Leitsatz (amtlich)
Eine Divergenzvorlage gem. § 36 Abs. 3 ZPO setzt voraus, dass ein OLG im Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 ZPO von der Rechtsprechung eines anderen OLG abweichen will.
Besteht innerhalb eines Senats eines OLG keine Einigkeit darüber, ob bei Beschwerden, die sich gegen Entscheidungen des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen richten, der Einzelrichter oder der Senat zuständig ist, so handelt es sich nicht um einen Kompetenzkonflikt i. S. d. § 36 Abs. 1 ZPO.
Der Kompetenzkonflikt zwischen dem Senat eines OLG und einem Einzelrichter ist in diesen Fällen in entsprechender Anwendung des § 348 Abs. 2 ZPO n. F. durch unanfechtbaren Beschluss des Senats auszuräumen.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Vorlage an den BGH ist unzulässig.
Gründe
I. Die Verfügungsklägerin hat vor dem LG Darmstadt - Kammer für Handelssachen - eine einstweilige Verfügung erwirkt. Während sie in der ersten Instanz des Hauptsacheverfahrens gleichfalls ein obsiegendes Urteil erstritt, hat sie in der Berufungsinstanz Klageverzicht erklärt. Daraufhin hat die Verfügungsbeklagte im Verfügungsverfahren den Antrag auf Aufhebung wegen veränderter Umstände gestellt und beantragt, der Klägerin die Kosten des Anordnungs- und des Aufhebungsverfahrens aufzuerlegen. Nach Zahlung durch die Verfügungsklägerin haben die Parteien das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt.
Über die Kosten hat das LG - Kammer für Handelssachen - gem. § 91a ZPO durch die Vorsitzende entschieden; es hat die Kosten der Verfügungsbeklagten auferlegt. Dagegen hat die Verfügungsbeklagte sofortige Beschwerde eingelegt.
Diese wurde dem Einzelrichter des OLG vorgelegt, der die Sache an den Senat abgab, weil er seines Erachtens nicht originärer Einzelrichter i. S. d. § 568 Abs. 1 S. 2 ZPO n. F. sei. Der Senat vertritt hingegen die Rechtsauffassung, auch der auf Grund der Zustimmung der Parteien allein entscheidende Vorsitzende einer Kammer für Handelssachen sei Einzelrichter i. S. d. § 568 Abs. 1 S. 2n. F. mit der Folge, dass auch der Einzelrichter beim OLG originär für Beschwerden gegen dessen Beschlüsse zuständig sei. Es will dabei von der Rechtsprechung der OLG Zweibrücken (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.6.2002 - 3 W 119/02, NJW 2002, 2722), Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.4.2002 - 3A W 50/02, NJW 2002, 1962) und Frankfurt/M. (OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.5.2002 - 5 W 4/02, OLGReport Frankfurt 2002, 250) abweichen und hat die Sache dem BGH zur Bestimmung des für die Entscheidung über die Beschwerde funktionell zuständigen Gerichts - Senat oder Einzelrichter - vorgelegt.
II. Die Vorlage ist unzulässig.
1. Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein OLG, das nach § 36 Abs. 2 ZPO anstelle des BGH mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem BGH vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen will. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Eine Vorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn ein OLG im Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 ZPO von der Auffassung eines anderen OLG abweichen will (BGH, Beschl. v. 5.10.1999 - X ARZ 247/99, MDR 2000, 536 = NJW 2000, 80 [81]).
Zwar will das vorlegende OLG von der Rechtsprechung anderer OLG abweichen. Das vorlegende OLG will seiner Entscheidung die von anderen Oberlandesgerichten nicht geteilte Auffassung zu Grunde legen, dass der originäre Einzelrichter i. S. d. § 568 Abs. 1 S. 2 ZPO n. F. für Beschwerden gegen Beschlüsse des allein entscheidenden Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen zuständig sei.
Ein Kompetenzkonflikt i. S. d. § 36 Abs. 1 Nr. 1-6 ZPO steht hier aber nicht zur Entscheidung. Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen betreffen Fragen der Zuständigkeit innerhalb ein und desselben Senats. Dieser Kompetenzkonflikt wird durch § 36 Abs. 1 Nr. 1-6 ZPO nicht erfasst. Daher besteht auch bei unterschiedlichen Auffassungen verschiedener OLG keine Zuständigkeit des BGH, denn die Regelung des § 36 Abs. 3 ZPO knüpft die Divergenzvorlage an den BGH in der Sache an das Vorliegen einer Divergenz in einer in § 36 Abs. 1 ZPO geregelten Frage.
2. Allerdings ist in der Rechtsprechung bei bestimmten Kompetenzkonflikten unter den Spruchkörpern desselben Gerichts auch auf den Gedanken des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zurückgegriffen worden. So ist diese Vorschrift herangezogen worden, wenn sich eine Zivilkammer und eine Kammer für Handelssachen eines LG wechselseitig für unzuständig erklärt haben (OLG Braunschweig v. 28.3.1995 - 1 W 5/95, OLGReport CBO 1995, 154 = NJW-RR 1995, 1535; OLG Nürnberg v. 16.9.1993 - 3 AR 2355/93, NJW 1993, 3208). Das Gleiche gilt für den Kompetenzkonflikt zwischen einer Zivilkammer und einer Kammer für Baulandsachen (OLG Oldenburg MDR 1977, 497). In der Rechtsprechung des BGH ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ferner herangezogen worden bei dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem Familiengericht und der allgemeinen Prozessabteilung des AG (BGH, Beschl. v. 21.3.1990 - XII ARZ 11/90, NJW-RR 1990, 1026) sowie im Verhältnis zwischen einem allgemeinen Zivilsenat und dem Familiensenat des OLG (BGH v. 3.5.1978 - IV ARZ 26/78, BGHZ 71, 264; Beschl. v. 14.7.1993 - XII ARZ 16/93, MDR 1993, 1236 = NJWRR 1993, 1282).
Hingegen sind Streitigkeiten unter verschiedenen Spruchkörpern desselben Gerichts über ihre Zuständigkeit grundsätzlich nicht nach Maßgabe des § 36 Abs. 1 ZPO zu entscheiden, sondern durch das Präsidium des Gerichts. Denn eine solche Auseinandersetzung betrifft die Verteilung der Geschäfte unter den Mitgliedern des Gerichts durch den Geschäftsverteilungsplan, der in die Zuständigkeit des Präsidiums fällt (BGH v. 5.10.1999 - X ARZ 247/99, NJW 2000, 80 [81]; Kissel, GVG, 3. Aufl. 2001, § 21e Rz. 117m. w. N.). Daher wurde ein nach § 36 ZPO zu entscheidender Zuständigkeitsstreit bei einem Kompetenzkonflikt zwischen einer Berufungskammer und einer allgemeinen Zivilkammer verneint, weil die Entscheidung ähnlich wie die Verteilung der Geschäfte zwischen verschiedenen Beschwerdesenaten des BPatG (BGH, Beschl. v. 29.10.1971 - I ZB 11/71, MDR 1972, 397 [398]) in die Zuständigkeit des Präsidiums fällt, sie kann im Bedarfsfall in dem vom Präsidium zu verantwortenden Geschäftsverteilungsplan geregelt werden, das hierfür ausschließlich berufen ist (BGH v. 5.10.1999 - X ARZ 247/99, NJW 2000, 80 [81]).
Etwas anderes gilt für den Fall, dass durch Gesetz bestimmte Spruchkörper vorgesehen und mit konkret bezeichneten Aufgaben betraut sind. Hier besteht keine Verteilungs- und Entscheidungskompetenz des Präsidiums, weil es um die Anwendung ausdrücklicher gesetzlicher Zuweisungsvorschriften geht.
Hier handelt es sich um eine dementsprechende Auslegung einer gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmung, bei der das Präsidium des OLG nicht befugt ist, eine Zuständigkeitsbestimmung vorzunehmen, denn streitig ist nicht die vom Präsidium gefasste Geschäftsverteilung, sondern die Auslegung des Gesetzes, das eine funktionale Geschäftsverteilung bewirkt.
3. Ein Fall des § 36 Abs. 1 ZPO oder ein dem gleichzustellender Sachverhalt sind gleichwohl nicht gegeben.
a) Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 36 Abs. 1 ZPO auch auf organinterne Zuständigkeitsstreitigkeiten kommt nicht in Betracht. Eine Zuständigkeitsbestimmung durch ein im Rechtszug höheres Gericht kann nur zwischen verschiedenen, nicht jedoch bei Kompetenzkonflikten innerhalb desselben Spruchkörpers stattfinden. Derartige Kompetenzkonflikte müssen durch den Spruchkörper selbst entschieden werden. Dies folgt aus dem Gedanken des § 348 Abs. 2 ZPO n. F.. Nach dieser Bestimmung entscheidet bei Zweifeln über die Entscheidungszuständigkeit des Einzelrichters nach § 348 Abs. 1 ZPO n. F. die Kammer durch unanfechtbaren Beschluss.
Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz) v. 27.7.2001 (BGBl. I, 1887) sollten Spruchkörper verstärkt durch Einzelrichter repräsentiert werden. Der Einzelrichter ist in den Fällen des § 348 ZPO n. F. in erster Instanz sowie gem. § 568 ZPO n. F. im Beschwerdeverfahren in zweiter Instanz originär zuständig. Die Schöpfung des originären Einzelrichters, der organisatorisch der Kammer bzw. dem Senat verbunden blieb und an seiner Stelle für sie bzw. ihn handelt, birgt die Gefahr spruchkörperinterner Zuständigkeitsstreitigkeiten in sich, die nach der für die erste Instanz getroffenen gesetzlichen Regelung durch den Spruchköper gelöst werden sollen.
b) Im Beschwerdeverfahren überträgt der originäre Einzelrichter das Verfahren dem Spruchkörper unter den Voraussetzungen des § 568 S. 2 Nr. 1, 2 ZPO. Insoweit fehlt eine dem § 348 Abs. 2 ZPO entsprechende Regelung, wie bei Zweifelsfragen verfahren werden soll. Dabei handelt es sich um eine Gesetzeslücke. Der Gesetzgeber hat eine solche Konstellation nicht gesehen, da er davon ausging, dass über Beschwerden gegen Entscheidungen eines Kollegialspruchkörpers ebenfalls ein Kollegialorgan, bei Entscheidungen eines Einzelrichters ebenfalls ein Einzelrichter zuständig sein soll, dem die Möglichkeit offen steht, das Verfahren bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf dasjenige Kollegialorgan, dem er angehört, zu übertragen (Begründung zum RegE, BT-Drucks. 14/4722, 110 [111]). Ob der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen Einzelrichter im Sinne dieser Vorschrift ist, hat der Gesetzgeber nicht bedacht (Fölsch, Beschwerdeverfahren - Zuständigkeit des originären Einzelrichters gegen Entscheidungen des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen, MDR 2003, 308 [310]; dazu auch Feskorn, Die Zuständigkeit des Einzelrichters gem. § 568 ZPO, NJW 2003, 856). Die Lücke, die dadurch entsteht, ist durch eine entsprechende Anwendung des § 348 Abs. 2 ZPO zu schließen. Demnach hat das Kollegium durch bindenden und unanfechtbaren Beschluss diese Frage zu entscheiden. Denn aus der Regelung des § 348 Abs. 2 ZPO geht hervor, dass Zweifelsfragen zur internen Zuständigkeit, die durch Einführung des originären Einzelrichters entstehen können, vom Kollegialorgan geklärt werden müssen. Darauf, ob diese Zweifelsfragen erstmalig in der ersten Instanz oder beim Beschwerdegericht auftreten, kommt es nicht an.
4. Besteht daher kein Zuständigkeitsstreit i. S. d. § 36 Abs. 1 ZPO, kommt eine Entscheidung des BGH bei der beabsichtigten Abweichung des einen OLG von der Rechtsprechung anderer OLG nicht in Betracht. Die Vorlage ist daher unzulässig.
Fundstellen
BGHZ 2004, 147 |
NJW 2003, 3636 |
BGHR 2004, 190 |
BauR 2004, 559 |
FamRZ 2004, 98 |
JurBüro 2004, 220 |
ZAP 2004, 64 |
MDR 2004, 531 |
KammerForum 2004, 68 |
ProzRB 2004, 31 |