Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestellung zum Notar
Leitsatz (amtlich)
a) Die das Auswahlverfahren nach § 6 Abs. 3 BNotO abschließende Entscheidung der Landesjustizverwaltung darüber, welchen – geeigneten – Bewerbern die ausgeschriebenen Notarstellen übertragen werden sollen und welche Bewerber abgelehnt werden, ist ein einheitlicher, teils begünstigender und teils belastender Verwaltungsakt. Er darf von der Landesjustizverwaltung nur aufgehoben werden, wenn er rechtswidrig ist.
b) Für die mit der Kindererziehung verbundenen beruflichen Nachteile ist durch § 6 Abs. 3 Satz 4 BNotO i.V. mit den dazu erlassenen landesrechtlichen Verordnungen ein angemessener Ausgleich geschaffen worden. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, Kindererziehungszeiten zusätzlich auch bei der allgemeinen Wartezeit des § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO zu berücksichtigen.
Normenkette
BNotO § 6
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG |
Tenor
Die sofortigen Beschwerden des Antragsgegners und der weiteren Beteiligten gegen den Beschluß des Notarverwaltungssenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 26. Januar 2001 werden zurückgewiesen.
Die weitere Beteiligte trägt die Hälfte der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Im übrigen werden Gerichtkosten nicht erhoben. Der Antragsgegner hat die dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
100.000 DM
festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsgegner schrieb am 5. Mai 1999 drei Notarstellen im Bezirk des Amtsgerichts R. aus. Um diese Stellen bewarben sich fünf Rechtsanwälte, darunter der Antragsteller und die weitere Beteiligte. Der Antragsgegner ermittelte nach Stellungnahmen der Präsidenten des Landgerichts Kiel und des Oberlandesgerichts sowie des Vorstands der Notarkammer für den Antragsteller 70,95 Punkte und für die anderen Bewerber 117,70 Punkte, 75,20 Punkte und 68,00 Punkte.
Für die weitere Beteiligte wurden 76,70 Punkte ermittelte, zugleich aber wurde in allen Stellungnahmen und auch vom Antragsgegner festgestellt, daß diese die Regelwartezeit von fünf Jahren nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO nicht erfüllt habe. Sie war bis zum Ende der Bewerbungsfrist erst 4 Jahre, 10 Monate und 20 Tage zur Rechtsanwaltschaft zugelassen, und zwar vom 12. Februar 1987 bis 11. Dezember 1987 in H. und seit dem 11. Juli 1995 in N..
Die weitere Beteiligte hatte schon in ihrem Antrag mitgeteilt, sie habe im Dezember 1987 ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft im Landgerichtsbezirk H. wegen Schwangerschaft zurückgegeben. Am 5. April 1988 sei ihr Sohn J.-H. und am 12. August 1991 ihre Tochter A.-Ch. geboren worden. Beide Kinder seien seit ihrer Geburt von ihr betreut worden. Nach der Trennung von ihrem Mann im Oktober 1994 habe sie eine selbständige Tätigkeit als Rechtsanwältin erst Mitte 1995 wieder an ihrem Wohnort, der auch ihr Heimatort sei, aufnehmen können. In Nordrhein-Westfalen, ihrem früheren Wohnsitz, sei dies wegen mangelnder Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder nicht möglich gewesen. In N. wohnten sowohl ihre Mutter als auch ihre drei Geschwister und unterstützten sie bei der Betreuung ihrer Kinder.
Der Antragsgegner hat die beiden Rechtsanwälte, für die 117,70 bzw. 75,20 Punkte ermittelt worden waren, mit Urkunden vom 23. Juni 2000 zu Notaren bestellt. Die dritte Notarstelle ist noch nicht besetzt.
Mit Erlaß vom 3. Mai 2000 teilte der Antragsgegner der weiteren Beteiligten mit, ihrer Bewerbung um eine der drei ausgeschriebenen Notarstellen könne nicht entsprochen werden. Sie habe die Mindestzeit nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO nicht erfüllt. Eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf diese Regelwartezeit könne aus Rechtsgründen nicht erfolgen. Ein Ausnahmefall, in dem von der Einhaltung der Regelwartezeit abgesehen werden könne, liege nicht vor. Insbesondere ergebe sich ein solcher nicht aus dem Umstand, daß sie durch die Betreuung ihrer Kinder gehindert worden sei, zu einem früheren Zeitpunkt ihre Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft zu erlangen. § 6 Abs. 3 BNotO sei zu entnehmen, daß lediglich im Rahmen eines Auswahlverfahrens zwischen mehreren Bewerbern, die die Regelvoraussetzungen erfüllen würden, die Möglichkeit einer Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten nach näherer Maßgabe landesrechtlicher Regelungen gegeben und bei ihr mit der Höchstzahl von sechs Punkten auch erfolgt sei. Der Gesetzgeber habe das Problem also gesehen. Im Rahmen einer Ermessensausübung nach § 6 Abs. 2 BNotO bestehe dann aber für die Justizverwaltung keine Veranlassung, einen weiteren Ausgleich für die Kinderbetreuung zu schaffen. Ein typischer Ausnahmefall ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, daß die weitere Beteiligte nach ihrer Zulassung als Rechtsanwältin in Schleswig-Holstein als amtlich bestellte Vertreterin des mit ihr in Bürogemeinschaft tätigen Notars G. in N. 434 Urkundsgeschäfte vorgenommen habe. Diese Zahl sei noch nicht ausreichend, um von einer Zweckerreichung des § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO auszugehen. Deshalb beabsichtige er, der Antragsgegner, die Notarstellen den beiden erstplazierten Bewerbern und dem Antragsteller zu übertragen. Nach Ablauf von zwei Wochen ab Zustellung des Erlasses werde er das Bestellungsverfahren fortsetzen. Abschließend erteilte er der weiteren Beteiligten eine Rechtsmittelbelehrung unter Hinweis auf § 111 BNotO und die Möglichkeit, eine einstweilige Anordnung zu beantragen.
Mit Erlaß vom gleichen Tage teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, daß seine Bestellung zum Notar in Aussicht genommen sei. Er – der Antragsgegner – habe den Bewerbern, die bei der Besetzung der ausgeschriebenen Stellen nicht berücksichtigt werden sollten, einen rechtsmittelfähigen Bescheid zugestellt. Vor weiteren Schritten werde zunächst die Rechtsmittelfrist abgewartet.
In den folgenden Tagen kündigte die weitere Beteiligte gegenüber dem Antragsgegner zunächst mündlich und unter dem 6. Juni 2000 auch schriftlich an, sie sehe sich gezwungen, fristwahrend einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den am 9. Mai 2000 erhaltenen Bescheid vom 3. Mai 2000 zu stellen, falls dieser nicht vor Eintritt der Bestandskraft aufgehoben werde. Sie wandte sich dabei an die Abteilung für Frauenfragen des Antragsgegners und den Staatssekretär und wies nochmals darauf hin, ihre Wiederzulassung zur Anwaltschaft in Schleswig-Holstein habe sich aus familiären Gründen verzögert. Sie habe erst im Juli 1995 nach Schleswig-Holstein umziehen können, weil sie das Ende des ersten Schuljahres ihres Sohnes in Nordrhein-Westfalen habe abwarten wollen. Gerichtliche Schritte gegen den Ablehnungsbescheid vom 3. Mai 2000 hat sie nicht unternommen.
Mit Schreiben vom 7. Juni 2000 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller und der weiteren Beteiligten mit, er habe den Erlaß vom 3. Mai 2000, mit dem die Bewerbung der weiteren Beteiligten um die Notarstelle im Bezirk des Amtsgerichts R. abgelehnt worden sei, aufgehoben. Er sei in eine erneute Prüfung der Bewerbung eingetreten und habe den Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts und den Vorstand der Schleswig-Holsteinischen Notarkammer gebeten, nochmals zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die nunmehr von der weiteren Beteiligten vorgetragenen besonderen Umstände es zuließen, auf die Einhaltung der Wartefrist nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO zu verzichten. Beide haben dies mit ausführlicher Begründung wiederum verneint.
Mit Bescheid vom 23. Oktober 2000 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Bestellung zum Notar ab. Zugleich hob er den Erlaß vom 3. Mai 2000 auf, mit dem dem Antragsteller in Aussicht gestellt worden war, ihn zum Notar zu ernennen. Er teilte ihm die Absicht mit, die freie Notarstelle der weiteren Beteiligten zu übertragen. Diese habe im Auswahlverfahren 76,70 Punkte erreicht, er dagegen nur 70,95 Punkte. Zwar erfülle die weitere Beteiligte die Zugangsvoraussetzung nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO nicht ganz. Aus der Formulierung des Gesetzes, wonach in der Regel als Notar nur bestellt werden solle, wer bei Ablauf der Bewerbungsfrist mindestens 5 Jahre zur Rechtsanwaltschaft zugelassen gewesen sei, ergebe sich aber, daß hiervon auch Ausnahmen gemacht werden dürften. Ein solcher Ausnahmetatbestand sei hier im Hinblick auf Art. 6 GG anzuerkennen, weil die weitere Beteiligte die Fünfjahresfrist nur deshalb nicht erfüllt habe, weil sie ihrem in Nordrhein-Westfalen gerade eingeschulten Sohn habe ermöglichen wollen, das erste Schuljahr in diesem Bundesland abzuschließen, bevor sie gemeinsam mit ihm nach Schleswig-Holstein übersiedelte.
Gegen den Bescheid vom 23. Oktober 2000 hat der Antragsteller gerichtliche Entscheidung dahingehend beantragt, den Bescheid aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihn zum Notar im Amtsgerichtsbezirk R. zu bestellen, hilfsweise, ihn neu zu bescheiden. Dem ist der Antragsgegner unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Bescheids entgegengetreten.
Das Oberlandesgericht hat den Bescheid vom 23. Oktober 2000 aufgehoben und den Antragsgegner verpflichtet, den Antragsteller zum Notar im Amtsgerichtsbezirk R. zu bestellen. Gegen diese Entscheidung haben der Antragsgegner und die weitere Beteiligte sofortige Beschwerde eingelegt.
II. Die Rechtsmittel sind zulässig, aber nicht begründet. Das Oberlandesgericht hat richtig entschieden.
Der Bescheid des Antragsgegners vom 23. Oktober 2000 ist schon deshalb rechtswidrig, weil er den Antragsteller in den ihm durch die rechtmäßige Auswahlentscheidung vom 3. Mai 2000 zuerkannten Rechten verletzt. Aufgrund dieser Auswahlentscheidung ist der Antragsgegner verpflichtet, den Antragsteller zum Notar im Amtsgerichtsbezirk R. zu bestellen.
1. Durch das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Notare und Rechtsanwälte vom 29. Januar 1991 (BGBl. I 150) und das Dritte Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung vom 31. August 1998 (BGBl. I 2585) sind entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 73, 280 = NJW 1987, 887) mit den §§ 6, 6b BNotO Regelungen zum Auswahlverfahren für die Vergabe von Notarstellen getroffen worden, die zur Verwirklichung des Rechts der Bewerber aus Art. 12 Abs. 1 GG ein förmliches Ausschreibungsverfahren vorsehen. Einzelheiten zu den Auswahlkriterien und zum Verfahren haben die Landesjustizverwaltungen in Allgemeinen Verfügungen über die Angelegenheiten der Notarinnen und Notare (AVNot) geregelt. In diesem Verfahren ist die zentrale Entscheidung die das Auswahlverfahren abschließende Auswahlentscheidung der Justizverwaltung. Durch sie wird mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen geregelt, welchen Bewerbern die ausgeschriebenen Stellen übertragen werden sollen und welche Bewerbungen abgelehnt werden. Es handelt sich dabei um einen durch Bekanntgabe an die Bewerber wirksam werdenden einheitlichen, teils begünstigenden, teils belastenden Verwaltungsakt (vgl. BGHZ 129, 226, 230). Die abgelehnten Bewerber können dagegen gerichtliche Entscheidung nach § 111 BNotO beantragen. Dieser Antrag umfaßt neben der Verpflichtung, sie zum Notar zu bestellen oder neu zu bescheiden, zugleich die Anfechtung der zugunsten ausgewählter Bewerber getroffenen Entscheidung (vgl. Senatsbeschluß vom 8. Juli 1994 – NotZ 25/93 – Nds.Rpfl. 1994, 333 unter 1 und Kopp/Schenke, VwGO 12. Aufl. § 42 Rdn. 48). Nach Bestandskraft der Ablehnungsbescheide bedarf es keiner weiteren materiellen Prüfung durch die Justizverwaltung mehr, sondern in der Regel nur noch des formalen Akts der Aushändigung der Bestellungsurkunden an die ausgewählten Bewerber (§ 11 Abs. 2 AVNot). Demgemäß stellt die an die ausgewählten Bewerber gerichtete, mit dem Hinweis auf die rechtsmittelfähigen Ablehnungsbescheide verbundene Mitteilung, ihre Bestellung zum Notar sei in Aussicht genommen, nicht lediglich eine unverbindliche Information, sondern eine Zusicherung dar (vgl. § 38 VwVfG). Sie ist auf den Erlaß eines späteren bestimmten Verwaltungsakts gerichtet, um dem Adressaten als verbindliche Zusage über das zukünftige Verhalten der Justizverwaltung Gewißheit zu verschaffen, und hat selbst die Qualität eines Verwaltungsaktes (vgl. BVerwG NVwZ 1986, 1011 f.; BSG NVwZ 1994, 830; BGHZ 117, 83, 88 f.). Es ist gerade der Zweck des förmlich geregelten Auswahlverfahrens, eine verbindliche Entscheidung darüber herbeizuführen, welchen – geeigneten – Bewerbern die ausgeschriebenen Stellen übertragen und welche Bewerbungen abgelehnt werden sollen. Ist die Auswahlentscheidung getroffen, sind die abgelehnten Bewerber regelmäßig auf den Rechtsweg nach § 111 BNotO verwiesen. Wegen der Komplementärfunktion des Verfahrens für die Durchsetzung der materiellen Rechte steht es nicht im Belieben der Justizverwaltung, eine rechtmäßige Auswahlentscheidung etwa wegen eines Sinneswandels wieder aufzuheben. Eine Aufhebung kommt nur in Betracht, wenn die Auswahlentscheidung rechtswidrig ist. Die Aufhebung hat durch einen förmlichen, begründeten und rechtsmittelfähigen Bescheid zu erfolgen.
2. Danach durfte der Antragsgegner die zugunsten des Antragstellers getroffene Auswahlentscheidung vom 3. Mai 2000 nur aufheben, wenn sie rechtswidrig war. Das war nicht der Fall, wie das Oberlandesgericht zutreffend ausgeführt hat. Der Antragsgegner hat es mit Erlaß vom 3. Mai 2000 rechtlich bedenkenfrei abgelehnt, die weitere Beteiligte durch eine Ausnahme vom Regelerfordernis der mindestens fünfjährigen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen.
a) Die allgemeine Wartezeit des § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO soll sicherstellen, daß dem Zugang zum Notarberuf, der Vertrautheit mit der Praxis der Rechtsbesorgung und deren organisatorischer Bewältigung, Sicherheit im Umgang mit dem rechtsuchenden Bürger und durch Erfahrung vermitteltes Verständnis für dessen Anliegen verlangt, eine hinreichende Zeit praktischer Einführung in die Rechtsbesorgung vorausgeht (Senatsbeschluß vom 14. Juli 1997 – NotZ 24/96 – DNotZ 1997, 900 unter II a). Mit diesem Gesetzeszweck wäre es nicht zu vereinbaren, auch in Fällen besonderer Härte von der Erfüllung der Wartezeit unabhängig davon abzusehen, ob der Bewerber die erforderliche Vertrautheit mit der Praxis der Rechtsbesorgung und Sicherheit im Umgang mit der rechtsuchenden Bevölkerung auf andere Weise als durch eine selbständige Anwaltstätigkeit erworben hat.
b) aa) Vor diesem rechtlichen Hintergrund war es jedenfalls nicht ermessensfehlerhaft (zur Qualifikation der Beurteilung nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO als Ermessensentscheidung: Senatsbeschluß vom 14. Juli 1997 – NotZ 24/96 – DNotZ 1997, 900), die Kindererziehungszeiten nicht auf die allgemeine Wartezeit anzurechnen. Ihnen fehlt der erforderliche Bezug zum praktischen Umgang mit dem rechtsuchenden Publikum ersichtlich ebenso wie der Wehrdienstzeit, die nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei der Prüfung, ob eine Ausnahme von der allgemeinen Wartezeit zugelassen werden kann, von vornherein außer Betracht zu bleiben hat (Beschluß vom 31. Juli 2000 – NotZ 4/00 – NJW-RR 2001, 207 unter II 1 m.w.N.).
bb) Die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der allgemeinen Wartezeit ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO enthält keine an das Geschlecht oder die familiäre Situation anknüpfende differenzierende Regelung, die nur ausnahmsweise zulässig wäre (vgl. BVerfG NJW 1995, 1733 unter D I 1 = BVerfGE 92, 91, 109). Allerdings führt die Kindererziehung typischerweise dazu, daß Frauen deshalb ihre Berufstätigkeit für einen gewissen Zeitraum unterbrechen oder auch erst später aufnehmen als Männer. Solche faktischen Nachteile dürfen wegen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden, wobei es grundsätzlich – auch unter dem Blickwinkel der Wertentscheidung des Art. 6 GG – der Einschätzung des Gesetzgebers überlassen ist, wie er diesen Ausgleich herbeiführt (vgl. BVerfG NJW 1992, 964 unter C I 1 und NJW 1987, 1541 unter C II 2 = BVerfGE 74, 163).
Einen solchen Ausgleich hat der Gesetzgeber hier mit § 6 Abs. 3 Satz 4 BNotO geschaffen. Danach können nach Maßgabe landesrechtlicher Verordnungen Zeiten eines Beschäftigungsverbotes nach Mutterschutzvorschriften, Zeiten der Beurlaubung wegen Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub und Zeiten eines vorübergehenden Verzichts auf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Schwangerschaft oder Betreuung eines Kindes auf die nach Satz 3 bei der Punktbewertung zu berücksichtigende Zeit der hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt angerechnet werden. Diese Anrechnung gleicht die typischerweise Rechtsanwältinnen treffenden faktischen Nachteile hinreichend aus, wie der vorliegende Fall zeigt. Der weiteren Beteiligten ist die nach der landesrechtlichen Anrechnungsverordnung höchstmögliche Zahl von sechs Punkten für zwei Jahre Kinderbetreuung gutgeschrieben worden. Nur dadurch hat sie den Antragsteller nach der Punktewertung vom 3. Platz verdrängt. Nach den Erkenntnissen des Senats aus zahlreichen Verfahren hat die Zubilligung von sechs Punkten ganz erhebliche Auswirkungen. In den meisten Konkurrentenstreitigkeiten geht es um Differenzen, die weit unter sechs Punkten liegen und sich mitunter im Bereich der Stellen nach dem Komma bewegen. Unter diesen Umständen war der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, darüber hinaus einen weiteren Ausgleich zu ermöglichen. Der Senat hält es deshalb auch nicht für zulässig, jedenfalls aber nicht für geboten, wegen Kindererziehungszeiten darauf zu verzichten, daß die allgemeine Wartezeit eingehalten wird. Es handelt sich dabei allgemein und auch nach den Verhältnissen bei der weiteren Beteiligten nicht um einen ganz außergewöhnlichen Sachverhalt, der die Abkürzung der Regelwartezeit aus Gerechtigkeitsgründen zwingend erscheinen läßt, sondern um eine typische Fallgestaltung, die der Gesetzgeber gesehen und angemessen geregelt hat.
c) Es war auch nicht ermessensfehlerhaft, wegen der als Notarvertreterin erworbenen Beurkundungspraxis der weiteren Beteiligten von der Einhaltung der allgemeinen Wartezeit nicht abzusehen. Der Antragsgegner hat in seinem Bescheid vom 3. Mai 2000 zunächst zutreffend darauf hingewiesen, daß knapp ein Drittel der Beurkundungen in die Punktewertung nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 AVNot einzustellen wäre und diese aus Gründen der Chancengleichheit aller Bewerber nicht nochmals bei der Frage berücksichtigt werden dürften, ob der Zweck der allgemeinen Wartezeit ausnahmsweise erreicht sei. Auch davon abgesehen hat der Antragsgegner die Vornahme von 434 Beurkundungen über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren noch nicht für ausreichend angesehen, um von einer Zweckerreichung des § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO auszugehen. Diese Erwägungen lassen keine Ermessensfehler erkennen.
Der Senat braucht deshalb die bisher offen gelassene Frage, ob Notarvertretungen und Beurkundungen als Teil der (bei der allgemeinen Anwaltstätigkeit nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO bereits berücksichtigten) Anwaltstätigkeit für die Frage, ob die Wartezeit verkürzt werden kann, überhaupt in Betracht gezogen werden dürfen (Beschlüsse vom 31. Juli 2000 – NotZ 4/00 – aaO unter II 1 a.E. und vom 14. Juli 1997 – NotZ 24/96 – aaO unter II b a.E.), auch jetzt nicht zu entscheiden. Dagegen spricht, daß eine Prüfung und Bewertung der Anwaltstätigkeit im jeweiligen Einzelfall praktisch nicht möglich ist, zu einer unvertretbaren Verzögerung der jetzt schon häufig langen Bewerbungsverfahren führen würde und daß die vergleichende Beurteilung der fachlichen Eignung der Bewerber erst im Auswahlverfahren nach § 6 Abs. 3 BNotO stattfindet. Zudem würde die Berücksichtigung einer umfangreichen Vertretungs- und Beurkundungspraxis dazu führen, daß Rechtsanwälte, die beruflich mit einem Notar verbunden sind, gegenüber solchen Bewerbern bevorzugt würden, denen der Zugang zu Notarvertretungen nicht in diesem Maße offensteht. Der Senat hat es deshalb abgelehnt, für Beurkundungen, die über die nach der Punktewertung mögliche Höchstzahl hinausgehen, Sonderpunkte zuzubilligen (Beschluß vom 13. Dezember 1993 – NotZ 45/92 – NJW 1994, 1870 unter 4 b dd).
3. Zur weiteren Begründung nimmt der Senat auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts Bezug.
Unterschriften
Rinne, Seiffert, Kurzwelly, Schierholt, Grantz
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.07.2001 durch Fitterer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BGHR 2001, 947 |
NJW-RR 2001, 1564 |
NJW-RR 2001, 1566 |
Nachschlagewerk BGH |
DNotZ 2001, 966 |
MDR 2001, 1193 |
ZNotP 2001, 360 |