Entscheidungsstichwort (Thema)
Anordnung der Unterbringung in dringenden Fällen. Maßnahmen zur Sicherstellung eines Betreuers
Leitsatz (amtlich)
Es ist grundsätzlich zulässig, in Eilfällen eine zivilrechtliche Unterbringung anzuordnen, ohne daß zugleich damit schon ein Betreuer bestellt werden muß.
Das Gericht ist in einem solchen Falle aber verpflichtet, gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß dem Betroffenen unverzüglich ein Betreuer oder jedenfalls ein vorläufiger Betreuer (§ 69 f FGG) zur Seite gestellt wird. Unterläßt das Gericht solche Maßnahmen, ist die Anordnung der Unterbringung unzulässig.
Normenkette
BGB § 1846
Verfahrensgang
LG München I (Entscheidung vom 24.08.2000) |
BayObLG |
AG München |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluß der 13. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 24. August 2000 aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß die durch Beschluß des Amtsgerichts München – Vormundschaftsgericht – vom 21. Mai 1999 durch einstweilige Anordnung nach § 1846 BGB, § 70 h FGG verfügte vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses, unzulässig war.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.
Tatbestand
Gründe:
I.
1. Der am 31. Oktober 1947 geborene Betroffene hatte sich am 20. Mai 1999 aus Protest gegen eine gerichtliche Entscheidung vor dem Justizpalast in München an einen Laternenpfahl gekettet, mit Selbstmord gedroht und sich mit einer Rasierklinge eine Wunde beigebracht. Daraufhin ordnete die zuständige Behörde am selben Tag wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung die sofortige vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines Bezirkskrankenhauses auf der Grundlage des Bayerischen Unterbringungsgesetzes an und beantragte die gerichtliche Anordnung der Unterbringung.
Das Amtsgericht ordnete am 21. Mai 1999 zivilrechtlich durch einstweilige Anordnung mit sofortiger Wirksamkeit die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 2. Juli 1999 an. Hiergegen legte der Betroffene sofortige Beschwerde ein. Am 11. Juni 1999 wurde der Betroffene aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen. Daraufhin erklärte das Landgericht die Hauptsache für erledigt und hob die einstweilige Anordnung zur Beseitigung des von ihr noch ausgehenden Rechtsscheins auf. Auf die weitere Beschwerde des Betroffenen, mit der dieser geltend machte, die Unterbringungsmaßnahme sei „ungerechtfertigt” gewesen, hob das Bayerische Oberste Landesgericht (veröffentlicht in FamRZ 2000, 248) diesen Beschluß des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Mit Beschluß vom 24. August 2000 wies das Landgericht die sofortige Beschwerde zurück. Hiergegen richtet sich die weitere sofortige Beschwerde, mit der der Betroffene unter anderem geltend macht, die Unterbringung sei unverhältnismäßig und unnötig gewesen, was ein Betreuer, wenn er bestellt worden wäre, hätte durchsetzen können.
2. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Sache gemäß § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Es möchte von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. November 1992 (FamRZ 1993, 357 f.) abweichen, das eine einstweilige Unterbringung nach § 1846 BGB, § 70 h Abs. 3 FGG nur dann für zulässig hält, wenn „gleichzeitig und sofort wirksam” ein Betreuer bestellt wird (OLG Frankfurt am Main aaO, S. 357 f.). Das Oberlandesgericht Frankfurt begründet seine Auffassung, zumindest ein vorläufiger Betreuer mit dem Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung müsse bestellt werden und an der Wahrnehmung seiner Pflichten verhindert sein, damit, daß die Befugnisse des Vormundschaftsgerichts nach dem Betreuungsrecht nicht weiterreichen sollten als in der Zeit vor dessen Inkrafttreten. Nach der alten Rechtslage sei Voraussetzung für eine Maßnahme nach § 1846 BGB gewesen, daß der Betroffene entweder entmündigt (§ 1896 BGB in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung, im folgenden: a.F.) oder unter vorläufige Vormundschaft gestellt gewesen sei (§ 1906 BGB a.F.).
Demgegenüber hält das vorlegende Bayerische Oberste Landesgericht die vormundschaftsgerichtliche Anordnung einer Unterbringung nach § 1846 BGB auch dann für zulässig, wenn noch kein (vorläufiger) Betreuer bestellt wurde. Selbst wenn das Vormundschaftsgericht seiner Verpflichtung, unverzüglich einen vorläufigen Betreuer zu bestellen, nicht nachkomme, sei jedenfalls die Anordnung der vorläufigen Unterbringung als solche zunächst rechtmäßig. Wenn das Unterbleiben einer Betreuerbestellung überhaupt Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Unterbringungsmaßnahme haben sollte, so könne die Rechtswidrigkeit der Unterbringung allenfalls mit Ablauf einer angemessenen Frist für die Betreuerbestellung und dessen Entscheidung über die Unterbringung eintreten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Vorlage ist gemäß § 28 Abs. 2 FGG zulässig.
Für die Zulässigkeit ist erforderlich, daß es vom Rechtsstandpunkt des vorlegenden Gerichts aus auf die streitige Rechtsfrage für die Entscheidung ankommt. Aus dem Vorlagebeschluß muß sich ergeben, daß das vorlegende Gericht bei Befolgung der abweichenden Ansicht zu einer anderen Fallentscheidung gelangen würde (Senatsbeschlüsse BGHZ 82, 34, 36 f.; 133, 384, 386). Das Bayerische Oberste Landesgericht hat zutreffend dargelegt, daß es auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung die weitere Beschwerde zurückweisen müsse, während es der weiteren Beschwerde des Betroffenen stattgeben müsse, wenn es der die Entscheidung tragenden Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main folge.
III.
Der beschließende Senat hat daher gemäß § 28 Abs. 3 FGG anstelle des Bayerischen Obersten Landesgerichts über die weitere sofortige Beschwerde zu entscheiden.
1. Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar, der es im Einzelfall gebieten könne, ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der beanstandeten Maßnahme zu bejahen. In solchen Fällen sei ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen auch dann anzunehmen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränke, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung gegebenen Instanz kaum erlangen könne. Dies gelte auch für vorläufige Unterbringungsmaßnahmen durch einstweilige Anordnung nach § 70 h Abs. 1 FGG (vgl. BVerfG NJW 1998, 2432, 2433 m.N.). Nach diesen Grundsätzen bleibt die Beschwerde des Betroffenen mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringungsmaßnahme auch nach der Entlassung aus der Klinik zulässig.
2. Die weitere Beschwerde ist begründet.
Nach § 1846 BGB kann das Vormundschaftsgericht „die im Interesse des Betroffenen erforderlichen Maßregeln” treffen. Als Maßregel im Sinne des § 1846 BGB kann – wie das Landgericht zu Recht annimmt – auch eine vorläufige Unterbringung in Betracht kommen, wenn die Voraussetzungen des § 70 h FGG i.V.m. den §§ 69 f und 70 g FGG für eine Anordnung der vorläufigen Unterbringung vorliegen (OLG Schleswig NJW 1992, 2974; OLG Frankfurt am Main aaO S. 358; BayObLGZ 1999, 269, 273; LG Berlin BTPrax 1992, 43, 44; Soergel/Zimmermann, BGB 13. Aufl., § 1846 BGB Rdn. 4; Staudinger/Engler, BGB Bearb. 1999 § 1846 Rdn. 11; Gernhuber/Coester-Waltjen, FamR, 4. Aufl., § 76 V; Knittel, Betreuungsgesetz, § 70 h Anmerkung 1; Marschner in Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Das neue Betreuungsrecht, 4. Aufl., Rdn. 563; Saage/Göppinger-Marschner, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl., § 1908 i Rdn. 7 ff.; Erman/Holzhauer, 10. Aufl., § 1846 Rdn. 4 f.; Erman/Roth aaO § 1906 Rdn. 50, MünchKomm-Schwab, 4. Aufl., § 1906 Rdn. 95; Keidel/Kayser, FGG 14. Aufl., § 70 h Rdn. 18). Der Gesetzgeber hat bewußt die Möglichkeit für das Vormundschaftsgericht geschaffen, auch eine Unterbringung Volljähriger nach § 1846 BGB anordnen zu können. Während der Regierungsentwurf zum Betreuungsgesetz noch die Anordnung einer zivilrechtlichen Unterbringung Volljähriger auf der Grundlage des § 1846 BGB verbot (BT-Drucks. 11/4528, S. 18, 54, 81, 160), schlug der Bundesrat vor, in Eilfällen auch die zivilrechtliche Unterbringung Volljähriger nach § 1846 BGB zuzulassen (BT-Drucks. 11/4528 S. 211). Dem Vorschlag stimmte die Bundesregierung zu und schlug die Schaffung von Verfahrensgarantien in § 70 h Abs. 3 FGG vor. Der Bundestag stimmte auf Empfehlung des Rechtsausschusses dem Vorschlag des Bundesrats und der Gegenäußerung der Bundesregierung zu (BT-Drucks. 11/6949 S. 38, 85). Dementsprechend ist auch nach Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes die Anordnung der einstweiligen Unterbringung nach § 1846 BGB möglich.
a) Umstritten ist allerdings die Frage, ob die Anordnung der Unterbringungsmaßnahme auch dann zulässig ist, wenn noch keine – zumindest vorläufige – Betreuung besteht.
Diese Frage ist mit der überwiegenden Rechtsprechung und Literatur zu bejahen.
aa) Teilweise wird vertreten, daß zumindest gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung ein vorläufiger Betreuer für den Betroffenen zu bestellen ist (OLG Frankfurt am Main aaO S. 357; Rink in HK-BUR (1994), vor § 1846 BGB Rdn. 4 ff., 8; ders., FamRZ 1993, 512, 514; Wiegand, FamRZ 1991, 1022, 1024; BG Chemnitz BTPrax 1992, 111, 112 fordert die Anhängigkeit des Betreuungsverfahrens). Nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Vormundschaftsrecht konnte das Vormundschaftsgericht Maßnahmen gemäß § 1846 BGB nach überwiegender Meinung nur dann treffen, wenn die Vormundschaft angeordnet war oder der Betroffene entmündigt, ein Vormund jedoch noch nicht bestellt war. Im letzten Falle wurde der in § 1846 BGB verwendete Ausdruck der Bestellung eng dahingehend ausgelegt, daß nur noch die Auswahl des Vormunds und dessen Verpflichtung bevorstanden. Aus der Intention des Entwurfs zum Betreuungsrechtsgesetz, die selbständige Stellung des Betreuers zu gewährleisten und das Handeln des Gerichts anstelle des Betreuers nur ausnahmsweise zuzulassen, wird geschlossen, daß das Betreuungsgesetz dem Vormundschaftsgericht keinesfalls mehr Befugnisse einräumen wollte, als vor der Gesetzesänderung (Wiegand aaO S. 1024). Nach Aufgabe des zweistufigen Vormundschaftsverfahrens zugunsten der einphasigen Einheitsentscheidung im Betreuungsrecht wird das Betreuungsverhältnis durch die einheitliche Entscheidung über die Anordnung der Betreuung und die Bestellung zum Betreuer begründet. Lediglich die Aushändigung der Bestellungsurkunde und das Einführungsgespräch werden nachträglich durchgeführt. Ein Schwebezustand zwischen der Feststellung, daß der Betroffene seine Angelegenheiten nicht mehr erledigen kann, und der Begründung des Betreuungsverhältnisses ist nicht mehr denkbar. Deshalb ist dieser Auffassung zufolge eine Maßnahme nach § 1846 BGB nur möglich, wenn zumindest gleichzeitig eine vorläufige Betreuung angeordnet und der Betreuer bestellt wird (OLG Frankfurt aaO S. 358; Wiegand aaO S. 1024).
bb) Die überwiegende Rechtsprechung und Literatur vertritt dagegen die Auffassung, daß eine Anordnung nach § 1846 BGB auch dann zulässig ist, wenn noch kein vorläufiger Betreuer bestellt wird. Allerdings habe das Gericht unverzüglich einen (vorläufigen) Betreuer zu bestellen, der sodann eigenverantwortlich über die Beendigung oder Fortsetzung der Unterbringungsmaßnahme – mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts – zu entscheiden habe. Werde vom Vormundschaftsgericht nicht binnen einer angemessenen Zeit ein vorläufiger Betreuer bestellt, so werde die Maßnahme nach § 1846 BGB unzulässig (OLG Schleswig aaO S. 2975; LG Berlin aaO S. 43; LG Hamburg BTPrax 1992, 111; Soergel/Zimmermann aaO § 1846 Rdn. 8; Staudinger/Engler aaO § 1846 Rdn. 3 f.; Knittel aaO § 70 h FGG Anm. 25; Erman/Holzhauer aaO § 1846 Rdn. 5; Keidel/Kayser aaO § 70 h Rdn. 18).
b) Der Senat hält es im Grundsatz für zulässig, daß eine zivilrechtliche Unterbringung angeordnet werden darf, ohne daß gleichzeitig ein Betreuer bestellt wird. Allerdings ist das Gericht in einem solchen Falle gehalten, gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß dem Untergebrachten unverzüglich – binnen weniger Tage – ein Betreuer oder jedenfalls ein vorläufiger Betreuer (§ 69 f FGG) zur Seite gestellt wird (dazu nachfolgend unter c).
§ 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB verweist uneingeschränkt auf die sinngemäße Anwendung des § 1846 BGB. Dessen Wortlaut wurde durch das Betreuungsrechtsgesetz nicht geändert. Dem Gesetzgeber war die bereits zur alten Rechtslage vor 1992 bestehende Problematik, ab wann eine Maßnahme nach § 1846 BGB angeordnet werden kann, bekannt. Wie oben dargelegt, sah der Entwurf zunächst vor, eine Unterbringung nach § 1846 BGB für Volljährige insgesamt zu verbieten. Dieser Vorschlag wurde jedoch nicht Gesetz. Vielmehr folgte der Gesetzgeber dem Vorschlag des Bundesrats, daß auch für die zivilrechtliche Unterbringung die Möglichkeit bestehen müsse, „in allen Fällen aufgrund einer gerichtlichen Anordnung ohne Einschaltung eines Betreuers den Betroffenen unterbringen zu lassen”. Anderenfalls würde eine zivilrechtliche Unterbringung in Eilfällen nicht mehr möglich sein, weil in der Kürze der Zeit, unter Umständen an Feiertagen, dienstfreien Wochenenden oder auch nachts ein geeigneter Betreuer gar nicht gefunden werden könne (BT-Drucks. 11/4528 S. 211).
Die Begründung zum Vorschlag des Bundesrats läßt erkennen, daß die Anordnung der vorläufigen Unterbringung unabhängig von der Betreuung als Schutzmaßnahme zulässig sein sollte. Es kann nicht unterstellt werden, dem Gesetzgeber sei nicht bewußt gewesen, daß eine Unterbringungsmaßnahme nach § 1846 BGB danach auch für Personen in Betracht kam, für die noch keine Betreuung angeordnet worden war. Denn die Einführung der Einheitsentscheidung im Betreuungsverfahren war eine der wesentlichen Neuerungen des Betreuungsrechts, die die Grundlagen und den Ablauf der Verfahren änderte, sowie Auswirkungen auf die begleitenden Anordnungen haben mußte.
Dieser Wille des Gesetzgebers entspricht auch dem Sinn der Vorschrift, die einen möglichst umfassenden Schutz des hilfebedürftigen Betroffenen bezweckt, auch wenn dieser Schutz noch nicht durch einen gesetzlichen Vertreter wahrgenommen werden kann. In dringenden Fällen kann daher vor Bestellung eines Betreuers die Unterbringung nach § 1846 BGB notwendig und sinnvoll sein. Ein gleichzeitig bestellter Betreuer brächte dem Betroffenen auch nicht in jedem Falle Vorteile. Als Betreuer kommen vorrangig der Ehegatte, Angehörige oder auch Freunde des Betroffenen in Betracht. Der eine Unterbringung als Eilmaßnahme anordnende Richter wird häufig nicht übersehen können, ob aus diesem Personenkreis ein Betreuer gewonnen werden kann. Würde dann eine (zufällig) zur Verfügung stehende Person zum Betreuer bestellt, so wäre nicht sichergestellt, daß diese über Kenntnisse der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen und über die notwendige Fachkompetenz verfügt. Sie könnte daher häufig die Notwendigkeit einer Unterbringung nicht beurteilen. Die eigentliche Verantwortung läge dann ebenfalls beim Vormundschaftsgericht. Würde man bis zur Klärung der Frage, ob ein Angehöriger als Betreuer in Betracht kommt, einen dem Betroffenen Fremden zum vorläufigen Betreuer bestellen, würde dem Betroffenen in vielen Fällen zusätzlich ein Betreuerwechsel zugemutet, da in der Regel später ein anderer Betreuer bestellt werden müßte. Wenn dagegen, während das Gericht mit der Frage der Unterbringung befaßt ist, eine Vertrauensperson, z.B. der Ehegatte oder ein Angehöriger anwesend ist, dürfte das Gericht ohnehin diesen zum (vorläufigen) Betreuer bestellen, um nicht selbst die Maßnahme anordnen zu müssen. Auch wenn die nach Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes bestehende Möglichkeit genutzt wird, die Betreuungsbehörde außerhalb der Dienstzeit zum vorläufigen Betreuer zu bestellen, § 69 f Abs. 1 Satz 5, Abs. 4 Satz 1 FGG, hätte dies faktisch keine Auswirkungen auf das Verfahren. Die Bestellung eines nicht handlungsfähigen Betreuers erschöpfte sich in einem formalen Akt, der dem Betroffenen keinerlei Vorteile brächte. Dessen Rechte werden vielmehr durch die Verfahrensgarantien der §§ 70 h Abs. 1 und 2 FGG ausreichend gewahrt (BT-Drucks. 11/4528 S. 229, BT-Drucks. 11/6949 S. 85).
c) Allerdings ist bei der Anwendung des § 1846 BGB zu beachten, daß es sich um eine Ausnahmevorschrift im Betreuungsrecht handelt und daß den vom Gesetzgeber eingeführten Verfahrensgarantien besondere Bedeutung zukommt. Das Betreuungsrecht wollte die Position des Betroffenen auch dadurch stärken, daß der Betreuer eigenständig und aufgrund eines persönlichen Vertrauensverhältnisses die notwendigen Entscheidungen treffen kann. Eingriffe des Vormundschaftsgerichts sollen in der Regel auf Kontrollfunktionen beschränkt sein. Deshalb kann von der eigenständigen Anordnungsbefugnis des § 1846 BGB nur in dringenden Fällen, in denen ein Aufschub einen Nachteil für den Betreuten zur Folge haben würde, Gebrauch gemacht werden (vgl. bereits zur Rechtslage vor dem 31. Dezember 1992: RGZ 71, 162, 168; OLG Hamm FamRZ 1964, 380, 381; BayObLGZ 1986, 174, 176; Palandt/Diederichsen 61. Aufl., § 1846 Rdn. 3). Das Vormundschaftsgericht wird nämlich in einer Funktion tätig, die das Gesetz in der Regel dem Betreuer vorbehält.
Daraus ergibt sich, daß das Vormundschaftsgericht, wenn es wegen der Dringlichkeit des Falles die Unterbringung ohne Beteiligung eines Betreuers anordnet, gleichzeitig mit der Anordnung dafür Sorge tragen muß, daß unverzüglich ein Betreuer bestellt wird, der die Interessen des Betreuten wahrnehmen und die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in eigener Verantwortung treffen kann, so wie es § 1906 BGB vorschreibt. Er hat gegebenenfalls für die Beendigung der Maßnahme zu sorgen oder aber dafür, daß gemäß § 1906 Abs. 1 BGB die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zur Fortdauer der Unterbringung im vorgesehenen Verfahren eingeholt wird. Diese Vorgehensweise wurde bereits zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes zu Recht gefordert (OLG Hamm aaO S. 381; BayObLG FamRZ 1990, 1154). Nur auf diese Weise werden die mit der zivilrechtlichen Unterbringung für den Betroffenen verbundenen Vorteile gewahrt.
Trifft das Vormundschaftsgericht nicht gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung die zur unverzüglichen Bestellung eines Betreuers erforderlichen Maßnahmen, ist die Anordnung der Unterbringung von vornherein unzulässig. Davon zu unterscheiden ist die für den vorliegenden Fall unerhebliche Frage, ob die Unterbringung – ex nunc – unzulässig wird, wenn das Verfahren zur Bestellung eines Betreuers zwar ordnungsgemäß eingeleitet, aber nicht mit der notwendigen Beschleunigung betrieben wird.
Regelmäßig ist es erforderlich, gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers einzuleiten. Davon kann allenfalls in Ausnahmefällen abgesehen werden, z.B. wenn die Anordnung außerhalb des Gerichtsgebäudes an Ort und Stelle oder außerhalb der normalen Dienstzeit durch den Bereitschaftsdienst erfolgt. In solchen Ausnahmefällen mag es ausreichend sein, wenn durch geeignete Maßnahmen sichergestellt wird, daß die Einleitung des Verfahrens zur Bestellung eines Betreuers unverzüglich – regelmäßig am nächsten Arbeitstag – nachgeholt wird.
Die Einleitung eines solchen Verfahrens reicht aber nicht in allen Fällen aus. Es muß sichergestellt sein, daß dem Betroffenen innerhalb weniger Tage ein Betreuer zur Seite steht. Kann innerhalb dieser Zeitspanne ein Betreuer nicht bestellt werden – z.B. weil, wie im vorliegenden Fall, vor seiner Bestellung ein Sachverständigengutachten eingeholt werden soll – ist es erforderlich, gleichzeitig mit der Einleitung eines Verfahrens zur Bestellung eines Betreuers ein Verfahren zur Bestellung eines vorläufigen Betreuers nach § 69 f FGG einzuleiten.
Diesen Anforderungen genügt die Vorgehensweise des Vormundschaftsgerichts nicht. Es hat bei Erlaß des Unterbringungsbeschlusses verfügt, daß ein Auftrag zur Erstattung eines medizinischen Gutachtens an einen Sachverständigen übersandt werden solle. Weitere Maßnahmen zur Bestellung eines Betreuers oder vorläufigen Betreuers hat es nicht eingeleitet. Es war abzusehen, daß bis zum Eingang des Gutachtens mehrere Wochen vergehen könnten. Das Vormundschaftsgericht hat somit zumindest in Kauf genommen, daß der Betroffene mehrere Wochen ohne Betreuer untergebracht bleiben könnte.
Das bedeutet, daß die sachlich an sich gerechtfertigte privatrechtliche Unterbringung nicht unter Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens angeordnet worden ist. Die Anordnung der Maßnahme war somit unzulässig.
Unterschriften
Hahne, Gerber, Wagenitz, Fuchs, Vézina
Fundstellen
Haufe-Index 726019 |
BGHZ |
BGHZ, 45 |
NJW 2002, 1801 |
BGHR 2002, 495 |
FamRZ 2002, 744 |
FuR 2002, 368 |
FuR 2002, 456 |
FGPrax 2002, 188 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2002, 615 |
BtPrax 2002, 162 |
MDR 2002, 762 |
Rpfleger 2002, 357 |
PflR 2002, 339 |
R&P 2002, 177 |