Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Beschluss vom 22.09.2021; Aktenzeichen VI-Kart 5/20 (V))

 

Tenor

Auf die Beschwerden der Nichtzulassungsbeschwerdeführer zu 1 und zu 2 wird für diese die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. September 2021, berichtigt durch Beschlüsse vom 23. September 2021 und vom 25. Oktober 2021, zugelassen.

Der Antrag der Nichtzulassungsbeschwerdeführerin zu 3 auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Nichtzulassungsbeschwerdeführerin zu 3 gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem oben bezeichneten Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. September 2021 wird verworfen.

 

Gründe

Rz. 1

I. Die Nichtzulassungsbeschwerden des Bundeskartellamts und der Nichtzulassungsbeschwerdeführerin zu 2 sind zulässig und begründet. Der Streitfall wirft jedenfalls die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf, ob durch verhaltensbezogene Verpflichtungszusagen nach § 32b GWB eintretende Verbesserungen des Marktergebnisses bei der Zusammenschlusskontrolle von reversiblen kooperativen Teilfunktionsgemeinschaftsunternehmen zu berücksichtigen sind und nachteilige strukturelle Wirkungen des Zusammenschlusses zu kompensieren vermögen.

Rz. 2

II. Die Beschwerde der Nichtzulassungsbeschwerdeführerin zu 3 (im Folgenden: A), die als am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen Beteiligte des Rechtsbeschwerdeverfahrens bleibt, ist unzulässig, da sie nicht fristgerecht begründet wurde.

Rz. 3

1. Gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 GWB ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts zu begründen. Die Frist kann auf Antrag verlängert werden. Die fristgerechte Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist Voraussetzung ihrer Zulässigkeit (BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 1993 - KVZ 10/92, WuW/E BGH 2869 [juris Rn. 18] - Pauschalreisen-Vermittlung II; vom 19. Dezember 1995 - KVZ 23/95, WuW/E BGH 3035 [juris Rn. 6]; vom 15. Oktober 2015 - KVZ 26/15, juris Rn. 1).

Rz. 4

2. Die bis zum 24. Januar 2022 verlängerte Begründungsfrist wurde nicht gewahrt, weil die als elektronisches Dokument an jenem Tag übermittelte Begründung nicht aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (im Folgenden: beA) eines derjenigen Rechtsanwälte übermittelt wurde, die das Dokument einfach signiert hatten, und die Begründung damit nicht der gesetzlichen Form entspricht.

Rz. 5

a) Gemäß § 78 Abs. 5 GWB muss die Begründung durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Nach § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 130d Satz 1 ZPO sind vorbereitende Schriftsätze, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 130a Abs. 3 ZPO bestimmt, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein muss oder von dieser (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Als sicher gilt gemäß § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem beA und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Hierbei wird ein nicht qualifiziert elektronisch signiertes Dokument nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach eingereicht, wenn die den Schriftsatz verantwortende Person das Dokument selbst versendet (BGH, Beschlüsse vom 30. März 2022 - XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 10 f.; vom 20. September 2022 - IX ZR 118/22, ZInsO 2022, 2579 Rn. 7).

Rz. 6

b) Diesen Vorgaben wird die Beschwerdebegründung der A nicht gerecht, weil das Dokument nicht qualifiziert, sondern lediglich einfach signiert wurde und es nicht aus dem beA des Rechtsanwalts B oder des Rechtsanwalts C, die beide das Dokument einfach signiert haben, sondern aus dem beA der Rechtsanwältin D, die das Dokument nicht signiert hat, versendet wurde.

Rz. 7

3. A ist im Hinblick auf die versäumte Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Rz. 8

a) Es kann offenbleiben, ob der Wiedereinsetzungsantrag der A vom 19. Juli 2023 bereits wegen Versäumung der Jahresfrist (§ 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 234 Abs. 3 ZPO) unzulässig ist. Denn jedenfalls ist der Antrag gemäß § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 233 ZPO unbegründet, weil die Fristversäumnis nicht unverschuldet war. A muss sich das Verschulden von Rechtsanwältin D gemäß § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Rz. 9

b) Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Als Bevollmächtigter in diesem Sinne ist auch ein Rechtsanwalt anzusehen, der als Angestellter oder freier Mitarbeiter des Verfahrensbevollmächtigten von diesem mit der selbstständigen Bearbeitung eines Rechtsstreits betraut worden ist und der nicht als bloßer Hilfsarbeiter in untergeordneter Funktion tätig geworden ist (BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 1972 - VII ZB 13/72, VersR 1973, 38 [juris Rn. 6]; vom 27. Januar 2004 - VI ZB 39/03, MDR 2004, 719 [juris Rn. 6]; vom 19. März 2014 - I ZB 32/13, GRUR-RR 2014, 470 Rn. 10; vom 20. November 2018 - VI ZB 32/17, MDR 2019, 178 Rn. 8).

Rz. 10

c) Nach diesem Maßstab ist Rechtsanwältin D als Bevollmächtigte der A anzusehen. Nach dem Vortrag der A hat Rechtsanwältin D an der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde umfangreich mitgewirkt und wurde von Rechtsanwalt B zur den Formanforderungen des § 130a Abs. 3 ZPO entsprechenden Einreichung der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung unterbevollmächtigt. Danach hätte Rechtsanwältin D die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung signieren und aus ihrem beA versenden müssen. Sie hätte also nach außen hin den Inhalt der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung verantworten sollen. Diese Tätigkeit geht über eine bloße Hilfstätigkeit hinaus.

Rz. 11

d) Wie auch von A nicht in Frage gestellt wird, hätte Rechtsanwältin D bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen müssen, dass die Einreichung eines nicht von ihr signierten Schriftsatzes über ihr beA nicht den Formerfordernissen des § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 130a Abs. 3 ZPO entspricht (vgl. BGH, NJW 2022, 2415 Rn. 15 bis 17; Beschlüsse vom 7. September 2022 - XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 15 bis 17; vom 19. Januar 2023 - V ZB 28/22, NJW 2023, 1587 Rn. 16; BAG, Beschluss vom 14. September 2020 - 5 AZB 23/20, BAGE 172, 186 Rn. 25).

Rz. 12

e) Ein Wiedereinsetzungsgrund ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer für das Versäumnis mitursächlichen Pflichtverletzung des Gerichts, weil der gerichtliche Hinweis auf die Fristversäumnis erst ca. 1,5 Jahre nach Einreichung des Schriftsatzes erfolgt ist.

Rz. 13

aa) Zwar gebietet die aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) folgende gerichtliche Fürsorgepflicht, eine Partei auf einen - leicht erkennbaren - Formmangel in ihrem Schriftsatz hinzuweisen und ihr gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, den Fehler fristgerecht zu beheben. Eine Partei darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihre Schriftsätze alsbald nach ihrem Eingang bei Gericht zur Kenntnis genommen werden und offensichtliche äußere formale Mängel dabei nicht unentdeckt bleiben (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - VI ZB 37/08, NJW-RR 2009, 564 Rn. 10). Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, einen erst am letzten Tag einer Frist eingehenden Schriftsatz unmittelbar auf formelle Mängel zu überprüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf deren Behebung hinzuwirken (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2017 - X ZB 7/15, NJW-RR 2017, 689 Rn. 13 mwN).

Rz. 14

bb) Vorliegend ist der Begründungsschriftsatz erst am Nachmittag des letzten Tags der Frist bei Gericht eingegangen. A durfte somit nicht darauf vertrauen, dass sie auf einen etwaigen Formmangel noch vor Fristablauf hingewiesen würde. Tatsächlich ist der Schriftsatz auch erst am 25. Januar 2022, also nach Fristablauf, bei Gericht zur Kenntnis genommen worden. Auch durch einen Hinweis noch an diesem Tag hätte die Fristversäumnis nicht mehr behoben werden können.

Rz. 15

cc) Entgegen der Auffassung von A ist die Fristversäumnis vorliegend auch nicht deshalb als unverschuldet anzusehen, weil durch die verzögerte Hinweiserteilung die für eine Wiedereinsetzung regelmäßig erforderliche Glaubhaftmachung erschwert worden sei, was im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG nicht der Prozesspartei angelastet werden dürfe.

Rz. 16

Es kann dahinstehen, ob die Verzögerung eines gerichtlichen Hinweises im besonderen Einzelfall dazu führen kann, dass eine Glaubhaftmachung der den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Tatsachen nicht erforderlich ist. Denn der Wiedereinsetzungsantrag ist vorliegend nicht aufgrund einer fehlenden Glaubhaftmachung der für eine Wiedereinsetzung relevanten Tatsachen unbegründet. Die schuldhafte Pflichtverletzung der Bevollmächtigten der A steht vielmehr fest.

Rz. 17

Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird (BGH, Beschluss vom 21. August 2019 - XII ZB 93/19 - FamRZ 2019, 1880 Rn. 5 mwN). In seiner eigenen Verantwortung liegt es, das Dokument gemäß den gesetzlichen Anforderungen entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen oder das einfach signierte elektronische Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg persönlich einzureichen, damit die Echtheit und die Integrität des Dokuments wie bei einer persönlichen Unterschrift gewährleistet sind (BGH, NJW 2022, 3512 Rn. 15).

Rz. 18

Dieser Verantwortung, die - wie oben Rn. 11 ausgeführt - den bevollmächtigten Rechtsanwälten bekannt sein musste, sind weder die Rechtsanwälte B und C, die die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung einfach signiert haben, noch Rechtsanwältin D, die den Schriftsatz ohne ihn zu signieren über ihr beA eingereicht hat, nachgekommen.

Rechtsmittelbelehrung

Rz. 19

Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von zwei Monaten, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, zu begründen. Diese Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde ist bei dem Bundesgerichtshof einzureichen; sie muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluss des Beschwerdegerichts angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Sie muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein; dies gilt nicht für eine von einer Kartellbehörde eingereichte Rechtsbeschwerdeschrift und Rechtsbeschwerdebegründung.

Kirchhoff     

Roloff     

Tolkmitt

Holzinger     

Kochendörfer      

 

Fundstellen

Haufe-Index 16031188

WuW 2024, 119

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