Normenkette
PatAnwO § 94b Abs. 1; VwGO § 43 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 21.10.2021; Aktenzeichen Pat A-Z 1/21) |
Tenor
Der Antrag der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Senats für Patentanwaltssachen des Oberlandesgerichts München vom 21. Oktober 2021 wird abgelehnt.
Die Klägerinnen haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 40.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerinnen möchten im Wege der Feststellungsklage klären lassen, ob die Klägerin zu 2 als niedergelassene europäische Patentanwältin wirksam zur alleinigen Geschäftsführerin der in Deutschland als Patentanwaltsgesellschaft zugelassenen Klägerin zu 1 bestellt werden kann.
Rz. 2
Die Klägerin zu 1, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ist aufgrund des Bescheids der Beklagten vom 17. Februar 2020 als Patentanwaltsgesellschaft zugelassen. Die Klägerin zu 2 ist Ingenieurin und in Frankreich als Conseil en Propriété Industrielle zugelassen. Sie wurde außerdem als niedergelassene europäische Patentanwältin gemäß § 21 EuPAG in die Patentanwaltskammer aufgenommen. In Deutschland ist die Klägerin zu 2 beruflich für die Klägerin zu 1 tätig, deren Gesellschafterin sie zu 49 % ist.
Rz. 3
Im Hinblick auf die beabsichtigte Bestellung der Klägerin zu 2 zur alleinigen Geschäftsführerin der Klägerin zu 1 fragte die Klägerin zu 2 bei der Beklagten an, ob dem Hinderungsgründe entgegenstünden. In ihrer Antwort wies die Beklagte darauf hin, dass die Klägerin zu 2 die Voraussetzungen des § 52f Abs. 1 PAO nicht erfülle, da sie keine in Deutschland zugelassene Patentanwältin sei. Wenn der Patentanwalt D. als alleiniger Geschäftsführer ausscheide, seien die Voraussetzungen des § 52f Abs. 1 PAO nicht mehr gewahrt und die Zulassung als Patentanwaltsgesellschaft müsste gemäß § 52h Abs. 3 Satz 1 PAO widerrufen werden. Die Klägerin zu 1 nahm hierzu mit Schreiben ihres Steuerberaters vom 6. Oktober 2020 Stellung. In ihrem Antwortschreiben vom 12. November 2020 hielt die Beklagte an ihrer Rechtsauffassung fest, dass die Klägerin zu 2 als alleinige Geschäftsführerin nicht die Anforderungen des § 52f Abs. 1 PAO erfülle.
Rz. 4
Die Klägerinnen haben daraufhin eine Feststellungsklage erhoben mit dem Antrag, festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, der Klägerin zu 1 die Zulassung als Patentanwaltsgesellschaft aus dem Grunde zu widerrufen, dass die Klägerin zu 2 ihre alleinige Geschäftsführerin wird.
Rz. 5
Das Oberlandesgericht München, Senat für Patentanwaltssachen, hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Feststellungsklage sei wegen fehlender Statthaftigkeit unzulässig, § 94b Abs. 1 Satz 1 PAO, § 43 Abs. 1 VwGO, weil die Klägerinnen ein Feststellungsinteresse nach § 94b Abs. 1 Satz 1 PAO, § 43 Abs. 1 Halbsatz 2 VwGO weder dargetan hätten noch ein solches unter den hier gegebenen Umständen sonst ersichtlich sei. Es hat die Berufung nicht zugelassen. Dagegen richtet sich der Antrag der Klägerinnen.
II.
Rz. 6
Der Antrag der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung ist statthaft (§ 94b Abs. 1 Satz 1, § 94d PAO i.V.m. §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO), bleibt jedoch ohne Erfolg, weil ein Zulassungsgrund nach § 94d Satz 2 PAO, § 124 VwGO nicht gegeben ist.
Rz. 7
1. Aus den Darlegungen der Klägerinnen ergibt sich keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 94d Satz 2 PAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Rz. 8
a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine in der Rechtsprechung bislang noch nicht geklärte fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die für das Oberlandesgericht entscheidungserheblich war und auch für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich und damit klärungsfähig ist, und die im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (vgl. BVerfGE 151, 173 Rn. 33; BVerfG, NVwZ 2016, 1243 Rn. 20; VerfGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Februar 2016 - 1 VB 57/14, juris Rn. 24; OVG Münster, NVwZ-RR 2015, 923 Rn. 2). Die mit der Grundsatzrüge aufgeworfene Frage muss sich über den Einzelfall hinaus stellen (vgl. BVerwG, ZInsO 2016, 795 Rn. 7; NJW 2011, 1830 Rn. 4). Ist die Frage bereits geklärt, kommt die Zulassung nur in Betracht, wenn mit dem Zulassungsantrag neue erhebliche Gesichtspunkte vorgetragen werden (vgl. BVerwG, ZInsO 2016, 795 Rn. 6; OVG Hamburg, GewArch 2002, 164).
Rz. 9
b) Nach diesen Maßstäben kommt der von den Klägerinnen formulierten Frage, ob eine ("vorbeugende") Feststellungsklage im Verwaltungsrechtsweg schon dann zulässig ist, wenn eine Organisation der beruflichen Selbstverwaltung, etwa die Patentanwaltskammer, für ein bestimmtes beabsichtigtes Verhalten des Klägers den Entzug der Zulassung in Aussicht stellt, insbesondere wenn höchstrichterlich ungeklärt ist, ob das beabsichtigte Verhalten überhaupt rechtswidrig ist beziehungsweise den Entzug der Zulassung rechtfertigen würde, keine Grundsatzbedeutung zu.
Rz. 10
In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist seit langem geklärt, unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise Rechtsschutz im Wege einer vorbeugenden Feststellungsklage verlangt werden kann. Eine vorbeugende Feststellungsklage ist danach nur zulässig, wenn der Verweis auf nachgängigen Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Kläger verbunden wäre (vgl. nur BVerwG, NVwZ-RR 2016, 323 Rn. 6; NVwZ 2015, 906 Rn. 17; BVerwGE 132, 64 Rn. 26; mwN). Die Klägerinnen zeigen keine neuen erheblichen Gesichtspunkte auf, die einen weiteren Klärungsbedarf begründen könnten.
Rz. 11
Wann der Verweis auf den bestehenden Primärrechtsschutz für belastende Verwaltungsakte als für den Betroffenen unzumutbar anzusehen ist, kann nicht abstrakt generell festgelegt werden, sondern ist unter Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Eine über die bisher von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen hinausgehende Leitlinie, in welchen Fällen vorbeugender Rechtsschutz bei einem in Aussicht gestellten Entzug der für die Berufsausübung erforderlichen Zulassung in Anspruch genommen werden kann, kann daher nicht (abstrakt und) losgelöst von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls aufgestellt werden.
Rz. 12
Der Umstand, dass die von den Klägerinnen erhobene Feststellungsklage der Klärung der Voraussetzungen dienen soll, unter denen eine für die Berufsausübung erforderliche Zulassung widerrufen werden kann, und damit den Bereich des Zugangs zu bestimmten durch Gesetz näher reglementierten beruflichen Tätigkeiten betrifft, kann nicht herangezogen werden, um den Primärrechtsschutz für belastende Verwaltungsakte in diesem Bereich für den Betroffenen generell für unzumutbar zu halten. Die von den Klägerinnen gebildete Fallgruppe eines bevorstehenden Entzugs der für die Berufsausübung erforderlichen Zulassung bei gleichzeitig ungeklärter Rechtslage hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen ein solcher Entzug zulässig ist, ist darüber hinaus nicht geeignet, den Anwendungsbereich der begehrten weiteren Grundsatzentscheidung hinreichend klar zu bestimmen und einzugrenzen.
Rz. 13
2. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 94d Satz 2 PAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BVerfGE 110, 77, 83; BVerfG, NJW 2009, 3642; NVwZ-RR 2008, 1; NVwZ 2000, 1163 f.; BGH, Beschlüsse vom 8. März 2021 - PatAnwZ 1/20, juris Rn. 14; vom 27. April 2017 - PatAnwZ 1/17, juris Rn. 13; vom 13. Oktober 2014 - PatAnwZ 1/14, NJW-RR 2015, 382 Rn. 7; vom 6. Juli 2012 - PatAnwZ 1/11, NJW-RR 2013, 177 Rn. 9; vgl. auch BVerwG, NVwZ-RR 2004, 542 f.). Dies ist nicht der Fall.
Rz. 14
Ohne Erfolg wenden sich die Klägerinnen gegen die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Feststellungsklage sei unzulässig, weil ein Feststellungsinteresse nach § 94b Abs. 1 Satz 1 PAO, § 43 Abs. 1 Halbsatz 2 VwGO weder dargetan noch ein solches unter den gegebenen Umständen ersichtlich sei.
Rz. 15
a) Die Zulässigkeit der von den Klägerinnen erhobenen Feststellungsklage ist, wie das Oberlandesgericht zu Recht ausführt, nicht schon deswegen zu bejahen, weil die Beklagte die Unzulässigkeit der Feststellungsklage nicht gerügt, sondern sich rügelos auf die Klage eingelassen hat. Die Zulässigkeit der gewählten Klageart steht nicht zur Disposition der Parteien. Die rügelose Einlassung der beklagten Partei entbindet das Gericht nicht von der Prüfung, ob die erhobene Feststellungsklage zulässig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1988 - 4 C 21/85, juris Rn. 33 für einen im Wege der Klageänderung gestellten Feststellungsantrag).
Rz. 16
b) Rechtlich zutreffend und von den Klägerinnen unbeanstandet geht das Oberlandesgericht davon aus, dass mit der begehrten Feststellung vorbeugender Rechtsschutz begehrt wird. Eine vorbeugende Feststellungsklage - wie auch eine sonstige vorbeugende verwaltungsgerichtliche Klage - ist nur zulässig, wenn ein spezielles, besonders schützenswertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Interesse besteht. Dieses ist (nur) gegeben, wenn der Betroffene nicht in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz gegen die befürchtete Beeinträchtigung verwiesen werden kann, wenn mit anderen Worten der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz mit für den Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (st. Rspr.; vgl. nur BVerwG, NVwZ-RR 2016, 907 Rn. 19 f.; Beschluss vom 19. Mai 2015 - 3 B 6/14, juris Rn. 14; NVwZ 2015, 906 Rn. 17; Urteil vom 24. Oktober 2013 - 7 C 13.12, juris Rn. 41; vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. September 2021 - AnwZ (Brfg) 20/21, NJW-RR 2022, 67 Rn. 8; vom 19. April 2021 - AnwZ (Brfg) 39/20, juris Rn. 6 f.; Urteil vom 3. Juli 2017 - AnwZ (Brfg) 45/15, WM 2018, 577 Rn. 30; jeweils mwN).
Rz. 17
Die Annahme des Oberlandesgerichts, dass den Klägerinnen die Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz nach Erlass eines belastenden Verwaltungsakts im vorliegenden Fall zuzumuten ist, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Ausführungen der Klägerinnen sind nicht geeignet, die Würdigung des Oberlandesgerichts in Frage zu stellen. Umstände, die eine Unzumutbarkeit für die Klägerinnen begründen könnten, werden von ihnen nicht aufgezeigt.
Rz. 18
aa) Der mit dem Widerruf der Zulassung begründeten Gefahr von Einnahmeverlusten, einer fehlenden Planungssicherheit und einem Verlust der Geschäftsgrundlage für die weitere Berufsausübung können die Klägerinnen durch die Inanspruchnahme des in der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Rechtsschutzes gegen belastende Verwaltungsakte begegnen. Durch die Ausgestaltung der Rechtsschutzmöglichkeiten, insbesondere die mit der Anfechtungsklage verbundene aufschiebende Wirkung sowie der zur Verfügung stehende einstweilige Rechtsschutz im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung des belastenden Verwaltungsakts, ist der Betroffene hinreichend geschützt. Der Hinweis der Klägerinnen, die Inanspruchnahme dieses Primärrechtsschutzes sei unsicher und möglicherweise von der Stellung von Sicherheiten abhängig, führt nicht zur Annahme, diese sei für die Klägerinnen unzumutbar. Die Erfolgsaussichten der von den Klägerinnen begehrten Feststellung sind in gleichem Maße wie bei einer Anfechtungsklage von der rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Falles durch die Gerichte abhängig.
Rz. 19
Der Umstand, dass die zu beurteilenden Rechtsfragen komplex und schwierig sind und sich außerdem Fragen aus dem Verfassungs- und Unionsrecht stellen, berührt nicht allein die Entscheidung über eine mögliche Anfechtungsklage gegenüber einem von der Beklagten in Aussicht gestellten Widerruf der Zulassung, sondern in gleichem Maße die Entscheidung über eine Feststellungsklage, die die Klärung der Rechtmäßigkeit eines solchen Widerrufs zum Gegenstand hat. Auch die von den Klägerinnen angeführte möglicherweise zu erwartende lange Verfahrensdauer vermag einen Vorzug der Feststellungsklage gegenüber einer Anfechtungsklage von vornherein nicht zu begründen, weil dieses Risiko nicht nur für Rechtsstreitigkeiten besteht, denen eine Anfechtungsklage zugrunde liegt.
Rz. 20
bb) Soweit die Klägerinnen vorbringen, der Klägerin zu 1 sei während eines schwebenden Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit eines von der Beklagten erlassenen Widerrufsbescheids die Übernahme von Mandaten erschwert, ihr drohe außerdem ein dauerhafter Reputationsverlust, fehlt es an der Darlegung konkreter Anhaltpunkte, die eine solche Schlussfolgerung zuließen. Hierfür sind auch sonst Umstände nicht ersichtlich. Ein Erfahrungssatz dahingehend, dass sich die Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegen einen Widerruf der für die Berufsausübung erforderlichen Zulassung stets negativ auf die Berufstätigkeit auswirkt und zu einem Reputationsverlust führt, existiert nicht. Die auf Seiten der Klägerinnen allgemein bestehende Befürchtung vor dem Eintritt dieser Folgen rechtfertigt es nicht, die Inanspruchnahme des von der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Primärrechtsschutzes gegen belastende Verwaltungsakte als unzumutbar zu bewerten.
Rz. 21
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin zu 2 die Berufsausübung erheblich erschwert oder ihr sogar die Lebensgrundlage entzogen würde, wenn die Zulassung gegenüber der Klägerin zu 1 wirksam widerrufen werden würde, sind dem Vorbringen der Klägerinnen nicht zu entnehmen. Hierfür ist auch sonst nichts ersichtlich.
III.
Rz. 22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 94b Abs. 1 Satz 1 PAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 147 Abs. 1 PAO, § 52 Abs. 1 GKG.
Grupp |
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Grabinski |
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Graßnack |
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Thielmann |
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Frese |
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Fundstellen
Haufe-Index 15503409 |
Mitt. 2022, 516 |