Leitsatz (amtlich)
Die in §§ 47 Nr. 1, 48a BNotO bestimmte Altersgrenze ist - die Anwendbarkeit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) unterstellt - mit Art. 15, 16, 17 und 21 GRC vereinbar.
Normenkette
BNotO § 47 Nr. 1, § 48a
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 16.09.2013; Aktenzeichen Not 15/13) |
Tenor
Der Antrag des Antragstellers, die Berufung gegen das Urteil des Senats für Notarsachen des KG vom 16.9.2013 zuzulassen, wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Streitwert: 50.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der im Mai 1943 geborene Kläger ist Rechtsanwalt und wurde 1983 zum Notar bestellt. Er beantragte bei der Beklagten, festzustellen, dass sein Amt als Notar nicht mit Ablauf des Monats, in dem er das 70. Lebensjahr vollende, erlösche. Er ist der Auffassung, die in §§ 47 Nr. 1, 48a BNotO bestimmte Altersgrenze verstoße gegen deutsches Verfassungsrecht und europäisches Recht. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Der Kläger hat seinen Feststellungsantrag gerichtlich weiterverfolgt und überdies beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Fortsetzung seiner Tätigkeit als Notar über den 31.5.2013 hinaus zu dulden und Maßnahmen zu unterlassen, die ihn in seiner freien notariellen Berufsausübung im bisherigen Umfang einzuschränken geeignet seien. Hilfsweise hat er die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union beantragt.
Rz. 2
Das KG hat die Klage abgewiesen.
II.
Rz. 3
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil der Vorinstanz zuzulassen, ist zulässig, aber unbegründet. Ein Zulassungsgrund (§ 124 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) besteht nicht. Insbesondere hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) noch weist die Sache besondere Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) oder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des OLG (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO).
Rz. 4
1. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch den Senatsbeschluss vom 22.3.2010 (NotZ 16/09, BGHZ 185, 30), den die Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung zurückweisenden Beschluss des BVerfG vom 5.1.2011 (1 BvR 2870/10, NJW 2011, 1131) und die Senatsbeschlüsse vom 23.7.2012 (NotZ(Brfg) 15/11, DNotZ 2013, 76 sowie vom 25.11.2013 (NotZ(Brfg) 11/13, juris, NotZ(Brfg) 8/13, juris und NotZ(Brfg) 12/13, juris) bereits - weitgehend - zum Nachteil des Klägers geklärt. Danach verstoßen § 47 Nr. 1 und § 48a BNotO weder gegen das Grundgesetz noch gegen das aus der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303/16) (fortan: Richtlinie 2000/78/EG) folgende Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters. Hieran hält der Senat auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angeführten Gesichtspunkte fest.
Rz. 5
Insbesondere hat sich der Senat in den Beschlüssen vom 25.11.2013 (NotZ(Brfg) 11/13 und NotZ(Brfg) 12/13 jew., a.a.O.) mit der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu beruflichen Altersgrenzen auseinander gesetzt (a.a.O. jew. Rz. 5 ff.).
Rz. 6
Soweit der Kläger das Bestehen der für die Einführung der Altersgrenze für den Gesetzgeber maßgebenden Gründe in Abrede stellt bzw. geltend macht, diese seien mittlerweile überholt, ist, ebenso wie in den Senatsbeschlüssen vom 25.11.2013 (NotZ(Brfg) 11/13, a.a.O., Rz. 11 und NotZ(Brfg) 12/13 Rz. 10, a.a.O.), auf die von den Gerichten aus Gründen der Gewaltenteilung zu respektierende Einschätzungsprärogative der Legislative und deren Gestaltungsspielraum zu verweisen. Da das Vorbringen des Klägers zu den aus seiner Sicht nicht (mehr) bestehenden tatsächlichen Grundlagen für die Altersgrenze aus diesen Gründen nicht entscheidungserheblich ist, ist auch seine Rüge, das KG habe unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG und die EU-Grundrechtecharta die hierzu angebotenen Beweise nicht erhoben, unbegründet.
Rz. 7
2. Auch die vom Kläger angesprochenen weiteren Gesichtspunkte, die noch nicht Gegenstand der Erörterungen in den vorbezeichneten Entscheidungen waren, rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung. Weder stellen sie die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung in Frage noch werfen sie ernstlich klärungsbedürftige oder schwierige Rechtsfragen auf.
Rz. 8
a) Unbehelflich ist der Hinweis des Klägers auf die unterschiedliche Altersversorgung im Bereich des hauptberuflichen Notariats (§ 3 Abs. 1 BNotO) und des Anwaltsnotariats (§ 3 Abs. 2 BNotO) sowie auf die lediglich für die hauptberuflichen Notare (in Teilgebieten) gewährleistete Einkommensergänzung. Maßgebend für die Altersgrenze des § 48a BNotO ist die Sicherung einer geordneten Altersstruktur des aktiven Notariats und die Notwendigkeit, im Interesse der beruflichen Perspektive jüngerer Anwärter für eine ausreichende Fluktuation zu sorgen, da anderenfalls für die Besetzung der nur in begrenzter Zahl zur Verfügung stehenden Notarstellen (§ 4 Satz 1 BNotO) nicht, jedenfalls nicht mit der erforderlichen Vorhersehbarkeit und Planbarkeit gewährleistet wäre, dass lebensältere Notare die ihnen zugewiesenen Stellen für jüngere Bewerber freimachen (z.B. Senatsbeschlüsse vom 22.3.2010, a.a.O., Rz. 8 f, 29; v. 25.11.2013 - NotZ(Brfg) 11/13, a.a.O., Rz. 4, 9 sowie NotZ(Brfg) 12/13, a.a.O., Rz. 6). Für das hauptberufliche wie das Anwaltsnotariat bestehen diese Gründe gleichermaßen, da in beiden Berufsformen im Interesse einer geordneten Rechtspflege die Limitierung der Stellenanzahl nach § 4 BNotO gilt (vgl. zur Vereinbarkeit der Begrenzung der Zahl und der örtlichen Zuständigkeit der Notare mit Art. 43 EG und Art. 49 AEUV EuGH, Urt. v. 24.5.2011 - C-54/08, NJW 2011, 2941 Rz. 98). Diesen für die Altersgrenze maßgeblichen Gründen fehlt ein inhaltlicher Bezug zur Art und Weise, wie die Einkommenssicherung aktiver Notare und die Versorgung der Notare, deren Amt nach §§ 47 Nr. 1, 48a BNotO erloschen ist, ausgestaltet ist.
Rz. 9
Auch im Übrigen ist nicht von Bedeutung, ob, wie der Kläger geltend macht, die Tätigkeit des Anwaltsnotars in ihrer faktischen Ausgestaltung stärker einem freien Beruf ähnelt als diejenige eines hauptberuflichen Notars. Die für die Altersgrenze maßgebenden Gründe gelten, wie ausgeführt, für die Notariatsformen des § 3 Abs. 1 und 2 BNotO in gleicher Weise.
Rz. 10
b) Auch kann der Kläger nicht Art. 15, 16, 17 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12.12.2007 (Abl. Nr. L 303 S. 1 - GRC) für seine Rechtsposition nutzbar machen. Bereits der Anwendungsbereich der Charta dürfte auch unter Berücksichtigung der Auslegung von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 26.2.2013 (C-617/10 - Akerberg Fransson, NJW 2013, 1415 Rz. 17 ff.) nicht eröffnet sein, da die Zuständigkeit für das Berufsrecht der Notare nicht auf die Europäische Union übertragen ist (BGH vom 22.3.2010 - NotZ 16/09, BGHZ 185, 30 Rz. 14; v. 26.11.2007 - NotZ 23/07, BGHZ 174, 273 Rz. 27). Die notarielle Tätigkeit dürfte zudem nicht vom Schutzbereich der Art. 16 und 17 GRC erfasst sein. Art. 16 GRC garantiert die unternehmerische Freiheit - auch - nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Die notarielle Tätigkeit ist jedoch entgegen dem Verständnis des Klägers keine unternehmerische, sondern ein öffentliches Amt (§ 1 BNotO). Dies wird durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24.5.2011 (C-54/08, NJW 2011, 2941) nicht in Frage gestellt, der die Urkundstätigkeit der deutschen Notare nicht als die Ausübung öffentlicher Gewalt i.S.d. Art. 45 Abs. 1 EG (= Art. 51 Abs. 1 AEUV) qualifiziert hat. Der Senat nimmt insoweit auf sein denselben Kläger betreffendes Urteil vom 4.3.2013 (NotZ(Brfg) 9/12, BGHZ 196, 271 Rz. 19 m.w.N.) Bezug. Unter anderem der (schlicht) hoheitliche Charakter der notariellen Amtstätigkeit dürfte auch ihrer Einbeziehung in den Schutzbereich des Art. 17 Abs. 1 GRC entgegenstehen, der das private Eigentum garantiert.
Rz. 11
Selbst wenn die Anwendbarkeit der EU-Grundrechtecharta auf den vorliegenden Sachverhalt und die Einbeziehung der notariellen Tätigkeit in die Schutzbereiche sämtlicher vom Kläger angeführter Grundrechte unterstellt wird, würde sich hieraus ein Widerspruch zu §§ 47 Nr. 1, 48a BNotO nicht ergeben. Vielmehr beinhalten diese Bestimmungen eine nach Art. 52 Abs. 1 GRC zulässige Einschränkung der - hypothetisch - betroffenen aus der Charta folgenden Rechte. Nach dieser Vorschrift muss jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein, deren Wesensgehalt achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Verhältnismäßigkeit des festgestellten Eingriffs dürfen nicht die Grenzen dessen überschritten werden, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei zu beachten ist, dass dann, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen (z.B. EuGH, Urt. v. 22.1.2013 - Rs. C-283/11, K&R 2013, 176 Rz. 50 m.w.N.). Die Altersgrenze der Notare dient, wie der Senat bereits wiederholt ausgeführt hat (z.B. Beschlüsse vom 25.11.2013 - NotZ(Brfg) 11/13, a.a.O., Rz. 4; vom 23.7.2012 - NotZ(Brfg) 15/11, DNotZ 2013, 76 Rz. 8 und vom 22.3.2010, a.a.O., Rz. 28 f.), einem legitimen Ziel des Allgemeinwohls. Mildere Mittel, um dieses Ziel, die Sicherung einer geordneten Altersstruktur des aktiven Notariats und die Gewährleistung einer ausreichenden Fluktuation im Interesse der beruflichen Perspektive jüngerer Anwärter (nicht, worauf der Kläger wiederholt abstellt, die Sicherung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit der aktiven Notare), zu erreichen, sind nicht ersichtlich.
Rz. 12
3. Die Voraussetzungen für ein Vorabentscheidungsersuchen des Senats an den Gerichtshof der Europäischen Union gem. Art. 267 AEUV sind nicht erfüllt. Der Senat nimmt insoweit zunächst auf die Ausführungen in seinen Beschlüssen vom 22.3.2010 (a.a.O. Rz. 32 ff.; s. hierzu auch BVerfG Rz. 14) und vom 25.11.2013 (NotZ(Brfg) 11/12, a.a.O., Rz. 14 und NotZ(Brfg) 12/13, a.a.O., Rz. 14) Bezug. Die in Nr. 2 Buchstabe b dieses Beschlusses angestellten ergänzenden Erwägungen zum Unionsrecht, liegen ebenfalls derart auf der Hand, dass eine Vorlage gem. Art. 267 AEUV nach den Maßstäben der sog. acte-clair-Doktrin (s. hierzu z.B. BGH vom 22.3.2010, a.a.O., Rz. 33 f; v. 26.11.2007 - NotZ 23/07, BGHZ 174, 273 Rz. 34) ausscheidet.
Rz. 13
4. Unbegründet ist schließlich die Rüge des Klägers, der Notarsenat des KG habe über eine Maßnahme entschieden, die von der Inhaberin der Dienstaufsicht über die beteiligten Berufsrichter getroffen worden sei. Die Besetzung des Notarsenats mit Richtern des OLG, dessen Präsident die von dem Spruchkörper nachzuprüfenden Maßnahmen als Justizverwaltungsbehörde getroffen hat, ist von §§ 101 f i.V.m. § 111 Abs. 4 BNotO vorgegeben und führt, ohne dass im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, nicht zu Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit der Richter (Senatsbeschlüsse vom 25.11.2013 - NotZ(Brfg) 7/13 Rz. 4; v. 21.2.2011 - NotZ(Brfg) 7/10, juris Rz. 4). Tatsachen, aus denen sich eine konkrete Besorgnis ergeben könnte, die Richter des Notarsenats des KG hätten die gebotene Neutralität gegenüber den Parteien des Rechtsstreits nicht gewahrt, hat der Kläger nicht vorgetragen und nach § 42 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO, § 111b Abs. 1 BNotO geltend gemacht. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
Fundstellen