Leitsatz (amtlich)
Steht - ggf. nach einer Auslegung der vom AG in einer Abschiebehaftsache getroffenen Entscheidung - fest, ob im Hauptsacheverfahren (§ 417 ff. FamFG) oder im einstweiligen Anordnungsverfahren (§ 427 FamFG) entschieden worden ist, wird hierdurch auch der Gegenstand eines sich anschließenden Rechtsmittelverfahrens festgelegt.
Das Beschwerdegericht ist nicht befugt, eine tatsächlich im Hauptsacheverfahren ergangene Entscheidung des AG nachträglich als eine einstweilige Anordnung oder einen im Wege der einstweiligen Anordnung getroffenen Beschluss nachträglich als Hauptsachentscheidung anzusehen.
Normenkette
FamFG §§ 417, 427
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 13.03.2015; Aktenzeichen 18 T 1191/15) |
AG Nürnberg (Beschluss vom 15.02.2015; Aktenzeichen 59 XIV 5/15 (B)) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth - 18. Zivilkammer - vom 13.3.2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene ist mazedonischer Staatsangehöriger. Er reiste spätestens am 1.9.2012 visumsfrei in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Ausübung einer Beschäftigung. Nachdem er diesen Antrag zurückgenommen hatte, tauchte er unter. Mit bestandskräftiger Verfügung der Beteiligten zu 2) vom 16.9.2014 wurde der Betroffene ausgewiesen und unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise bis spätestens 28.9.2014 aufgefordert. Nachdem er am 14.2.2015 in Polizeigewahrsam genommen worden war, beantragte die Beteiligte zu 2) am selben Tag die Anordnung der Abschiebehaft gegen den Betroffenen bis zum 29.3.2015. Für den Fall, dass über den Antrag nicht sofort entschieden werden könnte, beantragte sie die Anordnung der Sicherungshaft im Wege der einstweiligen Anordnung für die Dauer von sechs Wochen. Das AG hat mit Beschluss vom 15.2.2015 durch einstweilige Anordnung gem. § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 427 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FamFG die vorläufige Freiheitsentziehung des Betroffenen zum Zwecke der Sicherungshaft bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis Ablauf des 29.3.2015 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das LG mit Beschluss vom 13.3.2015 mit der Feststellung zurückgewiesen, dass die angefochtene Entscheidung nicht im Wege der einstweiligen Anordnung erlassen worden sei. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene, der am 24.3.2015 in sein Heimatland abgeschoben worden ist, die Aufhebung des Beschlusses des LG und die Feststellung, dass er durch den Beschluss des AG vom 15.2.2015 in seinen Rechten verletzt sei.
II.
Rz. 2
Das Beschwerdegericht meint, die Anordnung der Sicherungshaft sei in der Sache nicht zu beanstanden. Zur Klarstellung sei jedoch auszusprechen, dass die Entscheidung tatsächlich keine einstweilige Anordnung, sondern eine endgültige Entscheidung in der Sache gem. § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, §§ 417 ff. FamFG darstelle. Das AG habe keinerlei Feststellungen dazu getroffen, warum eine endgültige Entscheidung nicht habe ergehen können. Insbesondere lasse der Beschluss nicht erkennen, warum die Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung noch nicht abschließend hätten festgestellt werden können. Auch habe das AG die Sicherungshaft für den gesamten durch die Behörde beantragten Zeitraum ausgesprochen, so dass eine Hauptsacheentscheidung vorweggenommen worden sei. Insofern habe das AG tatsächlich eine endgültige Entscheidung getroffen, für die es sämtliche Formalitäten eingehalten habe. Die antragstellende Behörde habe eine einstweilige Anordnung auch nur hilfsweise beantragt. Diese Feststellung werde zugunsten des Betroffenen getroffen, um ihm das gegen die endgültige Entscheidung zustehende Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde nicht durch die falsche Bezeichnung als einstweilige Anordnung zu nehmen.
III.
Rz. 3
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
Rz. 4
a) Nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ist die Rechtsbeschwerde gegen die Freiheitsentziehung anordnende Beschlüsse - nach Erledigung der Hauptsache auch mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG - ohne Zulassung statthaft (vgl. BGH, Beschl. v. 18.12.2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rz. 6 m.w.N.). Hiervon ausgenommen sind allerdings nach § 70 Abs. 4 FamFG die im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG ergangenen Beschlüsse über vorläufige Freiheitsentziehungen. Das gilt auch für auf § 62 FamFG gestützte Feststellungsanträge, da der Gesetzgeber mit der Regelung in § 70 Abs. 4 FamFG klar zum Ausdruck gebracht hat, dass einstweilige Anordnungen keiner rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren unterworfen sein sollen (BGH, Beschl. v. 20.1.2011 - V ZB 116/10, FGPrax 2011, 143 Rz. 7).
Rz. 5
b) Das - im Übrigen form- und fristgerecht eingelegte - Rechtsmittel des Betroffenen richtet sich gegen eine im Hauptsacheverfahren erlassene freiheitsentziehende Maßnahme und ist deshalb statthaft. Dem steht nicht entgegen, dass das AG eine einstweilige Anordnung i.S.d. § 427 FamFG erlassen hat. Das Beschwerdegericht hat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, eine Entscheidung zur Hauptsache treffen zu wollen, indem es "zur Klarstellung" ausgesprochen hat, dass die Entscheidung des AG keine einstweilige Anordnung, sondern eine endgültige Entscheidung gem. §§ 417 ff. FamFG darstelle. Ob das Beschwerdegericht zu einer solchen Vorgehensweise verfahrensrechtlich befugt war, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Rechtsbeschwerde.
Rz. 6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch in der Sache begründet. Das Beschwerdegericht hat eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen, obwohl Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ausschließlich ein im Wege der einstweiligen Anordnung ergangener Beschluss des AG war.
Rz. 7
a) Die Verfahren über einstweilige Anordnungen (§§ 49 ff. FamFG) sind nach § 51 Abs. 3 Satz 1 FamFG selbständige, von der Hauptsache unabhängige Verfahren. Der Gesetzgeber des FGG-Reformgesetzes hat sich dafür entschieden, die Hauptsacheabhängigkeit der Verfahren über einstweilige Anordnungen zu beseitigen und diese - wie die Verfahren über den Arrest und die einstweilige Verfügung nach §§ 916 ff. ZPO - von den Hauptsacheverfahren zu trennen (BT-Drucks. 16/6308, 199). Diesen Grundsatz hat er auch für vorläufige Freiheitsentziehungen nach § 427 FamFG übernommen (BT-Drucks. 16/6308, 293). Die verfahrensrechtlichen Anforderungen für einstweilige Anordnungen nach § 427 FamFG unterscheiden sich von denen für freiheitsentziehende Beschlüsse in der Hauptsache nach § 422 FamFG. Deshalb kann eine Freiheitsentziehung als vorläufige Anordnung nach § 427 FamFG rechtmäßig, als Beschluss in der Hauptsache nach § 422 FamFG jedoch rechtswidrig sein (vgl. BGH, Beschlüsse v. 31.5.2012 - V ZB 167/11, NJW 2012, 2448 Rz. 10; v. 18.12.2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rz. 13). Umgekehrt kann eine Freiheitsentziehung als Beschluss in der Hauptsache rechtmäßig sein, mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 427 FamFG jedoch als vorläufige Anordnung rechtswidrig sein. Die hiernach gebotene Unterscheidung zwischen dem Verfahren auf Erlass einer vorläufigen Anordnung und dem Beschluss in der Hauptsache hat zur Folge, dass der Antrag einer Behörde auf eine vorläufige Freiheitsentziehung im Wege einstweiliger Anordnung keine Grundlage für den Erlass einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18.12.2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rz. 11, 13).
Rz. 8
b) Wenn eine Behörde - wie hier in Gestalt eines Haupt- und Hilfsantrages - sowohl eine Entscheidung in der Hauptsache als auch eine vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG beantragt, kann sich die Frage stellen, ob die auf einen solchen Antrag ausgesprochene Haftanordnung im Wege der einstweiligen Anordnung oder im Hauptsacheverfahren ergangen ist. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren können insb. das Fehlen von Feststellungen zur Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung, eine abschließende, nicht nur vorläufige Feststellung der Haftgründe, die Überschreitung der für einstweilige Haftanordnungen geltenden Höchstdauer von sechs Wochen und die Rechtsmittelbelehrung sein (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 18.12.2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rz. 7).
Rz. 9
c) Steht - ggf. nach einer Auslegung der vom AG getroffenen Entscheidung - fest, ob im Hauptsacheverfahren oder im einstweiligen Anordnungsverfahren entschieden worden ist, wird hierdurch auch der Gegenstand eines sich anschließenden Rechtsmittelverfahrens festgelegt. Das Beschwerdegericht ist nicht befugt, eine tatsächlich im Hauptsacheverfahren ergangene Entscheidung des AG nachträglich als eine einstweilige Anordnung oder einen im Wege der einstweiligen Anordnung getroffenen Beschluss nachträglich als Hauptsachentscheidung anzusehen. Durch einen solchen Wechsel von der einen in die andere Verfahrensart würde die vom Gesetzgeber angeordnete Unterscheidung von Hauptsacheverfahren und einstweiligen Anordnungsverfahren, für die jeweils unterschiedliche Voraussetzungen gelten, missachtet. Zudem würde auch die Regelung des § 70 Abs. 4 FamFG unterlaufen. Hierin hat der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass einstweilige Anordnungen - im Unterschied zu den Hauptsachentscheidungen - keiner rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren unterworfen sein sollen. Vielmehr endet der Rechtsmittelzug in diesen Verfahren beim Beschwerdegericht, das auch die Voraussetzungen für das Vorliegen einer einstweiligen Anordnung zu überprüfen hat.
Rz. 10
d) Vorliegend war für die von dem Beschwerdegericht vorgenommene "Klarstellung", dass es sich bei dem Beschluss des AG vom 15.2.2015 um eine endgültige Entscheidung i.S.d. § 417 ff. FamFG handele, kein Raum. Aus dem Tenor und den Beschlussgründen ergibt sich eindeutig, dass das AG die Entscheidung nicht versehentlich als einstweilige Anordnung bezeichnet hat, sondern eine solche tatsächlich auch erlassen wollte. Hierin fügt sich, dass in der Rechtsmittelbelehrung die für Beschwerden gegen einstweilige Anordnungen geltende Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) angegeben wird. Die Frist zur Einlegung einer Beschwerde gegen eine Hauptsachentscheidung beträgt demgegenüber einen Monat (§ 63 Abs. 1 FamFG). Auch die Beteiligten haben den Beschluss, den der Betroffene mit der Beschwerde angegriffen hat, nicht als Entscheidung in der Hauptsache verstanden. Da hiernach Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ausschließlich eine einstweilige Anordnung war, durfte das Beschwerdegericht keine Entscheidung in der Hauptsache treffen.
Rz. 11
3. Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif und daher nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Eine eigene Entscheidung des Senats ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil es um die Rechtmäßigkeit einer im einstweiligen Anordnungsverfahren ergangenen Entscheidung des AG geht und in diesem Verfahren eine Rechtsbeschwerde gem. § 70 Abs. 4 FamFG nicht vorgesehen ist. Über den im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten Antrag festzustellen, dass der Beschluss des AG vom 15.2.2015 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, hat deshalb abschließend das Beschwerdegericht zu befinden. Wie es selbst - wenn auch im Zusammenhang mit der von ihm vorgenommenen Klarstellung des Beschlusses des AG - ausführt, hat das AG keine Feststellungen dazu getroffen, warum anstelle einer endgültige Entscheidung eine einstweilige Anordnung nach § 427 FamFG ergehen musste.
Fundstellen
EBE/BGH 2015 |
FGPrax 2016, 87 |
InfAuslR 2016, 55 |
JZ 2016, 13 |