgesamt unanwendbar und es dem Schuldner infolge von Art. 45 EuGVVO fortan generell verwehrt ist, materiell-rechtliche Einwendungen, die nach Erlass der zu vollstreckenden Entscheidung entstanden sind, im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 43, 44 EuGVVO geltend zu machen, gleichgültig, ob die Einwendungen liquide oder nicht liquide sind (so Bach, EuZW 2011, 871; Meller-Hannich, a.a.O., S. 94; Musielak/Lackmann, ZPO, 9. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rz. 2), muss der Senat nicht entscheiden, weil der hier geltend gemachte Einwand nicht liquide ist. Entgegen der Rechtsbeschwerdebegründung ist es unerheblich, dass die Abtretung der Forderung durch die Antragstellerin an einen Dritten außer Streit steht und nur die schlüssig vorgetragene Rückübertragung der Forderung auf die Antragstellerin vom Antragsgegner bestritten ist. In beiden Fällen ist Beweis zu erheben, um die Berechtigung der Antragstellerin zur Vollstreckung aus dem ausländischen Titel feststellen zu können. Ein solcher Streit ist nach der zitierten Entscheidung des EuGH keinesfalls im Rechtsbehelfsverfahren nach der Verordnung zu klären. Denn die Berücksichtigung dieser Einwendung würde die Merkmale des Vollstreckbarerklärungsverfahrens ebenfalls ändern und die Verfahrensdauer verlängern. Das Urteil des EuGH kann aus demselben Grund auch nicht so verstanden werden, dass der Schuldner nur mit dem Erfüllungseinwand im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht zu hören ist. Vielmehr ergeben die Ausführungen des EuGH mit Deutlichkeit, dass sämtliche materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den Vollstreckungstitel von dieser Rechtsprechung erfasst werden. Jedenfalls soweit der Schuldner sich auf nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch beruft, die weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sind, wird er damit in den Beschwerdeverfahren nach Art. 43 und 44 EuGVVO gem. Art. 45 EuGVVO nicht gehört.
III.
Rz. 16
Dem Rechtsbeschwerdeführer war dennoch gem. § 114 ZPO Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu bewilligen. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren dient nicht dem Zweck, über rechtliche Grundsatzfragen vorweg zu entscheiden (BGH, Beschl. v. 7.3.2012 - XII ZB 391/10, NJW 2012, 1964 Rz. 14).
Fundstellen