Leitsatz (amtlich)
Wird eine Berufung ausschließlich auf neues Vorbringen gestützt, kann sie ohne Weiteres durch Beschluss verworfen werden, wenn die Berufungsbegründung keine Angaben zu den Tatsachen enthält, die eine Zulassung des neuen Vorbringens nach § 531 Abs. 2 ZPO rechtfertigen. Dass das Vorbringen zuzulassen wäre, wenn es sich im Verlauf des Berufungsverfahrens als unstreitig erwiese, steht dem nicht entgegen (Anschluss an BGH, Beschl. v. 9.10.2014 - V ZB 225/12 NJW-RR 2015, 465 f.).
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4, § 522 Abs. 1, § 531 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 08.10.2019; Aktenzeichen 29 U 1647/19) |
LG München I (Urteil vom 28.02.2019; Aktenzeichen 30 O 4472/18) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 29. Zivilsenats des OLG München vom 8.10.2019 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis 22.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Pkw Audi A6 2,0 TDI, in dem ein von der Beklagten hergestellter Motor des Typs EA189 verbaut war. Der Kläger erwarb das Fahrzeug am 5.8.2017 von einem Dritten. Um für ein Fahrzeug die Typzulassung für eine Euro-5-Norm zu erhalten, werden die Emissionen unter gesetzlich vorgegebenen Laborbedingungen nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) auf einem Rollenprüfstand gemessen. Der Motor EA189 enthielt eine Prüfstanderkennungssoftware. Die Verwendung dieser Software legte die Beklagte sowohl bei der Durchführung der offiziellen Testzyklen zwecks Erreichen der Typgenehmigung für das Fahrzeug durch das Kraftfahrtbundesamt und die Einstufung in die Abgasnorm Euro 5 als auch bei der Bewerbung am Markt trotz ihres Einflusses auf die Zulassungsfähigkeit des Fahrzeugs nicht offen. Mit Bestätigung vom 27.5.2016 gab das Kraftfahrtbundesamt das Software-Update für Fahrzeuge des Typs Audi A6 2,0i TDI frei. Der Vorbesitzer und Verkäufer des Fahrzeugs ließ das Software-Update bereits vor dem Verkauf des Fahrzeugs an den Kläger durchführen.
Rz. 2
Erstinstanzlich hat der Kläger die geltend gemachten Schadensersatzansprüche auf § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gestützt mit der Begründung, er sei darüber getäuscht worden, dass durch das Aufspielen des Software-Updates die Mängel des Fahrzeugs behoben worden seien. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger bei seiner Anhörung entgegen dem schriftsätzlichen Vortrag erklärt habe, dass er zum Zeitpunkt des Kaufes keine Kenntnis von dem Dieselskandal gehabt habe und nicht wisse, ob vor dem Kauf ein Software-Update stattgefunden habe. Es fehle somit an einer Täuschung und an der haftungsbegründenden Kausalität. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und diese auch fristgerecht begründet. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung nach vorausgehendem Hinweis an den Kläger als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegründung nicht den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Ziff. 2-4 ZPO entspreche. Sie lasse jeglichen Bezug zur angefochtenen Entscheidung vermissen. Weder seien die Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergäben, bezeichnet, noch konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründeten, noch neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie die Tatsachen, aufgrund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen wären. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt den gesetzlichen Frist- und Formerfordernissen. Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 14.1.2010 - I ZB 97/08, juris Rz. 5; v. 14.4.2020 - VIII ZB 27/19, juris Rz. 1; jeweils m.w.N.), nicht erfüllt sind. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich.
Rz. 4
1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Zur Darlegung der Rechtsverletzung gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf. Für die Zulässigkeit der Berufung ist auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Zur Bezeichnung des Umstands, aus dem sich die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung materiellen Rechts ergibt, genügt regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht, die dem Berufungskläger zu Folge zu einem anderen Ergebnis als dem des angefochtenen Urteils führt. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Dabei ist aber stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 8.6.2021 - VI ZB 22/20 WM 2021, 1354 Rz. 6 m.w.N.).
Rz. 5
2. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers nicht gerecht.
Rz. 6
a) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, dass der Kläger in seiner Berufungsbegründung vorgetragen habe, dass die Beklagte in einem anderen Rechtsstreit vor dem LG Stuttgart zugestanden habe, dass nach dem erfolgten Software-Update ein sog. Thermofenster existiere, das - so der Kläger - gemessen an Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, und deshalb die Schadensersatzansprüche auch auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 zu stützen seien, genügt diese Begründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Rechtsbeschwerde räumt selbst ein, dass es sich bei diesem Vortrag um neuen Sachvortrag in der Berufungsinstanz handelt. Nach gefestigter Rechtsprechung kann zwar eine Abänderung des erstinstanzlichen Urteils auch ausschließlich mit neuen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln begründet werden und bedarf es in einem solchen Fall auch keiner Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils (vgl. nur BGH, Beschl. v. 27.3.2007 - VIII ZB 123/06 NJW-RR 2007, 934 Rz. 8). Dies macht es aber nicht entbehrlich, in der Berufungsbegründung gem. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO die Tatsachen vorzutragen, aufgrund derer das neue Vorbringen nach Ansicht des Berufungsführers zuzulassen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 9.10.2014 - V ZB 225/12 NJW-RR 2015, 465 Rz. 8 m.w.N.). An diesem Vorbringen in der Berufungsbegründung fehlt es jedoch. Erst mit seiner Stellungnahme zum Hinweis des Berufungsgerichts auf die beabsichtige Verwerfung der Berufung nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger dargetan, dass er zur Schaffung einer illegalen Abschalteinrichtung in Gestalt eines Thermofensters durch Aufspielen des Software-Updates nicht früher habe vortragen können, weil die Einlassung der Beklagten in einem Verfahren vor dem LG Stuttgart erst im Jahre 2019 erfolgt sei.
Rz. 7
Soweit die Rechtsbeschwerde weiter geltend macht, entsprechender Sachvortrag fehle nicht, da es sich bei vollständiger Würdigung des Sachverhaltes um unstreitigen Sachverhalt handle, insb. weil sich die Beklagte in Widerspruch zu Sachvortrag in anderen Rechtsstreitigkeiten setzen würde, der Kläger seine Ansprüche also auf einen nach seinen Darlegungen unstreitigen Sachvortrag stütze, verkennt sie insoweit die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Dass im Berufungsrechtszug nicht (mehr) bestrittene oder unstreitig gestellte Tatsachen nach der Rechtsprechung des BGH nicht als neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO behandelt werden und damit der Präklusion entzogen sind (vgl. grundlegend BGH, Beschl. v. 23.6.2008 - GSZ 1/08, BGHZ 177, 212 Rz. 10 ff. m.w.N.), macht es nicht entbehrlich, in der Berufungsbegründung gem. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO die Tatsachen vorzutragen, aufgrund derer das neue Vorbringen nach Ansicht des Berufungsführers zuzulassen ist. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist davon auszugehen, dass es sich bei neuem tatsächlichen Vorbringen des Rechtsmittelführers, mit dem das erstinstanzliche Urteil zu Fall gebracht werden soll, um ein neues Angriffsmittel i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO handelt. Wird die Berufung ausschließlich hierauf gestützt, sind deshalb die in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO genannten Angaben erforderlich. Fehlen diese, kann die Berufung ohne Weiteres nach § 522 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden. Dass das neue Vorbringen kein neues Angriffsmittel (mehr) wäre, wenn es von der Gegenseite nicht bestritten wird, ist in diesem Verfahrensstadium nicht relevant (BGH, Beschl. v. 9.10.2014 - V ZB 225/12 NJW-RR 2015, 465 Rz. 8 f.). Das Gericht ist auch nicht gehalten, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Der Berufungskläger hat keinen Anspruch darauf, dass allein wegen der - meist ohnehin nur theoretischen - Möglichkeit, dass das neue Vorbringen im Verlauf des Berufungsrechtszuges unstreitig wird, von der in § 522 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Möglichkeit einer Verwerfung der Berufung durch Beschluss abgesehen wird (BGH, a.a.O., Rz. 10).
Rz. 8
An entsprechendem Vortrag des Klägers fehlt es hier. Den vom Berufungsgericht getroffenen und von ihm in Bezug genommenen Feststellungen des LG kann unstreitiger Vortrag insoweit auch nicht entnommen werden. Die Rechtsbeschwerdeerwiderung weist im Übrigen zutreffend darauf hin, dass die Beklagte bereits erstinstanzlich vorgetragen habe, dass das Fahrzeug jedenfalls nach Durchführung des Updates den gesetzlichen Vorschriften entsprochen habe und das Update auch durch das Kraftfahrtbundesamt freigegeben worden sei. Dies dürfte als Bestreiten einer unzulässigen Abschalteinrichtung verstanden werden können.
Rz. 9
b) Die Rechtsbeschwerde macht ferner geltend, der Kläger habe sich in der Berufungsbegründung - dort im Rahmen seiner Ausführungen zu einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB - auch darauf berufen, dass die Beklagte durch Unterlassen getäuscht habe. Diese Begründung genügte aber ebenfalls nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die dortigen Ausführungen einschließlich der in einer längeren Passage zitierten Entscheidung eines anderen LG beziehen sich - wie im Übrigen auch weitere nicht auf den vorliegenden Fall bezogene Versatzstücke aus anderen Verfahren in der Berufungsbegründung - auf den Kauf eines Fahrzeugs der Beklagten mit einem EA189-Motor vor Bekanntwerden des Dieselskandals. Sie stehen in keinem dargelegten Zusammenhang mit dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem ein Fahrzeug nach Bekanntwerden des Dieselskandals und nach einer bereits beim Voreigentümer erfolgten Nachrüstung mit einem Software-Update erworben worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 14937616 |
NJW 2021, 10 |
NJW-RR 2021, 1646 |
IBR 2022, 49 |
AnwBl 2022, 178 |
JZ 2022, 13 |
MDR 2022, 309 |
NJ 2022, 77 |
VRS 2021, 90 |
VersR 2022, 908 |
ErbR 2022, 179 |
Mitt. 2021, 576 |