Leitsatz (amtlich)
a) Zum Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde des Betroffenen gegen einen die Einrichtung einer Betreuung ablehnenden Beschluss.
b) Gegen die Ablehnung der Betreuung ist dem Betroffenen unabhängig davon, ob er in erster Instanz mit einer Betreuung einverstanden war, die Beschwerde mit dem Ziel der Betreuerbestellung eröffnet.
Normenkette
FamFG § 59 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bochum (Beschluss vom 11.05.2016; Aktenzeichen I-7 T 74/16) |
AG Bochum (Entscheidung vom 16.02.2016; Aktenzeichen 16 XVII 838/15) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Bochum vom 11.5.2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
Rz. 1
1. Der Betroffene wendet sich dagegen, dass seine gegen die Ablehnung einer Betreuung gerichtete Beschwerde verworfen worden ist.
Rz. 2
Im Oktober 2015 hat das Gesundheitsamt beim Betreuungsgericht die Einrichtung einer Betreuung für den Betroffenen angeregt und mitgeteilt, dieser sei mit einer Betreuung nicht einverstanden. Der daraufhin mit der Begutachtung des Betroffenen beauftragte Sachverständige hat dem Betreuungsgericht lediglich über ein kurzes Gespräch mit dem Betroffenen berichtet, bei dem er keine Hinweise auf eine höhergradige kognitive Beeinträchtigung, Manie oder erkennbare psychotische Erkrankung habe finden können. Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Betroffene mehrfach einer Betreuung widersprochen. Das AG hat schließlich die Bestellung eines Betreuers abgelehnt.
Rz. 3
Mit seiner Beschwerde hat der Betroffene beantragt, ihn "in den Teilbereichen Wohnungsangelegenheiten, Leistungsgewährung durch das Jobcenter Bochum und durch die Stadt Bochum, Amt für Soziales und Wohnen, betreuen zu lassen." Das LG hat die Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig verworfen. Wie sich aus den Schreiben des Betroffenen ergebe, erstrebe er nicht die Einrichtung einer Betreuung. Bei der von ihm gewünschten "Betreuung" durch Jobcenter und Amt für Soziales und Wohnen handele es sich nicht um eine gesetzliche Vertretung.
Rz. 4
2. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Das LG hat rechtlich unzutreffend das Rechtsschutzbedürfnis verneint, weil es das Beschwerdebegehren des Betroffenen verkannt hat.
Rz. 5
Allerdings ist der Ausgangspunkt des LG zutreffend, wonach (auch) für eine Beschwerde gegen die Ablehnung der Betreuung ein Rechtsschutzbedürfnis erforderlich ist. Das Rechtsmittel muss sich auf die Beseitigung der in der Ablehnung liegenden Rechtsbeeinträchtigung und mithin auf die Bestellung eines Betreuers richten. Anderenfalls hat der Rechtsmittelführer kein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Entscheidung (vgl. etwa BGH v. 16.9.2015 - XII ZB 526/14, FamRZ 2016, 121 Rz. 5; v. 3.12.2014 - XII ZB 355/14, FamRZ 2015, 486 Rz. 21).
Rz. 6
Zu Unrecht vermisst das LG aber ein solches Beschwerdebegehren des Betroffenen. Dieser will nicht "durch das Jobcenter ... und das Amt für Soziales und Wohnen" betreut werden. Vielmehr hat er mit der Nennung dieser beiden Behörden lediglich die Stellen angegeben, die ihm Leistungen versagt haben, und damit die Bereiche, in denen er Hilfe begehrt, eingegrenzt. Aufgrund der Formulierung seines "Antrags" ggf. verbleibende Zweifel werden durch die Antragsbegründung ausgeräumt, mit der der Betroffene geltend macht, er sei seit über einem Jahr wohnungslos und beziehe seit einem knappen halben Jahr keinerlei Sozialleistungen mehr, weder vom Jobcenter noch vom Amt für Soziales und Wohnen.
Rz. 7
Schließlich steht der Zulässigkeit der Beschwerde auch nicht entgegen, dass der Betroffene sich noch in erster Instanz gegen eine Betreuung verwahrt hatte. In dem von Amts wegen zu führenden Verfahren auf Bestellung eines Betreuers erlangt die Frage, wie sich der Betroffene zur Einrichtung einer Betreuung stellt, im Zusammenhang mit § 1896 Abs. 1a BGB und damit materiell-rechtliche Bedeutung. Verfahrensrechtlich ist eine diesbezügliche Meinungsänderung innerhalb der oder zwischen den Tatsacheninstanzen für den Betroffenen nicht mit Nachteilen verbunden, sondern kann sich lediglich auf die gerichtlichen Ermittlungs- und Anhörungspflichten auswirken (vgl. etwa BGH v. 24.6.2015 - XII ZB 98/15, FamRZ 2015, 1603 Rz. 7; v. 7.8.2013 - XII ZB 188/13, FamRZ 2013, 1800 Rz. 9; v. 16.5.2012 - XII ZB 454/11, FamRZ 2012, 1207 Rz. 21; v. 16.3.2011 - XII ZB 601/10, FamRZ 2011, 880 Rz. 11 ff.). Gegen die Ablehnung der Betreuung ist dem Betroffenen mithin unabhängig davon, ob er in erster Instanz mit einer Betreuung einverstanden war, die Beschwerde mit dem Ziel der Betreuerbestellung eröffnet, weil die Versagung der staatlichen Fürsorgeleistung des betreuungsrechtlichen Erwachsenenschutzes für den Betroffenen eine Rechtsbeeinträchtigung i.S.d. § 59 Abs. 1 FamFG darstellt (vgl. BGH v. 3.12.2014 - XII ZB 355/14, FamRZ 2015, 486 Rz. 21).
Rz. 8
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen. Dieses wird nun die erforderlichen Feststellungen zu treffen und hierzu jedenfalls ein Sachverständigengutachten zum Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung beim Betroffenen einzuholen sowie den Betroffenen anzuhören haben.
Fundstellen
Haufe-Index 9898496 |
FamRZ 2017, 49 |
FuR 2017, 81 |
NJW-RR 2017, 259 |
FGPrax 2017, 27 |
BtPrax 2017, 34 |
JZ 2017, 44 |
MDR 2016, 1468 |
Rpfleger 2018, 203 |
FF 2017, 41 |
SR-aktuell 2017, 3 |