Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverhältnismäßigkeit der Versagung der Restschuldbefreiung

 

Leitsatz (amtlich)

Im Regelinsolvenzverfahren kann die Versagung der Restschuldbefreiung wegen der Verletzung einer Auskunftspflicht unverhältnismäßig sein, wenn der Schuldner die gebotene Auskunft von sich aus nachgeholt hat, bevor der Sachverhalt aufgedeckt und ein hierauf gestützter Versagungsantrag gestellt worden ist.

 

Normenkette

InsO § 290 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 16.02.2009; Aktenzeichen 86 T 531/08)

AG Berlin-Charlottenburg (Entscheidung vom 28.04.2008; Aktenzeichen 104 IN 6019/02)

 

Nachgehend

AG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 10.04.2012; Aktenzeichen 3 IN 709/07)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der Zivilkammer 86 des LG Berlin vom 16.2.2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Schuldner beantragte am 1.11.2002 die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens über sein Vermögen und Restschuldbefreiung. In dem mit seinen Anträgen vorgelegten Vermögensverzeichnis führte er eine ihm gehörende Eigentumswohnung auf Mallorca nicht auf, und im Gläubigerverzeichnis nannte er seine Mutter nicht. Mit Beschluss vom 24.2.2003 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren. Nach der Erklärung des Insolvenzverwalters ging bei ihm am 16.5.2003 ein Schreiben des Schuldners vom 14.5.2003 ein, in dem dieser mitteilte, seine Mutter habe im Jahr 1993 auf seinen Namen eine Wohnung auf Mallorca als Alterssitz gekauft. Am 4.5.2006 meldete die Mutter des Schuldners eine Darlehensforderung über rund 800.000 EUR gegen den Schuldner zur Insolvenztabelle an. Der Insolvenzverwalter gab die mit Grundpfandrechten zugunsten der Mutter des Schuldners und zugunsten einer spanischen Bank belastete Eigentumswohnung am 28.2.2007 aus dem Insolvenzbeschlag frei. Auf die im Schlusstermin gestellten Anträge des weiteren Beteiligten zu 1) und einer weiteren Gläubigerin hat das Insolvenzgericht dem Schuldner die Restschuldbefreiung wegen eines Verstoßes gegen die Obliegenheit des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO zunächst versagt. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat es seine Entscheidung im Abhilfeverfahren aufgehoben und die Versagungsanträge zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1) führte zur erneuten Versagung der Restschuldbefreiung durch das Beschwerdegericht. Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt der Schuldner die Aufhebung dieser Entscheidung und die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1).

II.

Rz. 2

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§§ 575 Abs. 1 bis 3, 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Sie führt in der Sache zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

Rz. 3

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Schuldner habe grob fahrlässig seine Auskunftspflicht nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO verletzt, weil er in seinem Insolvenzantrag weder die in seinem Eigentum stehende Immobilie auf Mallorca noch die Verbindlichkeit gegenüber seiner Mutter über rund 800.000 EUR angegeben habe. Das Schreiben des Schuldners vom 14.5.2003 vermöge den Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht zu entkräften. Es genüge entgegen der Auffassung des AG auch nicht, um den Versagungstatbestand zu beseitigen, weil eine - vom Gesetz ohnehin nicht vorgesehene - Heilung eines Verstoßes nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht in Betracht komme. Ob das Grundstück wertausschöpfend belastet gewesen sei, sei unerheblich, weil der Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO eine tatsächliche Verschlechterung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger nicht voraussetze.

Rz. 4

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

Rz. 5

a) Die Beurteilung des Beschwerdegerichts, der Schuldner habe grob fahrlässig eine gesetzliche Auskunftspflicht verletzt und deshalb den Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO erfüllt, indem er die Eigentumswohnung auf Mallorca in dem mit seinem Eröffnungsantrag vorgelegten Vermögensverzeichnis nicht angab, ist allerdings rechtlich nicht zu beanstanden. Eine Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger setzt dieser Versagungstatbestand nicht voraus. Es genügt, dass die Verletzung der Auskunftspflicht nach ihrer Art geeignet ist, die Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu gefährden (BGH, Beschl. v. 8.1.2009 - IX ZB 73/08, WM 2009, 515 Rz. 10). Dies war hier zweifelsfrei der Fall.

Rz. 6

b) Das Beschwerdegericht hat jedoch die Prüfung versäumt, ob die Versagung der Restschuldbefreiung unverhältnismäßig ist (vgl. dazu allgemein BGH, Beschl. v. 8.1.2009, a.a.O., Rz. 18). Holt der Schuldner im Regelinsolvenzverfahren von sich aus eine gebotene, aber zunächst von ihm unterlassene Auskunftserteilung nach, bevor sein Verhalten aufgedeckt und ein Versagungsantrag gestellt ist, beeinträchtigt seine Obliegenheitsverletzung letztlich die Gläubigerinteressen nicht. Die Versagung der Restschuldbefreiung ist dann in der Regel unverhältnismäßig (BGH, Beschl. v. 20.3.2003 - IX ZB 388/02, WM 2003, 980 [982]; v. 17.9.2009 - IX ZB 284/08, ZInsO 2009, 1954 Rz. 9 und 11; v. 18.2.2010 - IX ZB 211/09, WM 2010, 718 Rz. 6). Die Möglichkeit einer solchen "Heilung" ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht auf den Zeitraum bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschränkt. Diese Einschränkung gilt nur im Verbraucherinsolvenzverfahren, weil dort schon für das der Verfahrenseröffnung vorangehende Schuldenbereinigungsverfahren richtige und vollständige Angaben des Schuldners erforderlich sind (BGH, Beschl. v. 17.3.2005 - IX ZB 260/03, NZI 2005, 461; v. 7.12.2006 - IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96 Rz. 7; BayObLG NZI 2002, 392).

Rz. 7

c) Das Beschwerdegericht ist zugunsten des Schuldners davon ausgegangen, dass sein Schreiben vom 14.5.2003, in dem er auf seine Eigentumswohnung auf Mallorca hingewiesen hat, dem Insolvenzverwalter am 16.5.2003, also weniger als drei Monate nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und noch vor dem ersten Bericht des Insolvenzverwalters und vor der ersten Gläubigerversammlung, zugegangen ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Eigentumswohnung als weiterer Vermögensgegenstand des Schuldners im Insolvenzverfahren noch nicht bekannt. Dann liegt es nahe, dass die Nichtangabe dieses Vermögensgegenstands in dem mit dem Eröffnungsantrag vorgelegten Verzeichnis jedenfalls für sich allein die Versagung der Restschuldbefreiung nicht rechtfertigt.

Rz. 8

d) Die vom Beschwerdegericht bisher getroffenen Feststellungen erlauben es nicht, die Versagung der Restschuldbefreiung auf den Umstand zu stützen, dass der Schuldner in den mit dem Eröffnungsantrag eingereichten Unterlagen die Darlehensforderung seiner Mutter nicht angegeben hat. Insoweit liegt der objektive Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ebenfalls vor. Das Beschwerdegericht hat jedoch keine Feststellungen zu den subjektiven Voraussetzungen (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) und zu der Behauptung des Schuldners getroffen, er habe auch insoweit sein ursprüngliches Versäumnis rechtzeitig korrigiert.

Rz. 9

3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts war danach aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, da nach dem festgestellten Sachverhältnis die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Zunächst sind im Blick auf die Nichtangabe der Forderung der Mutter des Schuldners die erforderlichen Feststellungen nachzuholen. Sodann ist zu prüfen, ob die Versagung der Restschuldbefreiung verhältnismäßig ist, sei es allein wegen einer der beiden in Rede stehenden Pflichtverletzungen oder bei einer Gesamtbetrachtung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2598289

NJW 2011, 8

NWB 2011, 865

KTS 2011, 254

StuB 2011, 280

WM 2011, 176

ZAP 2011, 235

ZIP 2011, 133

DZWir 2011, 125

MDR 2011, 261

NJ 2011, 7

NZI 2011, 114

Rpfleger 2011, 288

ZInsO 2011, 197

InsbürO 2011, 119

NWB direkt 2011, 263

RENOpraxis 2011, 131

ZVI 2011, 232

FMP 2011, 38

VIA 2011, 18

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